Ergo sum: Die 7 Fundamente meines Challenge Managements

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Betrachte ich rückblickend meine Erfolge, aber auch meine Niederlagen im Boxen sowie jenseits davon, gibt es sieben inhaltliche Themen, die mein Handeln bestimmen. Heute dienen sie als Filter, den das Management in meinen Firmen und Beteiligungen anwendet, um eigenverantwortlich Entscheidungen in meinem Sinne zu fällen. Von Wladimir Klitschko

Ich habe dem Boxen sehr viel zu verdanken, doch eigentlich bin ich eher zufällig in den Sport hineingestolpert. Es war Vitali, der sich anfangs für das Kickboxen entschied und später für das klassische Boxen. Damit war es quasi vorgegeben, dass ich – als fünf Jahre Jüngerer – ihm nacheifern würde.

Seit ich denken kann, habe ich mich an meinem Bruder orientiert. Unsere Eltern hatten ihm schon früh die Aufgabe übertragen, auf mich aufzupassen. Ich begleitete ihn überall hin. Er war mein Aufpasser, meine Leitfigur, mein Vorbild. Und er war mein bester Freund. Interessierte er sich für Sport, interessierte ich mich dafür. Ging er zum Training, begleitete ich ihn. Stieg er in den Ring, fieberte ich auf meinen ersten Kampf hin.

Ich wollte zu den Besten gehören

Für mich hatte es keinerlei Bedeutung, dass uns ein Altersunterschied von fünf Jahren trennte. Im Gegenteil: Ich habe aus seinen Erfahrungen gelernt. Ich beobachtete ihn und hing an seinen Lippen. »Lernt er etwas, kann ich es auch«, redete ich mir ein. Nirgends sah ich Grenzen. Auch wenn ich irgendwann erkannte: Vitali war der geborene »Fighter«, er trug die Fähigkeit als natürliche Gabe in sich. In mir schlummerte eine ähnliche Veranlagung, die viele in meiner Umgebung Talent nannten. Allerdings musste ich sie erst freilegen, und zwar mit harter Arbeit. Eine gehörige Portion Ehrgeiz unterstützte mich dabei. Später überlegten wir uns prägnante Motivationssprüche. »Born to fight«, fiel mir für Vitali ein. »Born to win«, rief er mir regelmäßig zu.

Ich wollte zu den Besten gehören, in die Liga aufsteigen, in der Vitali bereits einen Namen hatte. Am liebsten wollte ich sogar besser werden als mein Bruder. Denn würde mir das gelingen, so wusste ich, könnte ich alle schlagen. Solange ich körperlich kleiner war als er, war mein Vorhaben aussichtslos. Trotzdem spornten wir uns gegenseitig an, motivierten und unterstützten uns. Das setzte sich fort, als wir in derselben Gewichtsklasse boxten. Wir trainierten mit-, nie gegeneinander und sahen uns nie als Konkurrenten. Einen offiziellen Kampf gegeneinander hätten wir uns niemals vorstellen können, wir wären um keinen Preis gegeneinander angetreten. Alleine schon, weil wir es unserer Mutter versprochen hatten, aus Respekt unserer Familie gegenüber.

„Für uns beide war es selbstverständlich, dass wir trotz unseres Sports die Universität abschlossen“

Unseren Eltern ist es in erster Linie zu verdanken, dass uns unser Erfolg nicht zu Kopf gestiegen ist. Mein Vater hatte uns neben Disziplin und Durchhaltevermögen auch Bodenständigkeit und Respekt vorgelebt. Meine Mutter, von Beruf Lehrerin, sorgte dafür, dass wir Bildung als wichtiges Rüstzeug für das Leben verstanden.

Und so war es für uns beide selbstverständlich, dass wir trotz unseres Sports die Universität abschlossen und sogar promovierten. Etwas anderes hätten unsere Eltern wohl auch nicht akzeptiert. Wir bräuchten eine Ausbildung, um uns unseren Lebensunterhalt verdienen zu können, lautete ihre Überzeugung. Profisportler gab es in der Sowjetunion nicht und war damit kein Beruf. Darüber hinaus wurde Bildung als hohes Gut angesehen, das wertgeschätzt wurde, wo immer es verfügbar war. Diese Überzeugung stellte ich nie infrage.

Als ich mit 20 Jahren tatsächlich Profisportler wurde, arbeitete ich ganz selbstverständlich an meiner Doktorarbeit weiter. »Pädagogische Kontrolle im Sport von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 19«, hieß das Thema. Es interessierte mich sehr, weil es mit meinen eigenen Erfahrungen zu tun hatte.
Einige Freunde aus meinem Internat hatten ihre Karriere beendet, bevor sie richtig begann, weil sie den physischen oder psychischen Druck nicht aushielten. Deshalb führte ich über mehrere Jahre eine Studie an meiner ehemaligen Schule durch. Fast 70 Jugendliche wurden Leistungstests unterzogen. Ich verglich die Ergebnisse miteinander. Warum scheiterten manche, während sich andere überdurchschnittlich gut schlugen? Meine Thesen stellte ich in den Mittelpunkt meiner Dissertation.

„Boxen ist für mich ein Instrument; ein Mittel zum Zweck“

Mein Vater verfolgte mit Wohlwollen, dass ich mir die Zeit für das akademische Arbeiten nahm, neben meinen Kämpfen und dem Training. »Boxen ist doch kein Beruf«, merkte er regelmäßig an, wenn wir uns als Jugendliche über unsere Turniersiege freuten. In gewisser Weise hatte er damit sogar Recht: Wie bei jeder anderen Sportart kommt eine Boxkarriere allenfalls als befristete Tätigkeit infrage.

Jeder Athlet muss für sich entscheiden, wann es Zeit ist, die Profibühne zu verlassen. Im besten Fall geschieht das, bevor ihn eine Reihe von Niederlagen oder der eigene Körper dazu zwingt. Dass dieser Zeitpunkt allerdings weit vor dem Rentenbeginn eines gewöhnlichen Arbeitnehmers ansteht, ist jedem klar. Ich bin froh, dass ich mir schon als aktiver Sportler vor längerer Zeit andere berufliche Standbeine aufgebaut habe: als Unternehmer, Dozent, als Stifter, um nur einige Beispiele zu nennen.

Möglich geworden ist das alles nur durch meine sportlichen Erfolge. Boxen, so habe ich es von Anfang an verstanden, ist für mich ein Instrument; ein Mittel zum Zweck. Es ist nicht die Erfüllung. Und es ist schon gar nicht die Endstation. Doch es ist immer eine Möglichkeit gewesen, meine Träume zu verwirklichen und mich weiterzuentwickeln.

Betrachte ich rückblickend meine Erfolge, aber auch meine Niederlagen im Boxen sowie jenseits davon, gibt es sieben inhaltliche Themen, die mein Handeln bestimmen. Anfangs habe ich diese Elemente aus dem Bauch heraus wie einen Filter angewendet. Nicht zufällig spiegeln sie meine Lebensanschauung und meine Art, Entscheidungen zu treffen, der vergangenen dreißig Jahre wieder.

Diese sieben Elemente bilden das Fundament meiner Philosophie

Mir wurde es immer wichtiger, dass auch meine Mitarbeiter in meinen Unternehmen diese Motive verstanden. Deshalb haben wir sie herausgearbeitet,
zusammengefasst und dokumentiert. Heute dienen sie als Filter, den das Management in meinen Firmen und Beteiligungen anwendet, um eigenverantwortlich Entscheidungen in meinem Sinne zu fällen. Er ist der rote Faden, nach dem wir Geschäftsbereiche gründen oder neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln.
»ERGO SUM« (lat. für »Also bin ich«) steht für die sieben Elemente, diese bilden das Fundament meiner Philosophie in Kurzform. Jeder Buchstabe der zwei Worte repräsentiert ein Element. Genauso bringt der Begriff als Ganzes meine Weltanschauung zum Ausdruck: »Ergo sum« – also bin ich. Für mich ist klar, wer ich bin.

Für manche mag es abgedroschen klingen. Tatsächlich zieht sich »Ergo sum« wie ein roter Leitfaden durch mein Leben:

E – Expertise (Expertise: aus meinen Erfahrungen und der Wissenschaft)
R – Rightness (Richtigkeit: nach meinen ethisch korrekten Grundsätzen
entwickelt)
G – Globalism (Globalismus: 360 Grad, nicht beschränkt, international)
O – Optimism (Optimismus: immer positiv und visionär denkend)
S – Sustainability (Nachhaltigkeit: langfristig denkend und auf die Umwelt
achtend)
U – Uncomplexity (Einfachheit: einfach erklärt und einfach zu verstehen)
M – Maximum (Maximum: immer das Beste und Optimale herausholend)

 

Wladimir Klitschko hat gerade das Buch veröffentlich „Challenge Management – Was Sie als Manager vom Spitzensportler lernen können“. Campus Verlag, ISBN 978-3-593-50746-0

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