
Hayek und der „Sozialismus im 21 Jahrhundert“
Es ist eines der zentralen Bücher zur wirtschaftlichen Freiheit und den Folgen planwirtschaftlicher Konzepte: Friedrich August von Hayeks „Weg zur Knechtschaft“. 1944 erschienen, ist es auch heute noch aktuell.
Von Dr. Dr. Rainer Zitelmann
Hayek hatte sein Buch „Road to Serfdom“ (deutsch: „Weg zur Knechtschaft“) an drei amerikanische Verlage geschickt, aber alle hatten abgelehnt. Er freute sich, als ein Freund den Kontakt zu dem Verlag University of Chicago Press herstellte, der im September 1944 das Buch dann doch noch in den USA publizierte. Freilich betrug die Startauflage nur 2000 Exemplare. Kein Wunder, denn wie konnte man erwarten, dass sich viele Amerikaner für ein Buch interessieren würden, das als Antwort auf die Ideen des britischen Ökonomen und Politikers William Beveridge für den Aufbau eines sozialen Sicherungssystems in Großbritannien verfasst worden war?
Doch schon ein Jahr später fand es Millionenfache Verbreitung in den USA durch eine komprimierte Fassung, die in Reader’s Digest erschien. Bis heute wurde es in 20 Sprachen übersetzt und mehrere Millionen Mal verkauft. Offenbar hatte Hayek einen Nerv getroffen. In den 40er-Jahren hatte sich in Europa und den USA immer stärker der Staatsinterventionismus durchgesetzt. Ähnlich wie heute dominierte die Meinung, der Staat müsse stark in die Wirtschaft eingreifen, durch hohe Steuern und ein enges Netz an Regulierungen. Hinzu kam, dass viele Intellektuelle glaubten, der Nationalsozialismus sei eine Herrschaftsform des Kapitalismus. Der Philosoph Max Horkheimer, Mitbegründer der Frankfurter Schule, hatte die Formulierung geprägt: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“
Geistige Verwandtschaft von Sozialismus und Nationalsozialismus

Hayek erklärte später, sein Buch sei in erster Linie an jene Kreise der sozialistischen Intelligenz Englands gerichtet gewesen, die im Nationalsozialismus eine Reaktion gegen die sozialistischen Tendenzen sahen, während er in Wahrheit als zwangsläufige Folge jener Bestrebungen begriffen werden müsse. Nicht nur Sozialisten, die das Wort „Nazi“ oder „Faschismus“ verwendeten und den Begriff „Nationalsozialismus“ konsequent mieden, bestritten die geistige Verwandtschaft beider Ideologien bzw. Systeme. Heute wissen wir – was Hayek damals noch nicht wissen konnte – dass Hitler zunehmend ein Bewunderer des planwirtschaftlichen Systems in der Sowjetunion geworden war. Im internen Kreis verteidigte Hitler 1942 vehement die sowjetische Planwirtschaft: „Auch vor Stalin müsse man unbedingten Respekt haben. Er sei in seiner Art schon ein genialer Kerl… und seine Wirtschaftsplanung sei so umfassend, dass sie wohl nur von unseren Vierjahresplänen übertroffen werde. Es steht für ihn außer jedem Zweifel, dass es in der UdSSR, im Gegensatz zu den kapitalistischen Staaten wie etwa den USA, Arbeitslose nicht gegeben habe.”
Im Juli 1941 sagte Hitler: „Freilich lässt sich ein sinnvoller Einsatz der Kräfte eines Volkes nur mit einer Planwirtschaft von oben her erreichen.“ Und: „Was die Planmäßigkeit der Wirtschaft angeht, stehen wir noch ganz in den Anfängen und ich stelle mir vor, es ist etwas wunderbar Schönes, eine gesamtdeutsche und europäische Wirtschaftsordnung aufzubauen.“
Nationalsozialismus wie ein Vorläufer des modernen Sozialismus
Hayek betonte in seinem Vorwort im Jahr 1971, dass er sich in seinem Buch vor allem mit dem klassischen Sozialismus auseinandersetzte, dessen Ziel es war, die Produktionsmittel zu verstaatlichen. Der Nationalsozialismus war jedoch in wirtschaftlicher Hinsicht so etwas wie ein Vorläufer des modernen Sozialismus, der nicht mehr alles verstaatlichen will, sondern formal das Rechtsinstitut des Privateigentums beibehält. Das Privateigentum wird jedoch mehr und mehr ausgehöhlt und wird schließlich ein Rechtstitel, der eigentlich kein Recht mehr begründet, weil der Unternehmer mehr und mehr zum Befehlsempfänger des Staates wird.
Hitler hatte diese Philosophie in einer Rede im Mai 1937 so auf den Punkt gebracht: „Ich sage der deutschen Industrie zum Beispiel: ‚Ihr müsst das und das jetzt schaffen.’ Ich komme darauf dann zurück im Vierjahresplan. Wenn mir die deutsche Wirtschaft antworten würde: ‚Das können wir nicht’, dann würde ich ihr sagen: ‚Gut, dann übernehme ich das selber, aber das muss geschafft werden.’ Wenn mir aber die Wirtschaft sagt: ‚Das machen wir’, dann bin ich sehr froh, dass ich das nicht zu übernehmen brauche.“
Hayeks Buch enthält noch eine zweite wichtige These: Dem Verlust der wirtschaftlichen Freiheit folge der Verlust der geistigen und der politischen Freiheit. Kritiker wandten ein, dass seine Befürchtungen nicht eingetreten seien. Wenngleich Großbritannien sich nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr zum Modell des „demokratischen Sozialismus“ entwickelte – mit extrem hohen Steuern und vielen Verstaatlichungen -, blieb die politische Freiheit erhalten. Die ökonomischen Konsequenzen für Großbritannien waren zwar fatal (und wurden erst durch Margaret Thatcher, eine Bewunderin von Hayek, wieder revidiert), aber der Verlust der politischen Freiheit trat nicht ein.
Politisierung aller Lebensbereiche
Hayek befürchtete eine Politisierung aller Lebensbereiche: Er schieb in seinem „Weg zur Knechtschaft“, dass sogar die reine Mathematik nicht verschont bleibe und selbst das Festhalten an bestimmten Ansichten über die Natur verdammt werde. Man sieht, welche Aktualität das Buch gerade heute hat. Die wirtschaftliche Freiheit ist – anders noch als in den 80er und 90-Jahren – fast überall auf der Welt im Rückzug. Der Glaube an „Industriepolitik“ dominiert in China, den USA und Europa. Gleichfalls ist die geistige Freiheit in Gefahr, weil Vertreter einer „woke“-Ideologie sämtliche Lebensbereiche politisieren wollen. Die von Hayek als Beispiel genannte Mathematik gilt manchen Vertretern dieser Ideologie heute als „rassistisch“ und wer behauptet, dass es nur zwei Geschlechter gebe, braucht heute an manchen Universitäten eine gehörige Portion Mut.
Kritiker von Hayek haben Recht, dass der Verlust wirtschaftlicher Freiheit nicht zwangsläufig sofort zum Verlust politischer und geistiger Freiheit führen muss. Aber gerade das jüngste Beispiel von Venezuela, wo genau das geschah, zeigt, dass Hayek zu Recht davor warnte: Zuerst ging in dem noch vor 25 Jahren von vielen Intellektuellen gepriesenen Venezuela („Sozialismus im 21 Jahrhundert“) die wirtschaftliche Freiheit verloren und dann die politische Freiheit.
- Reihe “Weltreise eines Kapitalisten” von Rainer Zitelmann auf DDW
- Subventionen auf Rekordhoch – höchster Ausgabenposten des Staates
- Wohlstand und Armut von Nationen
Der Artikel erschien zuerst im Wall Street Journal.
Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe – und war auch als Unternehmer und Investor erfolgreich. Er hat 29 Bücher geschrieben und herausgegeben, die in über 30 Sprachen übersetzt wurden (zuletzt “Weltreise eines Kapitalisten“, “Der Aufstieg des Drachen und des weißen Adlers: Wie Nationen der Armut entkommen“, “Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“). In den vergangenen Jahren schrieb er Artikel oder gab Interviews in führenden Medien wie Wall Street Journal, Times, Le Monde oder Corriere della Sera. Seit kurzem kann auch eine Master-Class “Finanzielle Freiheit – Schluss mit der Durchschnittsexistenz” belegt werden.
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