Professor Dr. Hermann Simon zur Preisfindung

Wie man den besten Preis erzielt

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Wie findet man den richtigen Preis für sein Produkt oder seine Leistung? Wohl kaum einer gilt weltweit als größerer Experte auf diesem für den unternehmerischen Erfolg entscheidenden Feld als Professor Dr. Dr. Hermann Simon. Der Mitgründer des Beratungshauses Simon – Kucher & Partners beschreibt die Grundlagen des Preismanagements.

Unzählige Male wurde ich gefragt, was der wichtigste Aspekt im Preismanagement sei. Meine Antwort lautete stets: »Der Wert«, oder auch: »Der Kundennutzen«. Die Preisbereitschaft des Kunden und der damit vom Anbieter erzielbare Preis sind immer die Widerspiegelung des vom Kunden wahrgenommenen Wertes oder Nutzens eines Produktes. Sieht der Kunde einen höheren Wert, ist er bereit, mehr zu zahlen. Ist der wahrgenommene Wert hingegen niedriger als bei einem Konkurrenzprodukt, so kauft er nur, wenn sein Preis ebenfalls niedriger ist. Im Hinblick auf den erzielbaren Preis ist also nur der subjektiv wahrgenommene Wert des Kunden relevant. Alle anderen Werttheorien (etwa die Arbeitswerttheorie von Karl Marx, der zufolge der Wert eines Produktes sich aus der hineingesteckten Arbeit ableitet), kann man vergessen.

Wert und Preis sind dasselbe

Die alten Römer haben diesen fundamentalen Zusammenhang verstanden. Denn die lateinische Sprache hat dasselbe Wort für Wert und Preis: pretium. Interpretiert man diese Identität wörtlich, so sind Wert und Preis dasselbe. Und diese Auffassung ist fürwahr keine schlechte Leitlinie für das Herangehen an Preisprobleme. Denn sie legt nahe, sich zunächst mit dem Wert in den Augen des Kunden zu befassen. Daraus ergeben sich drei wichtige Aufgaben:

  • Wert schaffen: eine Herausforderung für Innovation, Beschaffenheit des Materials, Produktqualität, Design und so weiter.
  • Wert kommunizieren: Diese Aufgabe umfasst Aussagen zu Produkt, Positionierung und nicht zuletzt die Marke. Auch Verpackung,
    Darbietung, Platzierung im Laden und so weiter lassen sich dieser Aufgabe zurechnen.
  • Wert erhalten: Hier geht es um die Nachkaufphase. Bei Luxusartikeln oder dauerhaften Konsumgütern wie Automobilen liefert die Werterhaltung einen entscheidenden Beitrag zur Preisbereitschaft beim Erstkauf.

Erst wenn ein Anbieter über den Wert Klarheit gewonnen hat, sollte er an die Preissetzung herangehen. Und für den Nachfrager ist die Beschäftigung mit dem Wert gleichermaßen wichtig. Nur wenn man den Wert kennt, wird man als Käufer nicht über den Tisch gezogen und zahlt nicht zu viel. Die Kenntnis des Wertes schützt einen vor dem Kauf eines Produktes, das auf den ersten Blick nach einem Schnäppchen aussieht, sich aber später als »Zitrone« herausstellt.

„Den Preis vergisst man, die Qualität bleibt“

Buch "Zwei Welten, ein Leben"
Hermann Simon hat gerade seine Autobiographie veröffentlicht, der dieser Text entnommen ist: „Zwei Welten, ein Leben. Vom Eifelkind zum Global Player“ ist im Campus Verlag erschienen (32 Euro, ISBN 9783593509167)

Der berühmte spanische Aphoristiker Baltasar Gracian (1601–1658) hat dies in seinem Handorakel in höchst einsichtsreicher Weise ausgedrückt: »Es ist besser im Preis als in der Ware betrogen zu werden.« Wenn ein Händler uns beim Preis über den Tisch zieht, uns das Produkt also zu teuer verkauft, dann ist das ärgerlich. Aber dieser Ärger ist temporär. Dreht der Händler uns hingegen eine schlechte Ware an, dann bleibt der Ärger ein ständiger Begleiter, bis wir uns des Produktes endlich entledigen, weil wir seiner überdrüssig sind. Die Moral aus dieser Einsicht: Achten Sie bei Kauf und Verhandlung mehr auf die Ware als auf den Preis. Allerdings ist das nicht einfach. Der Preis ist eine eindimensionale oder allenfalls eine geringdimensionale Größe, die Ware hingegen ist vieldimensional und insofern schwerer zu beurteilen.

In eine ähnliche Richtung zielt die französische Weisheit: »Le prix s’oublie, la qualité reste«. Den Preis vergisst man, die Qualität bleibt. Wer hat diese einfache, tiefe Wahrheit nicht selbst erfahren? Preis als ephemere, oft schnell vergessene Größe, hingegen Wert und Qualität als etwas Dauerhaftes. Wer hat sich nicht schon vorschnell gefreut über einen niedrigen Preis, darüber, ein Schnäppchen ergattert zu haben, um erst später zu bemerken, von welch mieser Qualität das scheinbar so günstige Produkt war? Und umgekehrt: Wer hat nicht schon beim Kauf mit einem hohen Preis gehadert und durfte später zu seiner Freude feststellen, dass er hervorragende Qualität erworben hat? Der englische Sozialreformer John Ruskin (1819–1900) hat den gleichen Sachverhalt ebenfalls präzise beschrieben: »Es ist unklug, zu viel zu bezahlen, aber es ist noch schlechter, zu wenig zu bezahlen. Wenn Sie zu viel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das Risiko, das Sie eingehen, etwas hinzurechnen. Und wenn Sie das tun, dann haben Sie auch genug Geld, um für etwas Besseres zu bezahlen.«

Eine Lektion auf dem elterlichen Bauernhof

Eine Erfahrung, die diese Aussagen bestätigte, machte ich als Jugendlicher. Da die landwirtschaftlichen Betriebe in unserem Dorf sehr klein waren, teilten sich jeweils zwei oder drei Bauern einen Mähbinder. Das bedeutete, dass man dem anderen Bauern beim Ernten des Getreides helfen musste. Dazu hatte ich mit Sechzehn keine Lust mehr. Deshalb kaufte ich, ohne meinen Vater zu fragen, bei einem Bauern, der seinen Betrieb aufgab, für 800 D-Mark (409 Euro) einen gebrauchten Mähbinder. Dieser Preis erschien mir sehr günstig. Die Maschine war ziemlich neu und in gutem Zustand. Ich war stolz, ein echtes Schnäppchen ergattert zu haben. Leider stellte sich bei der Ernte heraus, dass die Maschine, die mit einem neuen System arbeitete, sehr störanfällig war. Der günstige Preis war schnell vergessen, der Ärger mit der Maschine blieb, bis wir sie nach zwei Jahren stilllegten. Ich hatte meine Lektion gelernt: Le prix s’oublie, la qualité reste. Ob öffentliche Auftraggeber, die in der Regel den billigsten Bieter nehmen, diese Weisheit und das Zitat von Ruskin kennen?

Am Anfang der Preis

Bei Neuentwicklungen ist oft das umgekehrte Vorgehen angezeigt. Statt das Produkt zu entwickeln und dann über den Preis zu entscheiden, kann es ratsam sein, sich zuallererst über den erzielbaren Preis Gedanken zu machen. Dieses Vorgehen des »zuerst der Preis« steht im Mittelpunkt des Buches Monetizing Innovation, das meine Partnerkollegen Madhavan Ramanujam und Georg Tacke geschrieben haben. Sie schlagen vor, das Produkt um den Preis herum zu entwickeln. So lassen sich gravierende Fehler, die in der Praxis immer wieder vorkommen, vermeiden. Eine häufige Variante nennen die Autoren »Feature Shock«, auf Deutsch entspricht dem etwa die »eierlegende Wollmilchsau«. Zu viele Funktionen werden in ein Produkt hineingepackt. Der Versuch, allen alles zu bieten, führt letztlich dazu, dass man für niemanden das wirklich passende Produkt hat und zudem der Preis in Höhen getrieben wird, die am Markt keine Akzeptanz finden.

„Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Wenn Sie zu viel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren Sie manchmal alles“

Ein Beispiel war das »Fire« genannte Smartphone von Amazon, das alleine vier Kameralinsen hatte, um Gesichtserkennung zu ermöglichen. Dieses Produkt wurde im Juli 2014 zu 199 Dollar eingeführt. Vier Monate später senkte Amazon den Preis auf 99 Cent. Dennoch floppte das Produkt und Amazon musste 170 Millionen Dollar abschreiben. Eine weitere Kategorie sind Produkte, die niemand wirklich braucht, insbesondere, wenn sie dann auch noch teuer sind. Viele technologische Wunderwerke fallen in diese Kategorie. Ein Beispiel ist der sogenannte Personal Transporter Segway. Als diese Innovation eingeführt wurde, kündigte der Erfinder Dean Kamen an, im ersten Jahr 50 000 Einheiten zu verkaufen. Sechs Jahre später hatte er 30 000 Stück verkauft, aber nicht pro Jahr, sondern eben in sechs Jahren, also 5 000 pro Jahr. Die ursprüngliche Prognose wurde um 90 Prozent verfehlt. Als Hauptursache kann der horrend hohe Preis gelten. Das Produkt wurde zu 5 000 Dollar und je nach Version zu Preisen von bis zu 7 000 Dollar angeboten. Offensichtlich lag der wahrgenommene Nutzen weitaus niedriger. Das römische Pretium, das Wert-Preis-Prinzip, war miss achtet worden.

Preismanagement: Pionier Porsche

Meines Erachtens bilden Firmen, die bei der Produktentwicklung mit dem Preis beginnen, nach wie vor eine Minderheit. Ein Pionier auf diesem Gebiet ist Porsche. Nur wenige Unternehmen in der Autoindustrie und in anderen Branchen beschäftigen sich in derartiger Konsequenz mit dem Preis, bevor in die Entwicklung eines neuen Produktes investiert wird. Madhavan und Tacke schildern das Vorgehen am Beispiel des Cayenne: »Lange bevor das erste Konzeptmodell in Weissach fertig war, führte das Entwicklungsteam eingehende Studien mit potenziellen Kunden durch, dort wurden die Einstellungen zu einem Porsche-SUV und zu einer angemessenen Preislage erfasst. Die Analysen ergaben, dass die Zahlungsbereitschaft für ein Porsche-SUV höher war als für vergleichbare Fahrzeuge anderer Hersteller. Die Chance, einen Hit zu landen, deutete sich an.«14 Porsche ist nicht zufällig der profitabelste Autohersteller – und eine unserer interessantesten Erfahrungen.

Hermann Simon ist international gefragter Managementvordenker, erfolgreicher Unternehmer und Pricing-Spezialist. Als Entdecker der „Hidden Champions“, der unbekannten Weltmarktführer, hat er in wenigen Jahrzehnten selbst die international erfolgreichste deutsche Beratung aufgebaut: Simon-Kucher & Partners mit Sitz in Bonn ist heute der Weltmarktführer für Preismanagement.

 

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