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Expansion: Chance oder strategischer Irrtum?
Wenn es um Wachstum geht, ist man schnell bei den folgenden Themen angelangt: Regionale Expansion, vielleicht sogar Internationalisierung, Unternehmensübernahme, Kooperation/Fusion, Aufbau neuer Geschäftsfelder. Zu häufig, indes, führen diese Gedanken bestenfalls in die Irre, schlechtestenfalls in eine strategische und operative Falle.
Einer meiner Vorträge auf dem Deutschen Franchise-Forum hatte den Titel Geh’ nicht auf die Jagd, wenn dein Haus brennt. Der Geschäftsführer des Deutschen Franchise-Verbandes, Torben Leif Brodersen, machte daraus in der Ankündigung des Vortrags in München Herr Quelle spricht jetzt zum Thema Geh’ nicht auf die Jagd, wenn deine Hütte brennt und hatte mit dieser positiv-lockeren Formulierung die Lacher im Auditorium auf seiner Seite. Das Lachen über den Inhalt dieses eigentlich logisch erscheinenden Satzes nimmt aber immer dann ein jähes Ende – oder es weicht einem verlegenen Lächeln –, wenn man ertappt wird. Ertappt dabei, dass man sich in Sachen Wachstum viel zu schnell von neuen Ideen leiten lässt, anstatt erst einmal den eigenen Hof zu fegen. Und genau das ist der Kern. Wohlgemerkt und um nicht missverstanden werden zu wollen: Regionale Expansion, Kooperationen, Übernahmen, der Aufbau neuer Geschäftsfelder, Innovationen, neue Produkte, alles hat seine Berechtigung und alles hat seinen Platz in einer adäquaten Wachstumsstrategie. Aber: Alles zu seiner Zeit und vor allem nicht alles zugleich. Folgt man jedoch vielen strategischen Erörterungen, wird das Heil des Wachstums vor allem in neuen Initiativen gesucht, und das ist auch erklärbar, denn der Blick auf das Neue ist noch nicht durch die vielen allfälligen Details verstellt, die sich ergeben, wenn man den Blick auf das Bestehende richtet. Neues macht Freude, zumindest den meisten Unternehmenslenkern, aber das Durchhalten der neuen Initiative steht auf einem ganz anderen Blatt.
Doch der Reihe nach: Die Kernbotschaft ist, dass man sich erst dann um eine Expansion kümmern soll, wenn das eigene Feld bestellt ist. Der Grund dafür ist einfach, denn anderenfalls besteht die reale Gefahr, das Chaos zu multiplizieren, wodurch Unternehmen sich in dramatische Situationen manövrieren können, die einerseits hochkomplex und andererseits existenzbedrohend sein können. Werfen wir einen Blick auf typische Wachstumsinitiativen:
Regionale Expansion
Ganz unabhängig davon, ob ein regional arbeitendes Unternehmen sich überlegt, sich in andere geografisch naheliegende Regionen auszudehnen, also etwa Vertriebsgebiete außerhalb des Stammgebietes aufzubauen oder neue Niederlassungen zu eröffnen, oder ob sich ein Unternehmen in ein anderes Land begeben oder sich gar mehrere neue Länder erschließen möchte: Die regionale Expansion ist nur dann sinnvoll, wenn drei Dinge gegeben sind: Erstens muss die Unternehmensführung willens und fähig sein, den sich erhöhenden Management- und Führungsaufwand auf sich zu nehmen, was bei einer Internationalisierung auch die Veränderung der Verhandlungs- und Geschäftssprache mit sich bringen kann. Zweitens müssen die neuen Geschäftsprozesse, die sich aus der regionalen Expansion ergeben, zwingend mit der bestehenden und der neuen Mannschaft im Detail durchdacht werden. Drittens müssen die bestehenden Geschäftsprozesse weitest möglich ohne Ecken und Kanten ablaufen. Ein Unternehmen, das die Ausnahme zur Regel erhebt, tut sich mit der Multiplikation von Geschäftsprozessen keinen Gefallen, es multipliziert vielmehr das Chaos.
Unternehmensübernahme/Kooperation
Ein Unternehmen zu übernehmen ist eine herausfordernde Angelegenheit, und wir wollen uns an dieser Stelle mit dem Anbahnungsprozess, der die Führung beider Unternehmen wesentlich bindet, nicht aufhalten, sondern einmal annehmen, der Beschluss sei getroffen. Es ist dabei zwingend und deutlich auszusprechen, dass es sich um eine Übernahme handelt, wenn dies der Fall ist. Eine «Fusion unter Gleichen», wie die fatal geendete Übernahme von Chrysler durch Daimler seinerzeit euphemistisch formuliert wurde, gibt es selten, und eine Übernahme sollte auch nie so genannt werden. Eine Übernahme ergibt auch nur dann Sinn, wenn – bildhaft gesprochen – 1+1 nicht 2, sondern mindestens 8 ergibt. Die Kernfrage: Was haben die Kunden von einer Zusammenführung der beiden Unternehmen? Eine Buy-and-build-Strategie, wie sie zahlreiche unserer Klienten, die sich im Eigentum von Private Equity-Gesellschaften befinden, verfolgen, muss wohldosiert sein und sehr gut geführt werden. Von sogenannten «Kooperationen», die meist theoretisch-konzeptionell bleiben, halte ich gar nichts, kosten sie doch viel Zeit und bringen wenig Nutzen, weil das viel zitierte Hemd meist näher ist als der Rock, bedeutet: Jeder Kooperationspartner wirtschaftet zu seinem eigenen Vorteil. Kooperationen ohne ein konkretes Geschäft auf dem Tisch sind verschwendete Zeit. Liegt ein konkretes Geschäft auf dem Tisch, kann man darüber nachdenken.
Aufbau neuer Geschäftsfelder
Die Frage, die man sich beim Aufbau eines neuen Geschäftsfeldes – wie auch bei den anderen hier besprochenen Expansionsoptionen – sofort stellen muss, ist: Warum?, verbunden mit Welchen Nutzen hat welcher Kunde davon?. Wenn ein neues Geschäftsfeld aufgebaut wird, dann sollte dies entweder mit dem bestehenden Geschäft kompatibel sein oder völlig separat vom Kerngeschäft behandelt werden. Mit meiner Beratungsgesellschaft habe ich seinerzeit das Internationale Marken-Kolloquium, dessen Schweizer Medienpartner das «KMU-Magazin» ist, von dessen Gründer übernommen. Wir haben dieses Internationale Marken-Kolloquium aber nie vollständig in das Kerngeschäft meiner Beratungsgesellschaft integriert, sondern behandeln es als selbstständige Einheit innerhalb des Unternehmens. Natürlich gibt es Überschneidungen und Synergien, denn unsere Klienten freuen sich über das zusätzliche Leistungsangebot und andererseits lernen wir Menschen kennen, die sich mit uns über Wachstumsberatung austauschen möchten, aber die Trennung verschafft Transparenz und fokussiert die Sicht auf das qualitative und quantitative Wachstum stärker durch die Betrachtung separater wirtschaftlicher Einheiten.
Produkt-/Dienstleistungsinnovation
Dieser Aspekt kommt bei den Expansionsbetrachtungen häufig zu kurz, liegt er doch oft zu nah am Tagesgeschäft, um attraktiv und verlockend genug zu sein. Tatsächlich aber bieten Produkt- und Dienstleistungsinnovationen ein in vielen Unternehmen nicht erkanntes oder zumindest nicht gehobenes Potenzial, weil zu häufig in «Mehr des Gleichen» gedacht wird. Niemand benötigt das achtzehnte Shampoo eines Herstellers im Regal des Drogeriemarkts, niemand benötigt die sechshundertste Variante eines Produkts – das dann einmal gekauft wird und sich danach in der Renner-Penner-Liste (Verzeihung: Gängigkeitsliste) im unteren Feld zu den anderen Langsamdrehern gesellt. Was aber benötigt wird, sind Innovationen, die die Kunden wirklich brauchen, Innovationen, über deren Bedarf sich die Kunden noch gar nicht bewusst sind, weil sie sich noch nicht vorstellen können, wie diese Innovationen das Leben verbessern. Es sind Prozess –, also Ablaufinnovationen, die uns allen das Leben leichter machen können und für die wir sehr wohl bereit sind, hart Verdientes auszugeben, auf die der Markt wartet. Dazu bedarf es des unbändigen Wunsches, sich mit den Kundenbedürfnissen auseinanderzusetzen und eine Kundenbefragung, das mag zur Vorsicht angemerkt sein, genügt hier nicht.
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