Toxische Glaubenssätze, die Ihren finanziellen Erfolg sabotieren
Neue Reihe / Deutschland und Österreich haben ein Altersarmutsproblem, das sich aufgrund der bekannten Misere der gesetzlichen Rentenversicherungssysteme in Zukunft noch verschlimmern wird. Wer als normaler Bürger, vor allem als Mensch in der ersten Lebenshälfte in der Vermögensaufbauphase, diesem Problem individuell entgehen möchte, für den ist der Vermögensaufbau über den globalen Aktienmarkt die beste Option.
Von Dr. Gerd Kommer und Selina Gschossmann
Das gilt ganz besonders für die einkommensschwächere Hälfte der Bevölkerung, da für diese die am meisten verbreitete Vermögensbildungsalternative zum Aktienmarkt – der kreditfinanzierte Erwerb eines Eigenheims (Haus, Wohnung) – wegen ihrer mangelnden Bonität selten offensteht. Nun existiert der Aktienmarkt bereits seit mehr als 200 Jahren und ist jedenfalls seit den 1950ern auch für normale Haushalte in Deutschland, Österreich und der Schweiz in der Praxis gut zugänglich. Diese Zugänglichkeit hat sich besonders in den letzten zwei, drei Jahrzehnten noch weiter vereinfacht und verbilligt.
Dennoch besitzen heute nur rund 15 Prozent aller deutschen Haushalte Aktien oder Aktienfonds gegenüber etwa 66 Prozent der amerikanischen. Das ist einer der Gründe, warum das Nettovermögen des Median-Amerikaners weit über dem des Median-Deutschen liegt.
Skepsis gegenüber Marktwirtschaft
Eine Hauptursache für das Desinteresse der Deutschen am Aktienmarkt dürfte ihre generelle Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft, dem „Kapitalismus“ sein. Die Börse ist ein zentrales Element der Marktwirtschaft. Einer länderübergreifenden Umfrage zufolge sehen unter den Befragten in 34 Ländern nur die Befragten in 11 Ländern den Kapitalismus, die Marktwirtschaft, noch kritischer als die Deutschen, während die Menschen in 22 Ländern weniger antikapitalistisch oder sogar prokapitalistisch (z.B. Polen, USA) eingestellt sind.
“Wer der Marktwirtschaft skeptisch gegenübersteht oder sie ablehnt, wird sich wahrscheinlich weder Wissen noch praktische Fähigkeiten im Umgang mit marktwirtschaftlichen Formen des Vermögensaufbaus aneignen”

Wer der Marktwirtschaft skeptisch gegenübersteht oder sie ablehnt, wird sich wahrscheinlich weder Wissen noch praktische Fähigkeiten im Umgang mit marktwirtschaftlichen Formen des Vermögensaufbaus aneignen, z. B. Basiswissen über Aktien, Investmentfonds oder die Börse.
Das Desinteresse am Aktienmarkt – dem gesellschaftlich wirksamsten und zugleich am einfachsten umsetzbaren Instrument zur Verhinderung bzw. Verringerung von Altersarmut – basiert auf Ebene des Individuums oft auf toxischen Glaubenssätzen über Geld, Vermögensaufbau, Börse und Marktwirtschaft.
Sich mental und praktisch für Börseninvestments zu öffnen und sei es anfänglich nur einem bescheidenen Aktien-ETF-Sparplan von 20 Euro pro Monat, gelingt umso eher, wenn Menschen ihre toxischen Glaubenssätze und Annahmen ablegen.
Vor diesem Hintergrund analysieren wir in dieser neuen Reihe elf schädliche Glaubenssätze und „giftige Stereotype“ über die Marktwirtschaft, über Geld, Börse und vermögend werden.
Marktwirtschaft – das System, das die Grundlage für privaten Vermögensaufbau bildet

Bevor wir mit dem ersten schädlichen Glaubenssatz zu Geld beginnen, vorab ein paar Worte zur Marktwirtschaft, das System, das direkt und indirekt den Rahmen und die Grundlage für privaten Vermögensaufbau und Vermögensschutz bildet.
In ihrer heutigen Form entstand die Marktwirtschaft – der „Kapitalismus“ – allmählich ab etwa 1800. Zu dieser Zeit begann der religiös legitimierte Feudalismus (der absolutistische Monarchismus), eine in zentralen Aspekten antimarktwirtschaftliche Gesellschaftsordnung in den westlichen Ländern schrittweise abzusterben. Zwar existierten auch vor 1800 Märkte als Orte des Austausches von Gütern und Dienstleistungen, aber die essenziellen rechtlichen und institutionellen Grundelemente der modernen Marktwirtschaft waren vor etwa 1800 nur auf einen winzigen Teil der Gesamtbevölkerung beschränkt: Berufsfreiheit und Freizügigkeit für Privatpersonen, Gewerbefreiheit und Niederlassungsfreiheit für Unternehmen. Das Recht auf Eigentum bestand für große Teile der Bevölkerung, z. B. Frauen oder Leibeigene, vor ca. 1800 ebenfalls nur eingeschränkt.
Das allmähliche Absterben des Feudalismus vollzog sich über rund 120 Jahre bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Wichtige Meilensteine für das einsetzende Ende dieser antimarktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung waren die amerikanische und die französische Revolution in den Jahren 1776 und 1789. Einige Jahrzehnte zuvor, Mitte des 18. Jahrhunderts, hatte die industrielle Revolution in Großbritannien begonnen und dehnte sich später auf Kontinentaleuropa und Nordamerika aus.
Erst mit der Entstehung der Marktwirtschaft begannt der Wohlstand
Wie gewaltig sich das Los der Menschheit insgesamt durch das Entstehen der Marktwirtschaft ab ungefähr 1800 verbessert hat, illustriert diese Abbildung anhand des Wachstums des globalen Bruttoinlandprodukts (BIP) pro Kopf in den vergangenen 2000 Jahren.

Die Abbildung zeigt, dass das globale BIP pro Kopf (näherungsweise vergleichbar mit dem durchschnittlichen privaten Haushaltseinkommen), inflationsbereinigt mit Entstehen des Kapitalismus von 1820 bis heute um etwa 1300 Prozent stieg. Das entspricht einer Vervierzehnfachung oder – anders betrachtet – einer Verdoppelung ungefähr alle 15 Jahre.
In den rund 1.800 Jahren von Christi Geburt bis ins Jahre 1800 vor Entstehen der Marktwirtschaft war die globale Wirtschaftsleistung pro Kopf praktisch überhaupt nicht gewachsen. Angesichts dessen überrascht es kaum, dass der britische Philosoph Thomas Hobbes (1588–1679) das Dasein für einfache Menschen im Jahr 1651 in seiner staatsphilosophischen Abhandlung Leviathan als „solitary, poor, nasty, brutish, and short“ beschrieb (einsam, arm, scheußlich, brutal und kurz). Erst mit der Entstehung der Marktwirtschaft konnten Eltern realistisch hoffen, dass es ihren Kindern einmal besser gehen würde als ihnen selbst.
Das Wohl der Menschen auf dem Planeten Erde verbessert
Genauso bedeutsam wie das Wachstum der volkswirtschaftlichen Einkommen und damit die starke, dauerhafte Verbesserung des wirtschaftlichen Loses der Menschen über alle Schichten hinweg war der Anstieg der Lebenserwartung des durchschnittlichen Erdenbürgers. Diese betrug im Jahr 1820 kümmerliche 29 Jahre gegenüber 73 Jahren im Jahr 2023 – in den westlichen Ländern, wo sich die Marktwirtschaft tendenziell früher und umfassender etabliert hat, als in der übrigen Welt, sogar bei rund 79 Jahren.
Diese Entwicklungen illustrieren, wie geradezu dramatisch die Marktwirtschaft das Wohl der Menschen auf dem Planeten Erde über einen langen Zeitraum verbessert hat.
Kommen wir nun zum ersten der elf toxischen Glaubenssätzen, die viele von uns auf der persönlichen Ebene abhalten, der Marktwirtschaft und ihrem wichtigen Teilsystem Börse und Aktienmarkt zu vertrauen, um über marktwirtschaftliche Institutionen und Wege Vermögen aufzubauen.
Toxischer Glaubenssatz über Geld Nr. 1:
„Geld ist die Wurzel allen Übels.“
Dass böse Taten von Menschen oft von Gier nach Geld als einem Symbol für Vermögen motiviert werden, ist unstrittig und banal. Dennoch ist der Glaubenssatz, Geld sei die Wurzel allen Übels, ganz einfach falsch. Schon die Formulierung ist eine sinnentstellende, vielleicht manipulative Abwandlung einer Aussage aus der Bibel: „Geldgier ist die Wurzel allen Übels“ (Neues Testament, 1 Timotheus 6,10). Geldgier und Geld sind jedoch zwei verschiedene Dinge.
Geld ist kein Übel, sondern eine geniale kulturgeschichtliche Innovation
Geld entstand evolutionär aus der ungesteuerten, spontanen Interaktion von Menschen vor etwa 4.000 Jahren in Mesopotamien. Es war eine der wichtigsten Innovationen für die Entwicklung der Menschheit am Übergang von der Steinzeit zur Bronzezeit. In seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung steht Geld auf einer Ebene mit anderen Schlüsselinnovationen derselben Epoche (6000 v. Chr. bis 500 v. Chr.): der Erfindung der Schrift, der Formulierung der Grundlagen der Mathematik, der Erfindung des Kalenders, des Kompasses, von Papier, der Metallverarbeitung (Bronze, Eisen), des Rades, von Beton/Zement und des Pflugs.
Geld war menschheitsgeschichtlich notwendig, um den heute kaum vorstellbar ineffizienten und wohlstandshemmenden Tauschhandel der Steinzeit durch einen effizienteren, einfacheren Modus für den Austausch von Gütern und Dienstleistungen abzulösen und damit die „volkswirtschaftliche Kapitalallokation“ dramatisch zu verbessern, also Verschwendung zu reduzieren und schöpferische Spezialisierung zu erleichtern. Eine effiziente, sparsame Kapitalallokation heißt, gesellschaftliche Kapitalressourcen dahin zu lenken, wo sie den größten kollektiven Nutzen stiften. Ohne die Erfindung von Geld hätte der zivilisatorische Ausstieg der Menschheit aus der Steinzeit nicht stattfinden können und ohne Geld würde die heutige Weltwirtschaft in kurzer Zeit buchstäblich zusammenbrechen mit katastrophalen Folgen für die Menschheit. Geld ist kein Übel, sondern eine geniale kulturgeschichtliche Innovation.
Auch ist Geld per se moralisch neutral. Es ist nicht daran schuld, wenn einzelne Menschen danach gieren, es Neid auslöst oder eine Minderheit zu bösen Taten motiviert, genauso wenig wie ein Küchenmesser daran schuld ist, wenn es für einen Mord missbraucht wird.
Bücher zum Thema:
- Niall Ferguson (2008): „Der Aufstieg des Geldes: Die Währung der Geschichte“ (engl. Original: „The Ascent of Money: A Financial History of the World“)
- Christian Rieck (2025): „Fürstengeld, Fiatgeld, Bitcoin – Wie Geld entsteht, einen Wert bekommt und wieder untergeht“
Dr. Gerd Kommer ist Gründer und Geschäftsführer der Gerd Kommer Invest GmbH und Autor des Finanzklassikers “Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs“. Im Jahr 2000 hat er passives Investieren und das Weltportfolio-Konzept in Deutschland eingeführt. Er steht wie kein Zweiter für rationale und wissenschaftliche Geldanlage mit kostengünstigen Indexfonds und ETFs. Gerd Kommer Invest GmbH





















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