Familienunternehmen – Fluch oder Segen?

Keine Kommentare Lesezeit:

Für jeden Nachkommen eines Familienunternehmens stellt sich die Herausforderung, die Tradition mit den modernen Anforderungen der Zeit und vor allem der eigenen Identität stimmig zu verknüpfen. Ein Punkt bleibt in der Literatur über Familienunternehmen gerne unerwähnt – vielleicht, weil es keiner direkt beim Namen nennen möchte.

Von Ben Schulz

Kürzlich stolperte ich beim Schmökern auf Spiegelonline über einen Artikel und blieb ziemlich beeindruckt hängen. Titel: „Er führt Deutschlands ältestes Familienunternehmen – in der 17. Generation“. Es geht um ein Unternehmen, dessen Namen ich vorher noch nicht gehört hatte. Mit einem Feuerschilling im Jahre 1502 an der Feuerstelle in Siegen fing es an. Heute – 2020 – hat The Coatnic Company immer noch seinen Hauptfirmensitz im Siegener Land – also quasi direkt vor der Haustür unserer eigenen Firma. The Coatnic Company ist ein Unternehmen, das seit mehr als 500 Jahren Arbeitsplätze für die Region stellt und seinen Ursprüngen bis heute treu geblieben ist.

Paul Niederstein, das nun 17. Oberhaupt des Familienunternehmens, sagt: „Als Unternehmen und als Familie haben wir ein tiefes Verständnis für unsere Geschichte und den Werkstoff Stahl, der uns seit über 500 Jahren begleitet. Aber auch für unsere bodenständige und auf eine ganz spezielle Weise eigenwillige, raue Region. Hier finden wir all die Werte vor, die uns täglich Orientierung geben und unser Bestehen über so lange Zeit sichern. Zudem bestimmen auch christliche Grundwerte, die sich über die Jahrhunderte bewährt haben, unser Handeln.“

Die Lektüre des Artikels und der Historie dieser Familie veranlasste mich, dem Thema „Familienunternehmen“ weiter nachzugehen. Zunächst ging es mir um Familienunternehmen im Allgemeinen. Aber besonders interessant gestaltete sich das Thema im Hinblick auf Personal Branding, in welchem die Identität, die Persönlichkeit des Menschen als Individuum im Vordergrund steht. Welch eine Herausforderung für den Erben eines Familienunternehmens, sowohl die Tradition als auch die eigene Identität so unter einen Hut zu bringen, dass die Werte und Visionen des Unternehmens, aber auch die der eigenen Personality zusammenpassen, ohne sich verbiegen zu müssen.

Familienunternehmen – der Wirtschaftsmotor Deutschlands

Deutschland zählt zu den wichtigsten und einflussreichsten Wirtschaftsnationen weltweit. Aber im Gegensatz zu anderen bedeutenden Wirtschaftsnationen, die nicht marktwirtschaftlichen Ansätzen folgen, werden deutsche Unternehmen nicht von der Regierung gesteuert. Ganz im Gegenteil sogar. Gemäß aktueller Statistiken sind 91% der deutschen Unternehmen familienkontrolliert, tragen einen Anteil von 57% an der Gesamtbeschäftigung und liefern 51% am Gesamtumsatz.

Fälschlicherweise werden Familienunternehmen häufig mit klein und mittelständischen Unternehmen gleichgesetzt. Weit gefehlt. Es stimmt, dass viele kleine und mittelständische Unternehmen familiengeführt werden, aber nicht jedes Familienunternehmen gehört in die Gruppe der KMU. Aldi, Continental, Otto, Miele, Volkswagen, HIPP sind nur wenige Beispiele familiengeführter Unternehmen, die zu den Global Playern gehören.

Egal welche Größe Familienunternehmen haben; sei es der kleine Sanitärbetrieb vor Ort, Firmen wie The Coatnic Company oder die ganz Großen – sie alle stehen vor den gleichen Herausforderungen, was das stimmige und erfolgsbringende Zusammenführen von Tradition und eigener Identität angeht.

Zukunft braucht Herkunft

Familienunternehmen haben eine – mal mehr, mal weniger – lange Tradition. Für jeden Nachkommen stellt sich die Herausforderung, diese Tradition mit den modernen Anforderungen der Zeit und vor allem der eigenen Identität stimmig zu verknüpfen.

Ein Voranpreschen ist nicht sinnvoll, wenn das Erbe und damit die Verantwortung an die nächste Generation geht. Vielmehr sollte den Familienmitgliedern und besonders den Nachkommen stets bewusst sein, nach welchen Werten und Visionen Entscheidungen in der Vergangenheit getroffen wurden und diese mit Respekt behandeln und in das eigene Tun adaptieren. Diese Werte und Visionen haben das Unternehmen zu dem gemacht, was es heute ist. Diesen Werten und Visionen haben die Kunden vertraut. Diese Werte und Visionen waren Motivator für die Mitarbeiter.

Die Nachfolge eines Familienunternehmens zu übernehmen gleicht also einer Gratwanderung: es braucht sowohl Tradition als auch Innovation, bewährte Mechanismen und neue Methoden. Die Werte und Visionen der Vorgänger sollen fortgeschrieben werden und dazu gilt es die eigene Persönlichkeit einzubringen und die individuelle Identität authentisch zu leben. Herausforderungen, die managergeführte Konzerne so nicht haben.

The Coatnic Company hat das seit 17 Generationen gemeistert. Chapeau.

Einmal durch die Presse

Ein Punkt bleibt in der Literatur über Familienunternehmen gerne unerwähnt – vielleicht, weil es keiner direkt beim Namen nennen möchte. Das Thema „Image“ in Verbindung mit Verantwortung und Vorbildfunktion.

Als Führungskraft, Manager, Vorstand, aber ganz besonders als Firmeninhaber trägt man die Verantwortung für das wirtschaftliche Wohl eines Unternehmens – und damit auch die Verantwortung des immateriellen Werts des Rufes.

Bei managergeführten Unternehmen ist das nur halb so wild. Wenn da der Vorstand oder eine Führungskraft Mist gebaut haben, geht das zwar eine Zeitlang durch die Presse, aber der Typ wird mit einer ordentlichen Abfindung vor die Tür gesetzt und nach einiger Zeit ist Gras über die Sache gewachsen.

Nicht so bei Familienunternehmen. Wenn da der Sprössling in den Puff geht und das durch die Presse läuft, ist das nicht gerade imagefördernd. Und wie bei Geschichten aus den Königshäusern haben hier die Menschen ein enormes Langzeitgedächtnis.

Dieser Verantwortung sollten sich alle bewusst sein. Manche Familien setzen zu diesem Zweck eine Familienverfassung auf, in der ähnlich wie bei einem Leitbild Verhaltensregeln, strategische Ausrichtung, Finanzierung, Nachfolge, Werte und Ziele des Familienunternehmens, das Geschäftsmodell usw. geregelt werden.

Hört sich vielleicht drastisch und nach fast schon Knastzuständen an, und als Familienunternehmer trägt man die Last der Verantwortung alleine auf den Schultern. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum so viele Familienunternehmen massive Probleme mit der Nachfolgefrage haben. So mancher schreckt vor dieser Verantwortung zurück und geht lieber einem 9-to-5-Job nach. Eine besorgniserregende Entwicklung für unseren Wirtschaftsstandort Deutschland.

Personality First!

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Inhaber und seine Familie im Rampenlicht stehen – sowohl in der Öffentlichkeit als auch innerhalb des Unternehmens. Sie sind Leitfigur und Vorbild, sie stehen mit ihren Werten und Visionen für Tradition und Nachhaltigkeit, sie tragen die Verantwortung für ihre Mitarbeiter und Kunden. Gerade bei Familienunternehmern ist es von enormer Bedeutung, dass sie sich ihrer Werte, Haltungen und Überzeugungen in vollem Umfang bewusst sind, diese vorleben und authentisch nach außen kommunizieren. Mit ihrer Persönlichkeit stehen sie dem Unternehmen vor – jeden Tag, in jeder Minute. Ich persönlich empfinde diese Möglichkeiten als Chance, als Segen – und nicht als Fluch.

Ben Schulz ist CEO BEN SCHULZ & PARTNER AG, Geschäftsführer RMP Germany GmbH und Vorstand von Ben Schulz & Consultants AG.
Als Pionier im Personal Branding und Unternehmer kennt Ben Schulz alle Herausforderungen seiner Kunden. Der Sparringspartner und Troubleshooter begleitet seit vielen Jahren Unternehmen, Institute, Führungskräfte und einflussreiche Persönlichkeiten im gesamten deutschsprachigen Raum zu den Themen Strategie, Positionierung, Identität und Marketing. Mit seiner direkten Art bringt Ben Schulz seine Kunden dazu, ihre Identität und Unverwechselbarkeit zu erkennen und aktiv zu leben. Im direkten Sparring geht er ans Eingemachte, nichts wird geschönt.Ben Schulz ist Autor zahlreicher Bücher wie u.a. „Goodbye McK… & Co.“, „Erfolg braucht ein Gesicht“ oder „Wenn Turnschuhe nichts bringen“. Mit seinem Team der »BEN SCHULZ & PARTNER AG« veröffentlichte Ben Schulz im Januar 2020 „Das große Personal Branding Handbuch“, das neue, 500 Seiten starke Standard-Werk auf dem deutschsprachigen Buchmarkt.

  • Mehr Infos zu Ben Schulz finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Language