Der Epochenbruch erfordert eine neue Wirtschafts-Strategie

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Nach der Infragestellung der transatlantischen Allianz brauchen wir eine verteidigungsorientierte Wirtschaftsstrategie. Die Soziale Marktwirtschaft bietet dafür die richtige Antwort. Das Potenzialwachstum in Deutschland wird steigen, alte Industrien werden zum Teil gestärkt, Neue werden entstehen müssen.

Von Professor Dr. h.c. mult Roland Koch

Die Stimmen zur Bundestagswahl sind ausgezählt und es war wirklich spannend bis zum frühen Morgen. Eine einige Zeit unvermeidbar scheinende Koalition aus CDU/CSU, SPD und Grünen hätte ganz sicher nicht den geringsten Optimismus und schon gar keinen Politikwechsel bewirken können. Nun wird es an CDU/CSU und SPD liegen, welche Folgerungen sie aus dem Ergebnis ziehen. Da ist genug zu tun.

Die Wähler haben der SPD für eine aus ihrer Sicht falsche Politik eine saftige Quittung ausgestellt. Zugleich haben sie der Union signalisiert, dass sie drei Jahre nach der Abwahl ebenfalls noch nicht genügend Vertrauen in einen tatsächlichen Kurswechsel aufbauen konnte. Der Weg zu den radikalen Parteien kann in den kommenden vier Jahren nur gestoppt werden, wenn Wohlstand, Wachstum und ein verantwortlicher Umgang mit Migration Realität werden.

Vor zehn Tagen war alles anders

Bei all diesen Herausforderungen ist die wichtigste Feststellung, dass diese Themen trotz ihrer Wichtigkeit in den vergangen zehn Tagen dramatisch an Bedeutung verloren haben. Die Parteien haben seit der Münchner Sicherheitskonferenz zu Recht Panik vermieden. Aber mit jedem Tag wird deutlicher, dass der Zeitenwende vom 22. Februar 2022 wohl am 16. Februar 2025 mit der Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance ein Epochenbruch gefolgt ist. Ich jedenfalls bin in einer Welt aufgewachsen und geprägt worden, die fest auf eine unverbrüchliche transatlantische Allianz vertraute. Für mich war das Bündnis mit seiner unverbrüchlichen Beistandsgarantie der ultimative Anker der freien Welt, meiner Welt. Die Idee, diesen Beistandspakt als eine „Mietverteidigung“ mit Versteigerungspreisen zu betrachten, wäre mir nie gekommen. Wahrscheinlich haben wir uns zu sicher gefühlt und manche Mahnung über Jahrzehnte im Interesse der eigenen Bequemlichkeit überhört. Aber jetzt haben wir eine offene, nicht mehr sicher bewachte Flanke zu einem revisionistischen Diktator, der Kriegsverbrechen zur Selbstverständlichkeit erklärt.

Es war richtig, diese brutale Erkenntnis den Wählern nicht unvorbereitet in voller Härte drei Tage vor der Wahl an den Kopf zu werfen. Was – außer Panik – hätten sie damit anfangen sollen? Doch jetzt ist nicht die Zeit, diesen Epochenbruch zu behandeln, wie es das Kaninchen mit der Schlange macht.

Friedrich Merz hat sich schon am Abend der Wahl entsprechend positioniert. Alles wird sich ändern. Aber wenn wir alles klug ändern, bedeutet dies weder das Ende der Freiheit noch das Ende des Wohlstands.

Von der neuen Mehrheit wird nun eine „große Strategie“ erwartet, eine Festlegung der Kräfte, die wir aufwenden, eine Bestimmung der Rolle Europas und unserer Rolle darin und eine Perspektive für eine Weltordnung, in der unsere Vorstellung der individuellen Freiheit als Produkt des christlich-jüdischen Abendlands nicht untergeht.

Die wirtschaftlichen Herausforderungen sind bewältigbar 

Mir geht es vor allem um die wirtschaftlichen Dimensionen des Epochenbruchs. Wir brauchen eine verteidigungsorientierte Wirtschaftsstrategie. Seit 1989 haben wir viele unserer zusätzlichen Wünsche durch die sogenannte Friedensdividende finanziert. Verglichen mit den Ausgaben für unsere Verteidigung zu dieser Zeit konnten wir in 30 Jahren mehr als 600 Milliarden Euro für anderes verwenden. Das ist vorbei.

Da wir nicht in wenigen Tagen alles umstürzen können und wollen, werden wir einerseits von den jährlichen Einnahmen einen deutlich höheren Betrag für Verteidigung aufwenden müssen. Aber in der Kürze der Zeit werden zusätzliche Schulden erforderlich sein, um Menschen, Waffen und militärische Infrastruktur in kürzester Zeit so bereitstellen zu können, dass Putin seine offensichtlichen und von ihm ausgesprochenen Angriffspläne aufgibt. Eine Erhöhung der Schuldenaufnahme durch eine Erweiterung des sogenannten Sondervermögens Verteidigung wäre staatspolitisch richtig, auch wenn das einen Bundestag in seinen letzten Tagen sehr fordert.

Die Ausgaben werden, wenn es die Regierung gut macht, jedenfalls für einige Zeit ein Wirtschaftswachstum auslösen. Die Soziale Marktwirtschaft bietet dafür die richtige Antwort. Das Potenzialwachstum in Deutschland wird steigen, alte Industrien werden zum Teil gestärkt, Neue werden entstehen müssen. Wir sehen bereits zaghaft, wie Rüstungsunternehmen mit Automobilfabriken sprechen. Wir brauchen eine verbindliche Kooperation von militärischer Entwicklung und universitärer und sonstiger staatlicher Forschung. Dies erfordert eine Neuausrichtung der Zivilklausel an Hochschulen, um notwendige Verteidigungsforschung zu ermöglichen. Durch effizientere Transfermechanismen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft könnten wir Innovation schneller zur Marktreife bringen und gleichzeitig die Verteidigungsfähigkeit stärken. Wer den Beitrag der Wirtschaftsagentur DARPA des US-Verteidigungsministeriums zum Internet, zur Tech-Industrie und vielen anderen bahnbrechenden Innovationen verfolgt hat, kann die volkswirtschaftlichen Chancen erkennen, die wir zur Finanzierung der Verteidigungsfähigkeit nutzen könnten. Die ohnehin für die Bewältigung des Klimawandels nötige Technologieoffenheit wird nun aus weiteren Gründen unverzichtbar. Ohne deutsche Unternehmen und ihre Drohnenentwicklung würden noch viel mehr Ukrainer sterben, jetzt müssen sie zur Grundlage der neuen Armee werden. Digitalisierung, Kommunikation, Treibstoffe, der Einsatz von Rohstoffen und ganz besonders die Nutzung von Daten und der künstlichen Intelligenz können und müssen helfen, die aktuellen sogenannten „Fähigkeitslücken“ zu schließen.

Wir werden die Anstrengungen spüren, aber wir können sie verkraften

Das Versprechen von Olaf Scholz im März 2022, von all diesen Anstrengungen würden die Menschen in ihrem täglichen Leben und bei den sozialen Systemen nichts bemerken, war schon immer falsch. Sein letzter Versuch der vollständigen Kompensation durch Schulden wäre jetzt sogar für ihn unhaltbar. In dieser veränderten Welt ist Wohlstand für Alle immer noch selbstverständlich. Wenn wir unser Produktivitätswachstum für einige Jahre in die Verteidigung stecken, bleibt immer noch mindestens eine Erhöhung der Löhne und Renten in Höhe der Inflation möglich. Die Spielräume für Gesundheit und Bildung müssen nicht schrumpfen. Aber wir müssen einige Jahre mit dem Lebensstandard und den staatlichen Leistungen, die wir heute haben, auskommen. Das ist der Preis für Sicherheit und Freiheit – und den darf niemand verschweigen.

Freiheit und Wohlstand im abendländischen Geist verteidigen

Die USA haben nicht nur den Schutz der Souveränität und die Freiheit Europas in Zweifel gezogen. Sie konfrontieren uns auch mit einer Vorstellung von internationaler Ordnung, der Gewaltenteilung im eigenen Land und dem Respekt vor dem Einzelnen, die sich von der unseren entfernt. „Postliberalismus“ darf nicht der Geist Europas werden.

Alles, was ich hier schreibe, war einmal Konsens – mit Amerika, in Europa und bei uns. Das ist heute nicht mehr der Fall. Ich hoffe, dass die Regierenden unseres Landes alles tun, um Freiheit und Wohlstand im abendländischen Geist zu verteidigen. Wenn sie das schaffen, werden sie auch andere Probleme – vom Bürgergeld bis zur Wärmepumpe – lösen können. Vor zwei Wochen hätte ich diese Zeilen nicht geschrieben.

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Professor Dr. h.c. mult. Roland Koch ist seit November 2020 Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung. Koch war bis von 1999 bis 2010 Hessischer Ministerpräsident. Altbundeskanzler Ludwig Erhard gründete 1967 die Ludwig-Erhard-Stiftung und gab ihr die Aufgabe, für freiheitliche Grundsätze in Wirtschaft und Politik einzutreten und die Soziale Marktwirtschaft wachzuhalten und zu stärken. Die Stiftung ist von Parteien und Verbänden unabhängig und als gemeinnützig anerkannt. Sie tritt politischem Opportunismus und Konformismus mit einem klaren Leitbild entgegen: Freiheit und Verantwortung als Fundament einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für den mündigen Bürger. Infos

Eine Antwort zu “Der Epochenbruch erfordert eine neue Wirtschafts-Strategie”

  1. Zunächst möchte ich auf den Artikel ” Schwarzrote Pläne : Befreiungsschlag oder Schuldenorgie? in dieser Ausgabe hinweisen und meinen Kommentar dazu, der im Anhang zum vorgenannten Artikel zu finden ist.

    Unsere Politik hat seit Jahren eine miserable Wirtschaftspolitik betrieben. Gleiches gilt für die EU. Die EU bläht sich auf und
    beansprucht eine anerkannte Position in der Weltwirtschaft.

    Es fehlt leider nur sehr oft an dem “Welt”- offenen Weitblick.
    Nehmen wir z.B. die Position “seltene Erden”. China hat gezeigt
    wie man das Thema dort angeht. USA versucht gerade die etwas
    ruppigere Variante. Und die EU? Wenn man eine Wirtschaftsmacht werden will, sollte man auch als eine solche
    agieren. So gibt es “seltene Erden” auch in anderen Ländern.
    Nur hat die EU dafür keinen Plan. Ein Flop.

    Und nun zum Artikel von Roland Koch:
    Die Regierungen haben jahrelang entscheidende Wirtschafts,-
    weichenstellungen verschlafen bzw. wesentliche Parameter
    falsch entschieden.
    Und nun kommt Panik auf! Dass auf der “Münchner Sicherheits
    konferenz” keine Panik aufgekommen sein soll, ist wohl eher
    als das sprichwörtliche “Pfeifen im Walde” zu verstehen.

    Der geplante Milliarden -Schulden Deal für die Rüstung und alles noch mal schnell mit einer Grundgesetzänderung durchzuwinken ist doch der beste Beweis für Panik.

    Die “Anhängsel” Kreditaufnahmen für Wirtschaft/Infrastruktur
    und “Zukunftsgrün” ist doch nur ein “lästiges” Anhängsel.

    Eine stabile weitsichtige Zukunftsplanung für unser Land sieht anders aus.
    Eine “verteidigungsorientierte” Wirtschaftspolitik ist nun mal
    absoluter Nonsens. Wirtschaft braucht in erster Linie Frieden.
    Nur hat leider die Regierung und die Opposition darin kläglich
    versagt.

    Und was die Einstellung z.B. zu Russland betrifft, gibt es offensichtlich Denkverbote und Wissenslücken.
    Russland war ein anerkannter Handelspartner Deutschlands-
    interessanter Weise trotz der Art seiner Landesführung.

    Aber wie war es denn mit den Kriegen der USA -wie Vietnam
    oder Iran ? Und auch Deutschland ist doch auch nicht so das
    Musterland was Unterstützung von Diktatoren betraf.

    Dass die Politik jetzt und in Zukunft etwas “klug” ändern möge,
    dürfte wohl der Märchenwelt entnommen sein.
    Statt Weitsicht ist jetzt nur Panik angesagt.

    Die wichtigen Punkte wie Bildung, Kindergärten, Senioren usw.
    dafür gibt es überhaupt keine Ansätze.
    Für Bürokratieabbau brauchen wir keine Milliarden.
    Der Ansatz, die Hochschulen mit der Wirtschaft besser zu verbinden, wäre ein guter Ansatz. So etwas gibt es bereits, allerdings zu wenig.
    Allerdings die Hochschulen für die Rüstung einzuspannen ist doch geradezu pervers.

    Politiker, die nicht bereit bzw. nicht fähig sind die Ursachen von Konflikten erkennen zu können um Konflikte zu vermeiden bzw.
    aufzulösen sollen nun junge Menschen verführen durch kriegerische Aktionen die Unfähigkeit der Politiker auszubügeln.

    Und noch eine Sache:
    Was unter einer “Weltordnung und Vorstellung des Produktes
    des christlich-jüdischen Abendlandes” zu verstehen ist, erschließt sich mir leider nicht.

    Es hat im Laufe der Menschheit Unmengen an Kriegen gegeben.
    Millionen Menschen sind Opfer von religiösen Kriegshandlungen
    geworden. Dabei müssen wir nicht einmal Europa verlassen.
    Erinnern wir uns z.B.an Nordirland.
    Wer in Geschichte etwas aufgepasst hat wird natürlich wissen, dass es eine ausgeprägte jüdische Geschichte gegeben hat.
    Allerdings haben einige Zeitgenossen ein Problem damit die
    Staatsführung in Israel darauf hinzuweisen, das die systematische Ermordung von Menschen- wie es in der letzten
    nahen Vergangenheit erfolgt ist eine Menschenrechtsverletzung großen Ausmaßes darstellt.

    Macher sind in unserem Staat sicherlich erwünscht. Nur Aktionismus, getrieben von blinder Panik ist der falsche Weg.

    Robert Heins

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