Genuß ohne Reue, 6. Gang: Relevée, ein allerletzter Kitzler

Keine Kommentare Lesezeit:

In einer kleinen Reihe unserer Rubrik “Stilvoll reisen“ serviert uns Winfried D. E. Völcker einen gastronomischen Small Talk der 14 Gänge eines Essens, samt Anekdoten aus der Welt der Top-Gastronomie. Heute: Das Relevée.

Bislang erschienen:

Von Amusettes, Amuse Guelles, Amuse Bouches über Hors d`Oeuvres und das Entrée, kommen wir heute zum Relevée – unter Köchen und Feinschmeckern ist das Relevée als eine kleine pikante Erhöhung bekannt, ein allerletzter Kitzler des Gaumens, vor dem dann endgültig folgendem Rôti, dem Fleischgang.
Ein Schelm, wer Schlimmes dabei denkt….

Wie war das noch mit dem Entrée? Alle Gänge bis zum Whiskey mit Fidel Castros und meiner Lieblingszigarre Cohiba bauen auf bekannten Geschmackselementen auf, die dann auf alle Sinne hin erweitert werden: Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten, Hören.

„Normalgenießer können etwa 2.000 Gerüche unterscheiden. Gourmets differenzieren dagegen bis zu 4.000“

Winfried D. E. Völcker: Vollbluthotelier, Patron, Manager, Consultant. Motto: „Nichts ist langweiliger als ein Rendezvous mit sich selbst“

Einerseits wissen das die Neurologen, andererseits wissen Frauen sehr gut, wie man Stimuli schafft – über das Auge und die Nase. Und tatsächlich sind die Augen zunächst das wichtigste Essorgan. Die Augen nehmen Kontakt auf, versetzen das Hirn in Freude, Erregung oder gar in Alarm. – Ein Grund, weshalb Musik, der gedeckte Tisch, Porzellan, Gläser, Tischtuch, Besteck, Blumen sowie jedes attraktiv angerichtete Gericht, das Design und die Atmosphäre eines Restaurants oder Esszimmers Stimuli unseres Gehirns sind. Bewusst, teils unbewusst entscheiden wir so über die Qualität und den „Wert“ des Ausgeherlebnisses oder des Essens mit Freunden und Familie.

Gutes Essen, echter Genuss ohne Reue, regt dieselben Hirnregionen an wie Sex, Drogen oder Musik. Daher meine persönliche Devise: „Nichts ist langweiliger als ein Rendezvous mit sich selbst.“

Corona brachte wieder hoch, was wir längst wussten

Corona brachte wieder hoch, was wir längst wussten: Schon eine Erkältung zerstört das sichere Funktionieren der „regio olfactoria“. Auf dieser Nasenregion liegen zehn Millionen geruchsempfindliche Sinneszellen, mit deren Hilfe wir unsere Welt erriechen. Normalgenießer können etwa 2.000 Gerüche unterscheiden. Gourmets differenzieren dagegen bis zu 4.000. Schon ein Billiardstel Gramm Methymerkaptan pro Liter Luft genügen, um dem Gehirn zu melden, dass wir etwas riechen.

Bei 20 Billionstel g/l können wir diesen Stoff eindeutig als Knoblauchgeruch identifizieren und schon nach einer Minute haben wir uns an ihn gewöhnt. Wenn uns das Wasser im Munde zusammenläuft, ist der Geruchssinn dafür verantwortlich. Er regt gleichsam die Magensaftproduktion an, wenn es denn verlockend duftet. Genuss ohne Reue ist uns auch deshalb möglich, weil Düfte eine Warnfunktion haben die bewirkt, dass wir zum Beispiel von Gammelfleisch die Finger lassen.

Die Augen sind zunächst das wichtigste Essorgan. Der weltberühmte spanische Koch Dr. Miguel Sanchez Gomera hat dies zur Perfektion gebracht (Photo: Oliver Brenneisen)

Aufschneider aufgepasst

Mit unserer Zunge schmecken wir süß, salzig, bitter und sauer. Aber Aufschneider aufgepasst: Schon mit 20 Jahren lässt die Fähigkeit zu schmecken nach. Die Zahl der Geschmacksknospen reduziert sich von 10.000 pro cm² auf 2.000 bei einem Endsiebziger.

„Wir schmecken, was wir erwarten zu schmecken. Das ist ein Grund für McDonalds-Erfolg, genau wie für den bayerischen Schweinekrustenbraten“

Das Ohr hört übrigens nicht nur, wenn Lammkoteletten in der Pfanne brutzeln, sondern übermitteln beim Kauen die Textur einer Speise – ob knackig, knusprig, weich etc. Das Ohr hört in der Mundhöhle. Was hört es wohl beim Kuß?

Wir schmecken, was wir erwarten zu schmecken. Das ist ein Grund für McDonalds-Erfolg, genau wie für den bayerischen Schweinekrustenbraten oder die Scholle Finkenwerder Art. Das Essen muss einfach kontinuierlich gleich gut sein.

Unsere Gäste wünschen sich da viel weniger Experimente als manch kreativer Jungkoch glaubt. Seit meiner Lehre zum Hotelkaufmann im Hotel Ambassador in Berlin 1966-69, esse ich in der Paris Bar als Vorgericht eine französische Zwiebelsuppe oder Schnecken. Als Hauptgang „Steak Frites“ mit frisch aufgeschlagener Sauce Bearnaise. Dazu ein Fläschchen Roten und so genieße ich gleich dreifach: Meine Lehrzeit, Paris und Berlin.

Wer genießt schießt nicht

Auf das Verhältnis der Deutschen zur guten Küche werde ich hier nicht eingehen. Aber da tut sich was. Zumindest spielt sich das Leben wieder mehr in der Küche ab. Planen, Einkaufen und gemeinsam Kochen sind auch dank geräumiger Küchen-Speisezimmer zu einem unterhaltsamen Erlebnis geworden. Wie war das noch? Annäherung und Verständigung bei guten Gesprächen mit kulinarischen Mitteln. Wer genießt schießt nicht.

Vom Neurochirurgen zum Küchen-Autodidakt mit Weltruhm: Miguel Sánchez Romera bei der Arbeit (Bild: © Sanchez Romera-Style)

Ich berichtete im 5. Gang vom besten Herzchirurgen aller Zeiten: Christiaan Barnard vom „Groote Schuur Hospitaal“ in Kapstadt. Ich erzählte von unseren Begegnungen auf kulinarischer Ebene, seiner Liebe zu tollen Frauen, gutem Wein und bestem Essen. Ich erzählte Ihnen auch, das dieser außergewöhnliche Genußmensch sich nach seiner Zeit als Herzchirurg der Schaf- und Hummerzucht widmete.

Romeras Welt

Den 6. Gang möchte ich mit Sanchez Romeras Welt beenden: Das waren zehn Jahre lang von Montag bis Mittwoch Hirnverletzungen von Unfallopfern, Parkinson oder Multiple Sklerose. Aber von Donnerstag bis Sonntag Kaviar, Taubenbrüstchen und Steinbuttfilets. Hier das Hospital von Grenollers, dort das Restaurant Ésquard, nördlich von Barcelona. Hier der Chefarzt der Neurologie mit zwei Jahrzehnten Berufserfahrung, dort der Küchen-Autodidakt, der vor über 25 Jahren auf Anregung seiner Kollegen ein Lokal eröffnete und es zunächst parallel zu seinem ursprünglichem Beruf betrieb. Vor etwa 15 Jahren verkündete Sanchez (Bild ganz oben) dann: „Ich habe mich entschieden. Ich bin Koch.“

Winfried D. E. Völcker ist Vollbluthotelier, Manager und ein Patron wie aus dem Bilderbuch. In seiner Karriere hat er ein Dutzend internationale Business-, Kongress- und Leisure-Hotels, sowie mehr als 60 Restaurants als Manager und Patron saniert, entwickelt und geführt. In seinem Newsletter seiner VHC Völcker Family of Hospitality schreibt er über Hotels, Essen und Genuß ohne Reue – empfehlenswert! Hier kostenfrei einschreiben

 

Bild oben: © Sanchez Romera-Style

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Language