Eurokrise verstehen (III): Der Aufkauf von Staatspapieren

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Art. 123 des AEU-Vertrags verbietet die Monetisierung der Staatsfinanzen. Darum handelt es sich aber, wenn die Notenbanken Staatspapiere, d. h. Staatsschulden, der Krisenländer kaufen.

Die EZB hat aber im Rahmen des Securities Markets Program (SMP) für 223 Mrd. Euro Staatspapiere von Griechenland, Portugal, Irland, Italien und Spanien gekauft, allein italienische Papiere i. H. v. 94 Mrd. Euro zwischen August 2011 und Februar 2012 zur Abwendung eines italienischen Staatskonkurses.

Im Sommer 2012 legte die EZB das »Outright Monetary Transactions«-Programm (OMT) auf mit der berühmten Ankündigung von Mario Draghi »whatever it takes« – »Was auch immer nötig ist«54, auf die Frage, in welchem Umfang er bereit sei, den Anlegern Staatspapiere der Krisenländer abzukaufen und sie
insofern vor Verlusten zu schützen – übrigens in der Wirkung vergleichbar mit einer Art CDS (Credit Default Swap), als einer Versicherung gegen den Ausfall eines Staatspapiers, wie sie jeder Anleger für gutes Geld auch am Markt kaufen könnte.

So eine Versicherung gegen eine Prämie ist übrigens eine Leistung, die einen Marktwert hat, wenn der Schadensfall gar nicht eintritt. Das Risiko, das einzugehen gar nicht geplant war, trägt am Ende vor allem der nordeuropäische Steuerzahler, weil sein Sparkapital in eine unbeabsichtigte Verwendung, nämlich
in die Budgets der Staaten Südeuropas, gelenkt wird. Hierdurch wird der Kapitaleinsatz in Europa krass verzerrt. Die Vertreter der ins Risiko gestellten Steuerzahler in den Parlamenten sind natürlich auch nicht gefragt worden.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Stellungnahme vom 7. Februar 2014 erklärt, dass die Europäische Zentralbank mit dem OMT-Programm zum Ankauf von Staatspapieren ihre Kompetenzen überschritten habe. Das Programm sei mit dem Primärrecht der EU unvereinbar. Hier noch die vier wichtigsten Aussagen des Verfassungsgerichts vom 7. Februar 2014 zum OMT-Programm:

  • Das OMT-Programm kann zu einer erheblichen Vermögensumverteilung
    zwischen den Staaten Europas führen, wenn die erworbenen Papiere bis zur Fälligkeit gehalten werden. Das ist deshalb so, weil die möglichen Zinseinnahmen auf die Staatspapiere unwiderruflich verloren gehen. Die Zinseinnahmen
    des Eurosystems betragen ca. 1.600 Mrd. Euro, die die Notenbanken an die Finanzministerien der Mitgliedsländer ausschütten können. Die Steuerzahler Nordeuropas – Deutschland, Niederlande, Finnland – werden also gezwungen,
    für den möglichen Konkurs eines GIPSIC-Staats mitzuzahlen. Das volle Haftungsrisiko tragen also die Bürger!
  • Der selektive Aufkauf der Staatspapiere der Krisenländer qualifiziert den OMT-Beschluss als wirtschaftspolitische Maßnahme, zu der die EZB nicht befugt ist. Eine zwischen einzelnen Mitgliedstaaten differenzierende Vorgehensweise
    ist dem System der europäischen Zentralbanken grundsätzlich fremd. Man kann sie nicht als geldpolitische Maßnahme rechtfertigen. In der Tat betreibt die EZB mit diesem Beschluss eine regionale Fiskalpolitik zum Schutz der Kreditaufnahme einzelner Länder. Eine solche Maßnahme findet keinerlei Pendant in anderen Währungsunionen wie z. B. den USA oder der Schweizer Konföderation. Die US-amerikanische Federal Reserve Bank kauft zwar bundesstaatliche Papiere, doch nicht die Staatspapiere von in Bedrängnis geratenen Staaten wie Kalifornien oder Illinois.
    Das OMT-Programm ist ein funktionales Äquivalent der entsprechenden
    Hilfsprogramme EFSF und ESM, unterliegt aber keiner demokratischen Kontrolle. Das Gericht hat mithin festgestellt, dass die EZB ihr Mandat überschreitet.
  • Die Absicht der EZB, die Zinsaufschläge der Märkte bei den Staatspapieren bedrängter Länder zu neutralisieren, spricht dafür, dass das OMT eine nach Artikel 123 AEUV verbotene monetäre Staatsfinanzierung ist.

In der Urteilsbegründung wendet sich das Gericht generell gegen eine Politik, die die Zinsaufschläge verringert. Zinsaufschläge sind das zentrale Mittel zur Vermeidung von Schuldenexzessen im Euroraum. Wenn sich Staaten überschulden, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Schulden zurückzahlen werden, und die Gläubiger verlangen höhere Zinsaufschläge. Das wiederum
bremst die Verschuldungsneigung. Das OMT ist also streng genommen eine zentrale Investitionslenkung, die die allokative Funktion des Kapitalmarkts unterläuft und die Wachstumsverluste, die der Euro Europa auch beschert hat, perpetuiert.

Angesichts des Umstands, dass die realwirtschaftliche Krise Südeuropas aus einer inflationären Kreditblase resultiert, die die betroffenen Länder ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubt, ist dies entscheidend für die langfristige Existenz und Stabilität des Eurosystems. Das Gericht hat sein abschließendes Urteil bisher aber noch nicht gefällt und noch keine Maßnahmen ergriffen, die die Bundesbank oder andere deutsche Instanzen bereits heute binden würden. Es hat den Fall klugerweise zunächst an den Gerichtshof der Europäischen Union verwiesen und ihn damit eingebunden, verbunden mit der Bitte, Vorschläge zur Begrenzung des OMT-Programms zu entwerfen.

Die Entscheidung des EuGH vom 16. Juni 2015

Am 16. Juni 2015 urteilte der EuGH, dass die EZB Staatsanleihen der Eurozone kaufen darf, um einen Kollaps der Währungsunion zu verhindern.

Prof. Hans-Werner Sinn sagte dazu: »Das ist ein bedauerlicher Fehler des Gerichts.« Die EZB überschreite ihre Kompetenzen und betreibe Wirtschaftspolitik. Auch sein designierter Nachfolger im ifo Institut, Prof. Clemens Fuest, kritisierte die Entscheidung: »Der EuGH irrt sich.« Das Anleihekaufprogramm sei ein Rettungsprogramm der EZB für die hochverschuldeten Peripheriestaaten. »Das ist Fiskalpolitik und keine Geldpolitik«57, meinte Fuest. Hoffentlich lässt sich das Bundesverfassungsgericht davon »nicht beirren«, so Prof. Sinn.

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