Gott ist ein Kreativer. Kein Controller.

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Wäre Moses mit zehn Excellcharts vom Berg Sinai gekommen, wäre die Geschichte der Menschheit anders verlaufen. Wer optimierungsgesteuert seinen Lebenspartner am Weihnachtstag zum Jahresgespräch mit Zielvereinbarung bitte, wird den Unterschied zwischen Realität und Managementtheorie schnell und schmerzhaft am eigenen Leib spüren.

Von Frank Dopheide

Wie fing das alles eigentlich an?

Als Deutschland das Wirtschaftswunder gestemmt und die Ölkrise sich Mitte der 1970er verzogen hatte, als der Laden und das Land wieder brummten, da räumten die Erfinder und Unternehmensgründer ihre Chefsessel und machten Platz für eine neue Elite an der Unternehmensspitze. Von da an hatten wir die Manager. Ihr Idealbild war frisch aus Amerika importiert worden und hing jetzt überall in Deutschlands Chefetagen. Wer wollte da noch »Generaldirektor« sein?

Die neuen Kapitäne, weltgewandt, dynamisch und effizienzgesteuert, setzten sich an die polierten Direktorenschreibtische und begannen umgehend damit, Unternehmenswert und Börsenkurs auf Wachstum zu trimmen. Was bedeutete: Organisation, Planung und Kontrolle waren jetzt keine der Produktion und dem Verkauf untergeordneten Aufgabenbereiche, sondern Chefsache. Anders als sein Vorgänger erfindet der Manager nichts Neues, aber er macht finanztechnisch das Beste aus dem, was andere vor ihm erdacht haben. Unter seiner Führung wachsen Unternehmen, Umsätze und Internationalisierung ins Grenzenlose. Die Messinstrumente aus den Laboren und Fertigungshallen werden abgelöst durch die Finanzinstrumente einer entfesselten Geldwirtschaft. Die neuen Steuerleute der Wirtschaft waren Jünger einer neuen Religion namens »Shareholder Value«. Ihr Hohepriester war der 1976 frisch zum Nobelpreisträger gekürte Amerikaner Milton Friedman. Die Managerkaste vergötterte ihn und folgte ihm aufs Wort.

»Manager, verschwendet keine Zeit mit gesellschaftlicher Verantwortung, Politik, Umweltschutz und so etwas, sondern kümmert euch ums Geldverdienen.« Das klingt aus betriebswirtschaftlicher Sicht konsequent und folgerichtig, ist aber ein schleichendes Gift für die moralische Gesundheit der Wirtschaftslenker.

Friedman predigte: »The business of business is business«, und meinte damit: »Manager, verschwendet keine Zeit mit gesellschaftlicher Verantwortung, Politik, Umweltschutz und so etwas, sondern kümmert euch ums Geldverdienen.« Das klingt aus betriebswirtschaftlicher Sicht konsequent und folgerichtig, ist aber ein schleichendes Gift für die moralische Gesundheit der Wirtschaftslenker. Mit diesem Glaubenssatz stellte der Manager den Profit über alles andere und erhielt so einen Freifahrtschein für das Ausschalten seines sozialen Gewissens. Geld verdienen wurde zum einzigen Geschäftszweck; um den ganzen Rest sollten sich andere kümmern. Die gelebte Verantwortung für Mitarbeiter, Kunden und Gesellschaft rückten ganz geschäftsmäßig eine Stelle nach hinten. Befreit von unkalkulierbaren Zielen wie Vertrauen, Loyalität und gesellschaftlicher Akzeptanz, leistet der Manager seither ganze Arbeit in seinem Gewinnmaximierungstunnel und treibt die Unternehmenskennzahlen in unvorstellbare Höhen.

Über das Leben außerhalb der Effizienzfalle oder warum wir mit unserem Lebenspartner kein Jahresgespräch führen sollten. Das Buch von Frank Dopheide, dem dieser Text entnommen ist,  ist ab 15.3.2021 im Handel. (240 Seiten, 18 Euro, Ullstein Buchverlag)

Aus erzählerischen Gründen wollen wir dem Manager einen Namen geben. Das vereinfacht die Sache. Der beliebteste und verbreitetste Name auf dem Chefsessel ist Stefan. Und dieser Stefan wird hier zum Synonym für alles, was sich Manager nennt. Ich bitte die Guten unter den Stefans und Stefanies, die kreativen Stefanos und die empathischen Stefanels um Nachsicht: Ihr seid nicht gemeint. Darum verkörpert »Stefan« hier den Prototyp jener Spezies, die unsere Welt hierhin gebracht hat: in die Optimierungsfalle. Unser Stefan, er ist logisch, erfolgreich – und männlich.

Nachdem Stefan und seine Beraterfreunde das Ruder übernommen haben, wachsen sie schnell über sich hin‑ aus: Optimierung, Standardisierung, Effizienzsteuerung und Controlling werden tagtäglich bis ins Mikroskopische praktiziert und perfektioniert. Der Mann (es sind damals tatsächlich ausschließlich Männer) an der Spitze des Unternehmens verändert seine Berufsbeschreibung – und der Beruf verändert zugleich sein Wesen. Stefan beginnt, sich »Chief Executive Officer« (CEO) zu nennen und verhält sich auch so: ein Chef mit militärischem Rang, der knallhart Beschlüsse exekutiert. Der neue Titel auf der Visitenkarte verändert nicht nur den Status, sondern auch seinen Blick auf das tägliche Tun. Die treue Seele des Unternehmens, genannt der Mitarbeiter, erscheint nun als »Human Resource« oder »Humankapital« und zugleich als größter Kostenfaktor. Der Erfahrungsschatz und die Loyalität von Dienstleistern sind zwar gute Argumente, passen aber nicht in Excel-Charts und werden mittels technologischer Einkaufsprozesse rausautomatisiert.

Der günstigste Einkaufspreis allein ist die Trophäe, die es zu jagen gilt. Die Einkaufsabteilung wird zur gnadenlosen Preisdrückerkolonne. Globalisierung verlängert zwar die Lieferzeiten, aber billige Arbeitskraft und Just‑in-time-Lieferungen kompensieren das mit Leichtigkeit. Gewachsene Strukturen und Vertrauensverhältnisse gelten nicht mehr als Kapital, sondern als Bremse für Kostensenkungen. Das alljährliche Heben neuer Einsparpotenziale wird zur Kernkompetenz der Vorstandsetagen rund um den Globus.

“Durch die Konzentration auf den Profit hat der Manager, der Endoptimierte, die Menschen verloren. Und die Menschen ihrerseits verloren den Glauben an das Unternehmen, seine Führung und den Wert seiner Arbeit für die Gesellschaft”

Stefan setzt seine Jobbeschreibung makellos um. Er optimiert und funktioniert. Nie waren Börsenkurse, Unternehmensbewertungen und das eigene Gehalt so hoch wie heute. Ein echtes Erfolgsmodell, der Manager – auch in der modernen Variante als CEO.

Entsprechend verbreitet sich das CEO-Virus in Windeseile und infiziert alle Sitznachbarn im großen Konferenzraum. Die gesamte Führungselite der Welt wird befallen und verändert nun ihr Wesen. Sie wird zum C‑Level. Führung auf höchstem Niveau. Man sitzt jetzt nicht nur im selben Boot, sondern auch New-Work-like am selben Tisch: CEO (Chef), CFO (Finanzen), CHRO (Personal), CTO (Technik), CSO (Sales, wichtig) und – die Welt wird komplizierter – COO (Organisation). Am langen Ende des Tisches sucht dieser Tage der Tekki noch seinen Platz, der CDO (Digitales). Er ist allerdings noch in der Probezeit und muss sich unter seinesgleichen erst bewähren. Aber auch der Nerd will heute Manager sein.

Das C‑Level ist die höchste Sprosse der Karriereleiter. Die Officer haben die totale Kontrolle im Unternehmen übernommen und ihre Hände an allen Hebeln der Macht. Eine Karriere wie die von Werner Wenning, dem langjährigen CEO und Aufsichtsratschef der Bayer AG, der mit der Ausbildung zum Industriekaufmann startete, ist heute undenkbar. Jetzt sind Hochschulstudium und Doktortitel schon fürs Betriebspraktikum und das Traineeprogramm notwendig. Theorie schlägt Praxis. Die Riege ehemaliger Berater aus Firmen der McKinsey-Schmiede bildet die größte Gruppe der heutigen Führungselite in der DAX Welt. Success made by PowerPoint. Effizienz als Formel des Erfolgs. Auch des eigenen.

“Er fühlt sich von allen bewundert und todschick im Maßanzug, aber in Wahrheit steht der CEO ziemlich nackt da. Er und seine Freunde sind in der eigenen Denkfalle gefangen. Wer sagt es ihnen?”

Allerdings war die maximale Fokussierung auf Kostenreduktion, Unternehmenswert und Börsenkurs nicht ohne Nebenwirkung zu haben: Durch die Konzentration auf den Profit hat Stefan, der Endoptimierte, die Menschen verloren. Und die Menschen ihrerseits verloren den Glauben an das Unternehmen, seine Führung und den Wert seiner Arbeit für die Gesellschaft. Folgerichtig erleben die Goldjungs der Wirtschaft jetzt mit Schrecken, dass sich die Ära des zahlenfixierten Topmanagers dem Ende zu‑ neigt. Eine Erkenntnis, die Stefan und seine Freunde unerwartet und mit Wucht trifft. Der Manager versteht die Welt nicht mehr. Just in dem Jahr, in dem Martin Winterkorn Volkswagen zum größten Automobilkonzern der Welt hochgefahren hatte, musste er seinen Dienstwagen vom Hof schieben. Bayer-CEO Werner Baumann hatte beim Kauf des Chemieriesen Monsanto die Börsenstory im Blick, sich aber beim juristischen Widerstand der Glyphosat-Kläger in den USA und dem gesellschaftlichen Widerwillen verkalkuliert. Management-Vorreiter Joe Kaeser zerlegte Deutschlands Großkonzern Siemens finanzgerecht, hatte seine Rechnung jedoch ohne die Millennials und die Schülersprecherinnen gemacht.

Nahezu alle deutschen Vorzeigekonzerne und ihre Kapitäne waren schon vor Corona in Erklärungsnot geraten: Deutsche Bank, Bayer, Volkswagen, ThyssenKrupp, Commerzbank, Continental, E.ON, RWE, Lufthansa, Daimler, BMW. Jeder ringt mit sich, seinem Geschäftsmodell und den Erwartungen aktivistischer Investoren, kritischer Mitarbeiter und einer Gesellschaft voller Ansprüche. Was sie nicht sehen, von außen aber erkennbar ist: Sie haben ihre Unternehmen börsentechnisch wertvoll, aber sinnentleerter gemacht. »Des Managers neue Kleider« heißt das Märchen. Er fühlt sich von allen bewundert und todschick im Maßanzug, aber in Wahrheit steht der CEO ziemlich nackt da. Stefan und seine Freunde sind in der eigenen Denkfalle gefangen. Wer sagt es ihnen? Wir machen mal den Anfang:

Lieber Stefan, eure Lieblingsfloskel wirkt nicht mehr. Wenn inzwischen jeder Mitarbeiter »out of the box« denken muss, damit sich etwas bewegt, dann ist die Box das Problem. Buchführung ist etwas anderes als Führung. Nach über einem halben Jahrhundert hocheffizienter Unternehmenssteuerung ist es jetzt so weit: Ihr müsst euch neu erfinden. Es ist Zeit, eure Ideensegel zu hissen, einen neuen Kurs einzuschlagen und sich über die Grenzen der eigenen Erkenntnis hinauszuwagen. Ihr werdet erkennen: Hinter eurem eigenen Erfahrungshorizont geht es weiter.

Mehr von Frank Dopheide bei DDW:

Frank Dopheide war u.a Chairman von GREY Worldwide sowie zuletzt Sprecher der Geschäftsführung der Handelsblatt Media Group. 2020 gründete der die Purpose-Agentur human unlimited. https://humanunlimited.de/

8 Antworten zu “Gott ist ein Kreativer. Kein Controller.”

  1. Ein sehr schöner Beitrag, der nachdenklich macht.
    Vielleicht ist diese Analyse auch der Grund, warum die Wirtschaft nur noch so wenig Einfluss auf die Politik hat, welche ja die Gesellschaft darstellt. Die Wirtschaft hat den Kontakt zur Gesellschaft verloren.
    Doch dieser Zustand durchzieht die gesamte westliche Welt.
    Was ist die Lösung?
    Sind andere Systeme auf dieser Welt, mit anderen ökonomischen und gesellschaftspolitischen Modellen im Vorteil?

  2. Sehr treffend!
    Wichtig sind heute Zahlen und Erfolge (kurzfristig, auf dem Papier) – Unterschriften unter Dokumenten sind wichtiger als Qualität, Planbarkeit und Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter.
    So ist jeder in den verschiedenen Management-Ebenen (juristisch) abgesichert und für nichts haftbar zu machen. Und wenn es ganz schlimm kommt gibt es ja immer noch den “goldenen Fallschirm”. Bloß leider nicht für die, die den ganzen Schlamassel ausbaden müssen.

  3. … auf den Punkt gebracht. Danke für diesen Beitrag …. bliebe noch nachzutragen, wer soll sich um die Kaufkraft der Konsumenten kümmern, wenn “Kostenfaktor Mensch” immer mehr eliminiert wird? Immer die anderen?

  4. Ich bin der Meinung, dass die Wirtschaft im Land des Lobbyismus durchaus nicht den Kontakt zur Politik verloren hat. Eher im Gegenteil ….

  5. …nicht nur herrlich und erfrischend zu lesen!
    Frank Dopheide sollte mehr und oft in Hörsälen seine Sicht referieren.
    Auch wenn sicher eine gute Portion Ironie dabei ist, es birgt neben Nachdenklichem mindestens eben soviel Tiefsinn.
    Danke- sehr Empfehlenswert!

  6. —-seit x-Jahren erkennbar bekannt und Sinn- wie Zukunftslos verdängt. ” Betriebswirtschaftsleere ” vom NZZ – Verlag aus 2016
    bestätigt das.

  7. Unterhaltsam geschrieben und zu lesen – aber im Kern tieftraurig. Wenn Geld und Macht – nämlich Wirtschaft und Politik – , zum Selbstzweck verkommen, sind Gesellschaft und Demokratie in Gefahr.

  8. Leider wieder so ein medial-ideologisierter sinnlos Beitrag. Herr Dopheide hat weder das Zitat von Friedman richtig übersetzt oder verstanden (es geht darum, unter allen Rahmenbedingungen profitabel zu bleiben – da gehören natürlich Umweltauflagen, Tarifbeschränkungen und Gesellschaftsauftrag dazu) noch hat er in den letzten 20 Jahren mal ein Unternehmen von innen gesehen. Green Controlling und Öko-Bilanzen gehören genauso zum Standardrepertoire wie Corporate Social Responsibility Kennzahlen und Gleichberichtigung.
    Gott bewahre, dass solche Typen in die Hörsäle kommen, linker frustrierter Spinner und weit weg vom C-Level…

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