Hochschulen leisten zu wenig für unser Wirtschaftswachstum
Europas Hochschulen haben das Zeug dazu, wie in den USA echte Startup-Schmieden zu sein – doch nur wenige schöpfen dieses Potenzial wirklich aus. Und wieder ist es leider vor allem Deutschland, das hinterherhinkt.
Von Professor Dr. h.c. mult Roland Koch
Lassen Sie mich den Gedanken über die mangelnden Beiträge der deutschen Hochschulen zu Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit mit einem Beispiel aus dem US-Bundesstaat Wisconsin beginnen, den ich ganz gut kenne, denn dieser Bundesstaat ist seit gut 50 Jahren der Partnerstaat Hessens.
Die University of Wisconsin–Madison gilt als früher Vorreiter bei der kommerziellen Verwertung von Forschungsergebnissen. Bereits 1925 wurde die Wisconsin Alumni Research Foundation (WARF) gegründet, um Entdeckungen zu patentieren und Einnahmen hieraus der Universität zugute kommen zu lassen. Dieses Modell – eine stiftungsähnliche Einrichtung getrennt von der Universität – war revolutionär und ermöglichte u. a. die Vermarktung eines Verfahrens zur Vitamin-D-Anreicherung von Lebensmitteln in den 1920er Jahren. Durch Patenterlöse wuchs das Kapital von WARF stetig an. Heute trägt der Technologietransfer spürbar zur Finanzstruktur der Universität Madison bei. Im Jahr 2024/25 stellt WARF 159,8 Mio. Dollar zur Verfügung. Ein Betrag, über den sich jede deutsche Hochschulleitung freuen würde.
Wären alle Universitäten so effizient wie die europäischen Spitzenreiter, könnten in den nächsten zehn Jahren 327.000 zusätzliche Startups entstehen – mit gigantischen wirtschaftlichen Effekten
Europa hat schlechte Zahlen – Deutschland ist weit hinten
Auch Europas Hochschulen haben das Zeug dazu, echte Startup-Schmieden zu sein – doch nur wenige schöpfen dieses Potenzial wirklich aus. Das zeigt der neue Redstone University Startup Index 2025, erstellt von der Risikokapitalgesellschaft Redstone, dem Thinktank Alp Momentum aus München und der RWTH Aachen. Und wieder ist es leider vor allem Deutschland, das hinterherhinkt. Schaut man sich die Gründungsaktivitäten für privatwirtschaftliche Einheiten, wir nennen sie Start-Ups in Europa, an, dann sieht man sehr große Unterschiede. An der Spitze liegt die Technische und Wirtschaftswissenschaftliche Universität Budapest mit 35 Startups pro 100 Millionen Euro Jahresbudget.
Es schlummern unglaubliche Potenziale
Wären alle 905 im Index untersuchten Universitäten so effizient wie die Spitzenreiter, könnten in den nächsten zehn Jahren 327.000 zusätzliche Startups entstehen – mit gigantischen wirtschaftlichen Effekten: 13,1 Millionen neue Jobs, 880 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen und ein Plus von 5,5 Billionen Euro beim Bruttoinlandsprodukt. Natürlich ist das eine sogenannte „Milchmädchen-Rechnung“, aber in einer Zeit der eher depressiven Wachstumszahlen und der Mobilisierung eigenständiger europäischer Kräfte zeigt sie das ganze faszinierende Potenzial.
Der Blick auf einzelne Länder in Europa zeigt die großen Unterschiede. Frankreich dominiert mit 16 Startups pro 100 Millionen Euro, gefolgt von Spanien (11) und England (10). Deutschland bleibt mit 4,7 Startups deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 8,2. Als deutsche Universität ist allein die private Business School WHU unter den europäischen in den Top 20. Die ernüchternden Zahlen verweisen zugleich auf Deutschlands enormes Potenzial. In der Übertragung der Idealrechnung müssten bei uns in den kommenden zehn Jahren mehr als 73.000 zusätzliche Gründungen entstehen können.
Hausgemachte Probleme müssen zuhause gelöst werden
Wenn nach den Gründen gesucht wird, warum das gigantische anwendungsorientierte Wissen nicht zu wirtschaftlichen Aktivitäten führt, werden schnell alle allgemein bekannten deutschen Probleme genannt. Ein schwieriger und übervorsichtiger Kapitalmarkt, ein für Startups ungünstiges Arbeitsrecht, die Bürokratie. Aber es gibt sehr konkrete Stellschrauben, wie deutsche Hochschulen ihr Wissen besser vermarkten können.
Ein zentrales Hindernis ist häufig die Frage, wessen Eigentum eine Erfindung ist. Zu lange war das wichtigste Ziel der Hochschulen, möglichst schnell möglichst viel Geld durch Lizenzgebühren zu erlangen. Es ist offensichtlich, dass dies Startups überfordert. Sie kommen ohnehin schwer ans Geld und sollen dann schon ohne Markterfolg zuerst zahlen. Andererseits ist ein Startup ohne eigene Patente für Investoren uninteressant. Die Technische Universität Darmstadt und die Bundes-Innovationsagentur SPRIND haben jetzt ein Konzept vorgestellt, das Eigentum an den Patenten mit virtuellen Anteilen der Hochschule an den Startups zu bezahlen. Das wäre eine Win-Win-Situation, auch wenn das für beamtete Universitätspräsidenten ein ganz neuer Blickwinkel sein wird, denn sie dürfen auf einmal auf wirtschaftlichen Erfolg ihrer Erfindungen hoffen, ohne selbst Unternehmer werden zu müssen.
Mit der Finanzierung von Startup-Zentren, wie es die Münchner UnternehmerTUM-Initiative ist, will die Bundesregierung jetzt beginnen. Gesonderte Fonds der Universitäten könnten langfristig nicht nur die Startups, sondern, wie in Wisconsin, auch die Aufgaben der Universitäten mitfinanzieren. Wenn dann noch das Steuerrecht passt und beim Scheitern des Projekts in den ersten fünf Jahren auch keine hohen Sozialplan-Kosten entstehen, kann das bei der Qualität der Wissenschaftler und der jungen Unternehmer funktionieren.
Es gibt eine ökonomische Verantwortung der Hochschulen
Da die deutschen Hochschulen sich im Gegensatz zu vielen anderen in der Welt immer sehr vom „kapitalistischen“ Ansatz der Verwertbarkeit ihrer Ideen distanziert hatten, ist das sicher nicht für alle ein leichter Weg. Der an die USA verlorene D-Player im deutschen MP3-Format oder die mRNA-Erfolge in Mainz zeigen ja, was möglich wäre. Im Interesse der eigenen Hochschulkasse und im Interesse unserer Volkswirtschaft ist diese unternehmerische Rolle nötig. Die unerlässlichen Anstrengungen zu unserer Landesverteidigung machen auch dort die ganze Forschungs- und Entwicklungskraft der Hochschulen unverzichtbar. Sogenannte Zivilklauseln, die militärisch und auch militärisch nutzbare Forschung von den Hochschulen fernhalten wollen, müssen der Vergangenheit angehören. Auch hier liegen wichtige wirtschaftliche Chancen, wie wir an den Startups, die schon heute aus Deutschland den Kampf der Ukraine unterstützen, sehen können.
Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD steht der Hoffnung gebende Satz: „Wir ermöglichen Ausgründungen in 24 Stunden und führen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen verbindlich standardisierte Ausgründungsverträge ein, die insbesondere Nutzungsrechte von geistigem Eigentum gegen einen marktüblichen Anteil ermöglichen“. Mit gutem Willen ist damit das Darmstädter Modell machbar und die Aufholjagd könnte beginnen.
Jobs, Steuereinnahmen, Wachstum – die Hochschulen als Treiber des Potenzialwachstums
Zum Schluss zurück nach Wisconsin. Laut einer aktuellen Analyse der University of Wisconsin Alumni Association stützen über 400 in Wisconsin ansässige Unternehmen mit Universitäts-Wurzeln insgesamt mehr als 232.000 Arbeitsplätze und tragen pro Jahr rund 30,8 Mrd. Dollar zur Wirtschaftsleistung des Bundesstaates bei. Damit einher gehen jährliche Steuereinnahmen von etwa 1 Mrd. Dollar für Staat und Kommunen. Diese Werte beinhalten sowohl direkte Effekte (Jobs in den ehemaligen Startups selbst) als auch indirekte, die durch Zulieferer und Konsum entstehen – was die enorme Multiplikatorwirkung unterstreicht. Potential-Wachstum, dass uns in Deutschland nach allen Wirtschaftsgutachten fehlt, ist ein sehr abstrakter Begriff. Hier kann man am Beispiel sehen, was zu tun ist.
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Professor Dr. h.c. mult. Roland Koch ist seit November 2020 Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung. Koch war bis von 1999 bis 2010 Hessischer Ministerpräsident. Altbundeskanzler Ludwig Erhard gründete 1967 die Ludwig-Erhard-Stiftung und gab ihr die Aufgabe, für freiheitliche Grundsätze in Wirtschaft und Politik einzutreten und die Soziale Marktwirtschaft wachzuhalten und zu stärken. Die Stiftung ist von Parteien und Verbänden unabhängig und als gemeinnützig anerkannt. Sie tritt politischem Opportunismus und Konformismus mit einem klaren Leitbild entgegen: Freiheit und Verantwortung als Fundament einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für den mündigen Bürger. Infos





















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