Effektive Partnerschaften für nachhaltigen Unternehmenserfolg

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Reihe „Zeitenwende“ | Unternehmen können die Welt nicht im Alleingang verändern. Damit der Wandel zu mehr Nachhaltigkeit gelingt, müssen Unternehmen mit politischen Entscheidungsträgern, gesellschaftlichen Gruppen, Kunden und Lieferanten zusammenarbeiten. Dieser Artikel skizziert drei Szenarien, wie das gelingen kann.

Bisher in der Reihe „Zeitenwende“ erschienen:

Von Bettina Büchel für I by IMD, der Wissensplattform des International Institutes for Management Development (IMD)

In Europa werden jedes Jahr etwa 40 Millionen Matratzen weggeworfen. Etwa die Hälfte davon landet auf Mülldeponien, da bei der Verbrennung von Polyurethan – dem Material, aus dem Weichschaum hergestellt wird – gefährliche Chemikalien entstehen können. Um das Recycling von Polyurethanabfällen zu erleichtern, hat der Spezialchemie-Konzern Evonik ein innovatives Hydrolyseverfahren entwickelt, durch das die Rohstoffe für die Herstellung neuer Matratzen zurückgewonnen werden können. Doch um diesen Ansatz durchzusetzen und zu einer Kreislaufwirtschaft für Matratzen zu gelangen, muss Evonik mit anderen Systemakteuren zusammenarbeiten. Um die Wertschöpfungskette wirklich zu schließen, müssen auch Rohstofflieferanten, Einzelhändler und Kunden mitziehen. Das beginnt schon damit, dass die Matratzen zunächst gesammelt und die Materialien getrennt werden müssen, bevor das Hydrolyseverfahren angewendet werden kann. Dieses Beispiel zeigt, dass Unternehmen systemische Nachhaltigkeitsinitiativen nicht allein anführen können. Um einen tiefgreifenden Wandel herbeizuführen, müssen sie sich mit unterschiedlichen Interessengruppen zusammenschließen.

Von einem einzelnen Akteur zu einem Multi-Akteurs-Ansatz

In den vergangenen 15 Jahren ist die Nachhaltigkeit von Unternehmen zur gängigen Geschäftspraxis geworden, da Firmen Nachhaltigkeitsberichte herausgeben müssen und Investoren sowie Konsumenten Druck auf sie ausüben, ihrem ökologischen und sozialen Impact mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Studien zeigen, dass Investitionen in nachhaltige ESG-Praktiken zu finanziellen Vorteilen führen können, von niedrigeren Fremd- und Eigenkapitalkosten bis hin zu einer besseren Aktienkursentwicklung. Es gibt auch Hinweise darauf, dass eine effizientere Ressourcennutzung (sei es Energie, Wasser oder Abfall) ein starker Indikator für eine bessere finanzielle Leistung ist. Andererseits sind viele Führungskräfte immer noch skeptisch gegenüber diesen finanziellen Vorteilen und schrecken vor den erforderlichen Anfangsinvestitionen zurück.

In der nächsten Phase müssen Unternehmen dann über ihren eigenen Fußabdruck (die negativen Auswirkungen ihrer Tätigkeit) und ihren Handabdruck (positive Vorteile wie Produkte, Dienstleistungen und Technologien, die die Umweltauswirkungen ihrer Kunden verringern) hinausschauen. Nur dann können sie herausfinden, wie sie als Teil einer Koalition verschiedener Interessengruppen zu einem nachhaltigen Wandel beitragen können.

Der Übergang vom Handeln eines einzelnen Akteurs zum Handeln mehrerer Akteure

Der größte Irrglaube, den es aufzuräumen gilt, ist der, dass ein einzelner Systemakteur die Welt im Alleingang verändern kann. Der erste Schritt auf dem Weg zu einem systemischen Ansatz besteht vielmehr darin, die richtigen Stakeholder zu identifizieren, indem man sie nach Initiativen ordnet.

Jeder dieser Akteure kann eine andere Rolle bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsinitiativen spielen. Forschungsbezogene Akteure wie Universitäten und technische Institute fungieren häufig als Wissensvermittler. Gesellschaftliche Interessensgruppen wie das World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) können hingegen die Rolle eines Prozessbegleiters übernehmen. Weitere Stakeholder können wiederum Akteure des Wandels sein – dies ist häufig der Fall bei der jüngeren Generation, wie das Beispiel Greta Thunberg zeigt. Partner in der Lieferkette oder Unternehmen können als Problemlöser auftreten, während Behörden die Rolle von politischen Akteuren übernehmen. Indem mehrere Akteure eine aktive Rolle in nachhaltigen Initiativen spielen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass nachhaltiger Wandel als gemeinsame Anstrengung angegangen wird.

Der zweite Schritt besteht darin, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Hier habe ich insbesondere
drei Ansätze untersucht:

Investieren

Verstärkte Investitionen in neue Technologien oder Infrastrukturen können die Grundlage für die Umwälzung bestehender Technologien schaffen und zu einem systemischen Wandel beitragen.
Das gilt für alle Branchen. Nehmen Sie das Beispiel Verkehr, wo Elektroautos den Verbrennungsmotor verdrängen, oder die Stromerzeugung, wo Solar- und Windenergie die fossilen Brennstoffe ersetzen. Dies kann auch innerhalb einer bestimmten Branche geschehen, z.B. wenn die chemische Industrie zur Entwicklung eines Polymers beiträgt, das die Lebensdauer von Lithiumbatterien verlängert. Was Unternehmen tun können, um diese Nischeninnovationen zu unterstützen, ist, die Kriterien für neue Geschäftsentwicklungsinitiativen intern zu ändern. Das gelingt, indem sie die Umweltanforderungen für jede Innovationsinitiative deutlich erhöhen.

Aber das reicht häufig noch nicht aus. Innovationen müssen außerdem geschützt werden, da sie eine potenzielle Bedrohung für etablierte Unternehmen darstellen. Während das Produkt anfangs vielleicht ein niedrigeres Leistungsniveau oder höhere Kosten vorweist, wird schnell klar, dass es das Potenzial hat, das bestehende Produkt oder die existierenden Technologie zu verdrängen, wenn man ihm genügend Zeit gibt. Eine Lösung besteht darin, diese bahnbrechenden Innovationen in kleinen Netzwerken von Akteuren zu fördern.

Das können Interessengruppen wie Behörden oder Nichtregierungsorganisationen sein, die die Verbreitung der Innovation außerhalb von Unternehmen und Forschung vorantreiben. Eine kleine Gruppe von Akteuren führt zu einem immer größer werdenden Netzwerk, das die Wahrnehmung der Nutzer verändert. Darüber hinaus kann es „Gelegenheitsfenster“ geben. Das können Großkunden sein, die eine Innovation übernehmen wollen. Es kann aber auch Druck durch die Gesetzgebung sein, der dazu führt, dass eine Nischeninnovation Mainstream wird. Dazu gehört in Deutschland z.B. das deutsche Gesetz zur schrittweisen Abschaffung von Neuwagen mit Verbrennungsmotoren bis 2035.

Lobbyarbeit

Der zweite Ansatz besteht darin, sich aktiv an der institutionellen Politikgestaltung zu beteiligen.
Nehmen wir das Beispiel des Europäischen „Green Deals“. Im Dezember 2019 legte die Europäische Union eine Verpflichtung vor, EU-Emissionen bis 2050 auf netto null zu reduzieren, indem sie sich auf 50 politische Maßnahmen mit rechtsverbindlichen Zielen konzentrierte. Die vier wichtigsten Zielbereiche waren:

  • Klimaneutralität bis 2050
  • Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen durch Verringerung der Umweltverschmutzung
  • Unterstützung von Unternehmen bei der Entwicklung weltweit führender umweltfreundlicher Produkte und Technologien
  • die Sicherstellung eines gerechten und integrativen Übergangs

2600 Interessengruppen haben sich nach Aufforderung der EU aktiv an der Agenda des Green Deal beteiligt. Daneben können Unternehmen auch direkt Einfluss auf die Politik nehmen, indem sie Informationen einholen, mit Beamten in Kontakt stehen, an öffentlichen Anhörungen teilnehmen oder aktiv politische Empfehlungen vorschlagen. Der Green Deal hat auch zu einer größeren Forderung nach Transparenz geführt. Gesetzgeber und Investoren forderten eine standardisierte Methodik für die Nachhaltigkeitsberichterstattung mit vertrauenswürdigen Daten.

So können Unternehmen den langfristigen Wert ihrer Investitionen besser vermitteln und vermeiden, dass ihnen Greenwashing vorgeworfen wird. Das International Sustainability Standards Board (ISSB), das im November 2021 vorgestellt wurde, ist dank dieser Forderung nach mehr Transparenz entstanden. In der Einführungsphase dieses Gremiums können Unternehmen ihren Beitrag zu den neuen Berichtsanforderungen leisten. Ohne die aktive Einbindung der Behörden in den Prozess wird eine Chance verpasst.

Reihe „I by IMD“
Das renommierte International Institute for Management Development (IMD) ist eine der weltweit führenden Akademien für Führungskräfte und Organisationen. So gehört das IMD seit 2012 kontinuierlich zu den Top 3 im weltweiten Financial Times (FT) Executive Education Ranking und zählt seit mehr als 15 Jahren zu den Top 5. Mit dieser Artikelreihe eröffnet DDW seinen Lesern exklusiven Zugang zu ausgewählten Themen durch umfassende Insights und Beiträge führender IMD-Experten. Mehr zu den Möglichkeiten bei IMD

Katalysator

Der dritte Weg besteht darin, exogene Ereignisse als „Kipppunkte (Tipping Point)“ zu nutzen – sei es eine Rezession, ein Krieg oder klimatische Ereignisse wie Überschwemmungen oder Waldbrände. Durch diese exogenen Ereignisse werden bestehende normative Verhaltensregeln in Frage gestellt, und genau dies kann als Chance genutzt werden. Regeln und Artefakte prägen die Akteure, und sie sind nicht nur in der Politik festgeschrieben, sondern auch in den Köpfen sämtlicher Akteure verankert. Wer also die Handlungen dieser Akteure beeinflussen will, muss verstehen, was „angemessene Regeln“ sein könnten. Arbeitnehmer werden zum Beispiel immer lauter und beeinflussen die Agenda von Unternehmen durch Streiks. Die „Global Gen Z and Millennial Survey“ von Deloitte zeigt, dass Millennials eine höhere Loyalität gegenüber ihren Arbeitgebern zeigen, wenn diese sich für Nachhaltigkeitspraktiken einsetzen.

Die Kodifizierung neuer Erwartungen durch Skripte, die unter den verschiedenen Stakeholdern entwickelt wurden, kann zu einer Anpassung der Erwartungen führen. Die Global Knights 100, eine Rangliste der nachhaltigsten Unternehmen der Welt, ist ein Beispiel für eine formalisierte Kodifizierung von Erwartungen. Je mehr diese Erwartungen akzeptiert und im Laufe der Zeit unter den Akteuren geteilt werden, desto eher entstehen neue Normen. Durch die aktive Arbeit an gemeinsamen Erwartungen, an Regeln und Routinen durch Kommunikation können die Stakeholder ihre Darstellungen anpassen. Es ist daher die Aufgabe von Unternehmen, sich aktiv an der Kommunikation neuer Regeln und Normen zu beteiligen und „Krisenmomente“ zu nutzen, um die Erwartungen der Stakeholder zu beeinflussen.

Selbsttest

Bewertung des systemischen Übergangsmanagements unter Beteiligung mehrerer Interessengruppen
Welche Rolle spielen Sie bei der Förderung von Multi-Stakeholder-Nachhaltigkeitsinitiativen?
Beziehen Sie wirklich mehrere Interessengruppen ein, um die Agenda Ihrer Nachhaltigkeitsinitiativen zu gestalten? Und investieren Sie aktiv in diese Initiativen, setzen Sie sich für sie ein oder sind Sie ein Katalysator?

Bewerten Sie auf einer Skala von 1 bis 4, wo Sie in Bezug auf Multi-Stakeholder-Ownership stehen:

  • Sie nutzen Daten, um die aktuelle Situation der Multi-Stakeholder-Beteiligung zu verstehen
  • Sie führen einen Dialog über einen neuen Ansatz oder eine neue Methode für das Engagement beiMulti-Stakeholder-Herausforderungen zum Thema Nachhaltigkeit
  • Sie leisten Rat und finanzielle Unterstützung für systemische Multi-Stakeholder-Nachhaltigkeitspraktiken
  • Sie unterstützen die praktische Umsetzung von systemischen Multi-Stakeholder-Nachhaltigkeitspraktiken

Bewerten Sie den Grad der Handlungsorientierung auf einer Skala von 1-4:

  • Kartierung von Innovationsmöglichkeiten, Verständnis der Gesetzeslandschaft und Bewertung vonKommunikationspraktiken zum Thema Nachhaltigkeit
  • Dialog über neue Ansätze oder Methoden für das Engagement in Nachhaltigkeitsinnovationen,Lobbyarbeit und Kommunikation über Nachhaltigkeitspraktiken
  • Empfehlung zur finanziellen Unterstützung von Nischeninnovationen, Lobbyarbeit und aktiverKommunikation zu katalytischen Ereignissen
  • Praktische Umsetzung von Investitionen in, Lobbyarbeit für und Katalysieren vonNachhaltigkeitspraktiken

Die Bewertung Ihrer derzeitigen Praktiken sollte Ihnen eine Antwort darauf geben, ob Sie nachhaltig in das Multi-Stakeholder-Management des systemischen Wandels investiert haben, indem Sie sich in Nachhaltigkeitspraktiken mit mehreren Akteuren engagieren, die Nischeninnovationen, Lobbyarbeit und Katalysatorwirkung umsetzen.

Mehr Führungsimpulse von IMD auf DDW:

IMD – International Institute for Management Development ist eine private internationale Wirtschaftshochschule mit Sitz in Lausanne (Schweiz) und Singapore. Jährlich lassen sich über 11.000 Führungskräfte und 170 global operierende Unternehmen mit maßgeschneiderten Schulungs- und Entwicklungsprogrammen in den Bereichen Leadership, Management, Digitalisierung und Wertschöpfung weiterbilden.

Bettina Büchel ist Professorin für Strategie und Organisation. Sie ist Expertin für Strategieumsetzung, Entwicklung neuer Geschäftsfelder und Veränderungsmanagement. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Leitung strategischer Transformationsprogramme und die enge Zusammenarbeit mit CEOs beim Aufbau von Fähigkeiten zur Umsetzung strategischer Prioritäten.

 

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