Warum Industrial Tech zum prägenden Treiber für den Standort Deutschland wird

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In welchen Feldern kann in Zeiten vieler schwächelnder Branchen Deutschland wieder eine global führende Rolle einnehmen? In seinem Innovation Report 2024 hat hy, die Consulting Group von Axel Springer, den Bereich der Industrial Tech als historische Chance identifiziert und analysiert. Die Zeit der Daniel Düsentriebs sei gekommen.

Industrial Tech ist in aller Munde, auch wenn es noch häufig unterschiedliche Namen trägt. Die Kombination von vertikalen Innovationen (z.B. LogTech) und horizontalen Innovationen (z.B. Machine Learning und IoT) deutet auf eine industrielle Revolution hin, die über den Begriff Industrie 4.0 hinausgeht.

Unter den Begriff „Industrial Tech” fallen Innovationen, die darauf abzielen, industrielle Fertigungsprozesse zu digitalisieren, zu automatisieren und nachhaltiger zu gestalten. Diese Innovationen betreffen sowohl neue Hard- und Softwarekomponenten in der industriellen Fertigung, als auch die aus neuen Fertigungsprozessen resultierenden Produkte und Materialien. Hierbei wird unterschieden zwischen horizontalen (z.B. KI und IoT) und vertikalen Innovationen (z.B. spezifischen Innovationen in der Logistik), die sich gegenseitig ergänzen und vorantreiben. Industrial Tech wird vor allem durch junge Unternehmen befeuert, die etablierte industrielle Prozesse entlang der Wertschöpfungskette durch moderne Software und/oder andere technologische Innovationen transformieren.

„Industrial Tech ist das neue Narrativ, um Deutschland als innovative Wirtschaftsmacht zu positionieren“

Industrial Tech gibt laut der hy-Studie Antworten auf die großen aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen in Deutschland: Sowohl im Kontext der Energiewende als auch mit Blick auf Ressourcenknappheit könnten technologische Innovationen sowohl auf Produkt- als auch auf Geschäftsmodellseite ein neues Momentum generieren.

Ein „Right to Play im KI Markt, um das auch die US-AI-Player nicht herumkommen“

Um ein besseres Bild der Industrial Tech-Landschaft in Deutschland zu gewinnen, haben die hy-Strategen den Markt in ihrem neuen Innovation Report dekodiert und Interviews mit über 30 Expertinnen und Experten geführt. Sebastian Herzog, Geschäftsführer bei hy, schätzt die Voraussetzungen in Deutschland auf diesen Zukunftsfeldern positiv ein. Deutschland besäße ein enormes Innovationspotenzial, das es jetzt mit Mut und Zuversicht zu nutzen gelte.

Zusammen mit Christoph Keese Geschäftsführer von hy: Sebastian Herzog (Bild: hy)

„Deutschland hat aufgrund von Know-how und Daten rund um die Mensch/Maschinen-Interaktion ein klares Right to Play im KI Markt, um das auch die US-AI-Player nicht herumkommen“, so Herzog. Selbst wenn Deutschland bei den zugrundeliegenden Basistechnologien nicht – mehr – mitspielen könne, würden Knowhow und Datenschatz zu wertvollen Assets bei ihrer Applikation. Das umfassendes Know-how und die reichen Datenschätze bildeten ein starkes Fundament. „Industrial Tech ist das neue Narrativ, um Deutschland als innovative Wirtschaftsmacht zu positionieren“, postuliert Herzog.

Henrik Schunk, Geschäftsführender Gesellschafter von SCHUNK, einem globalen Marktführer in der Spann- und Greiftechnik, hebt in diesem Kontext die Bedeutung der künstlichen Intelligenz für den Mittelstand im Kontext der Industrie 4.0 hervor: „Wir verfügen über einen reichen Schatz an Industriedaten, die in unseren Unternehmen gesammelt wurden. Diese Daten sind ein wertvolles Gut, das wir nutzen können, um unsere eigenen Modelle zu entwickeln und unsere Innovationskraft zu stärken. Durch Manufacturing-X und die dadurch entstehenden sicheren Datenräume haben wir die Möglichkeit, diese Industriedaten gemeinsam zu nutzen und zu teilen, ohne Kompromisse bei der Datensicherheit einzugehen.“

Die Zeit der Daniel Düsentriebs ist gekommen

Die Forschung in Deutschland, so der Report, bietet die Keimzelle für Industrial Tech-Innovationen. Für Unternehmen bietet sich eine historische Chance, sich durch eine Verknüpfung mit den Ökosystemen deutscher technischer Hochschulen einen unfairen Vorteil im globalen Industrial Tech-Wettbewerb zu sichern.

Technische Hochschulen sind die Kaderschmiede deutscher Deep Tech-Innovationen. Berlin und München sind aufgrund ihrer akademischen Ökosysteme als Standorte immer noch sehr beliebt, vor allem bei „softeren” Tech-Themen. In Dresden und Aachen gibt es durch die sehr renommierten technischen Universitäten sowie die Nähe zum Fraunhofer-Institut einen Schwerpunkt im Bereich Deep Tech und Robotik. Stuttgart ist als Hochburg der industriellen Fertigung für Startups besonders interessant, da es sich in direkter Nähe zur Industrie befindet, was den Zugang zu potenziellen Partnern und Ressourcen erleichtert.

„Die Eigentümer des produzierenden Gewerbes müssen jetzt die entscheidenden Wetten eingehen“

Industrial Tech brauche aber neue Gründer- und Gründerinnentypen, die aus der Forschung kommen und die Wissenslücke zum Unternehmertum schließen. Professor Dr. Sabina Jeschke, Serial Enpreneur für KI- und Quantum und ehemalige Professorin RHTW Aachen: „Dabei gilt es Produkt- und Businessexpertise in ein optimales Gleichgewicht zu rücken, also Hightech und unternehmerisches Denken zu verzahnen. Nur durch die Kombination beider Elemente kann langfristiger Erfolg gesichert werden.“

Neun Voraussetzungen und Cluster für Industrial Tech

1. Lange Entwicklungszyklen und hohe Entwicklungskosten für Industrial Tech Innovation erfordern Kapital, Geduld und Wissen. In Deutschland mangelt es an risikoaffiner Investitionsbereitschaft. Das muss sich bei Industrial Tech ändern. Klassische Eigenkapitalgeber, wie VCs und PEs stoßen bei dieser neuen Asset-Klasse an ihre Grenzen – daher müssen die Eigentümer des produzierenden Gewerbes jetzt die entscheidenden Wetten eingehen.

2.Wie verhindern wir #inventedhere but #madeinChina? Industrial Tech-Innovationen entfalten ihr Potenzial erst dann optimal, wenn sowohl Forschung als auch Implementierung im eigenen Land erfolgen. Deutschland verfügt im internationalen Wettbewerb der anstehenden Industrial Tech-Revolution über einen unfairen Startvorteil: die Grundlagenforschung in allen relevanten Clustern von Industrial Tech. Es mangelt jedoch an notwendigen Strukturen, um das theoretische Fundament in eine wirtschaftliche Umsetzung zu überführen. Dies hat zwei Ursachen: einerseits stoßen klassische VCs aufgrund erhöhter Time-to-Market der Technologien und fehlender Spezialisierung an ihre Grenzen. Andererseits fehlt es an einem geförderten Ökosystem, welches die Implementierung von Industrial Tech in den Wertschöpfungsketten deutscher Unternehmen überhaupt erst ermöglicht. Diese Gemengelage nimmt deutsche Unternehmer in die Pflicht: Es braucht eine erhöhte Risikobereitschaft zum Experimentieren mit neuen Technologien, lange bevor der Druck zur Veränderung so groß wird, dass er sich nicht mehr ignorieren lässt.

3. Daten sind das neue Öl – jetzt aber wirklich! KI-Modelle laufen erst dann zur Höchstform auf, wenn sie mit echten Daten aus der täglichen Arbeit gefüttert werden. Nur so können sie Firmen helfen, präzise Vorhersagen und Analysen zu machen, und Prozesse sicher zu automatisieren. Diese Art von Daten sind selten öffentlich und somit sitzt der deutsche produzierende Mittelstand auf einem Goldschatz. Diesen Goldschatz vernünftig zu strukturieren und anschlussfähig zu machen, sichert Deutschland einen Platz am Tisch der globalen technologischen Umverteilung durch KI.

4. Die Energiewende als das größte Transformationsnarrativ, in dem insbesondere Startups florieren: Die Energiewende ist einerseits zwar Treiber für die Innovationskraft in der Energieproduktion /-bereitstellung, gleichzeitig jedoch Herausforderung für produzierende Mittelständler. Startups aus dem Energiebereich sollten die Kooperationspartner für Mittelständler werden, um Herausforderungen gemeinsam zu meistern und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu steigern.

5. Der nächste Blockchain-Sommer: dePIN als großer Industrie-Disruptor. Trotz einiger Pilotprojekte großer Player (IBM x Walmart, Catena X) hat Blockchain in der Vergangenheit kaum signifikante Anwendungsfälle mit echtem Impakt für die industrielle Fertigung hervorgebracht. Heute entstehen neue Synergien zwischen IoT, Infrastruktur und Blockchain in sog. Decentralised Physical Infrastructure Networks (DePINs). Blockchain-Anbieter tokenisieren Maschinen und IoT-Daten, wodurch sie einen transformativen Ansatz für die Entwicklung von IoT Netzwerken ermöglichen. DePIN stellt eine fundamentale Veränderung der Art und Weise dar, wie Infrastrukturen und Dienste erzeugt und gemanagt werden, und bietet enormes disruptives Potenzial.

6. Deutsche Unternehmen greifen nach den Sternen: Der Bereich Space Tech wächst rasant. Deutsche Mittelständler sind anerkannt für ihre Rolle als bedeutende Zulieferer in der Herstellung von technischen Bauteilen, speziellen Teilsystemen und fortschrittlichen Technologien für Nutzlasten. Es ist ein logischer Schritt, diesen Wettbewerbsvorteil für den aufstrebenden NewSpace Bereich zu nutzen – was aktuell fehlt, ist das Wagniskapital!

7. Ein neues Wertversprechen für die Exportnation Deutschland: Genau zu wissen, wann die Ware ankommt, bestimmt die Zukunft der Logistik. Fehlende Lieferkettentransparenz führt zu Effizienzverlusten für die deutsche Fertigungsindustrie. Die Antwort liegt in der intelligenten Datenerfassung und dynamischen ETAs. Daraus abgeleitete neue Geschäftsmodelle bieten Chancen für Logistikbranche und für Industrie gleichermaßen.

8. Industrie ohne Mensch: Digitalisierung, Automatisierung und Künstliche Intelligenz verändern das Angesicht von Produktion und Logistik. Es gibt keinen Prozess in der industriellen Fertigung, der nicht voll digitalisiert oder automatisiert werden kann. Bahnbrechende Entwicklungen in der Robotics Industrie, z.B. in Form von Androiden, die mittels KI direkt vom Menschen lernen, statt programmiert werden zu müssen, können bahnbrechende Transformationen in Industrie herbeiführen.

9. Technologie ohne Gesicht: Ist die Quantentechnologie in der Industrie kurz vor dem Durchbruch? Während alle Welt noch über die Herstellung von Mikrochips spricht, entwickelt sich Deutschland unbemerkt zum Wegbereiter der Quantentechnologie. Deutschland hat eine lange Tradition in der Quantenphysik, verfügt über viele führende Forschungsinstitute und ist international gut positioniert – trotz eines späteren Starts im Vergleich zu anderen Ländern. Starke staatliche Förderung von etwa 3 Milliarden Euro und viele neue Startups tragen zur Dynamik bei, unterstützen die Entwicklung und Anwendung. Quantum Computing kann durch parallele Verarbeitung komplexe Probleme effizient lösen und ist besonders geeignet für Simulationen, Vorhersagen und Optimierungsprozesse. Anwendungen sind vielfältig, sind aber oft noch Zukunftsmusik: Optimierung komplexer Systeme in Logistik, Finanzwesen, Materialforschung und Verbesserung von KI. Die drei zentralen Disziplinen sind Hardware, Quantenalgorithmen und Entwicklung passender Anwendungsfelder mit den richtigen Daten.

Was die interviewten Experten und Expertinnen glauben, was jetzt zu tun ist

Aus den 30 Interviews, die der hy Innovation Report 2024 führte, wurden auch konkrete Handlungsempfehlungen sichtbar, wie Unternehmen, Mittelstand und Startups an die Realisierung von Marktchancen in den neuen Feldern gehen und was sie beachten sollten. Hier einige dieser Ratschläge:

„Akzeptieren Sie externe Innovationen und Partnerschaften, um Industrial Tech erfolgreich zu implementieren. Externe Partner brauchen Sie mehr als andersherum.”

„Implementieren Sie einheitliche Datenstrukturen, um die Transparenz und Effizienz zu verbessern.”

„Setzen Sie auf spezialisierte VCs, um die Entwicklung und Implementierung von Industrial Tech zu fördern.”

„Unternehmen müssen sich auf einen klaren Use Case konzentrieren, um die Implementierung von Industrial Tech erfolgreich zu gestalten.”

„Dedizierte Verantwortung und Budget sind notwendig, um Datenprojekte erfolgreich zu machen.”

„Erhöhen Sie die Investitionsbereitschaft in komplexe Hardware- und Deep-Tech-Innovationen, um wirtschaftliche Umsetzung zu fördern.”

„Setzen Sie auf konkrete Projekte, um die Machbarkeit neuer Technologien zu belegen.”

Der hy Innovation Report 20234 kann hier heruntergeladen werden

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hy ist ein Beratungsunternehmen im Bereich Strategie, Innovation und digitale Transformation. Seit Gründung im Jahr 2017 konnte hy über 300 Projekte für über 150 Kunden abschließen. hy ist eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft der Axel Springer SE. Basierend auf dieser Erfahrung unterstützen bei hy mehr als 60 Digitalexperten, Strategen, Analysten und Gründer die Kunden bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Geschäftsmöglichkeiten, dem Aufbau einer nachhaltigen Anbindung an das Tech-Ökosystem und dem kulturellen Wandel. Mehr zu hy

Bild oben: Vilius Kukanauskas auf Pixabay

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