
„Der Staat muss genau formulieren, was er von Steuerzahlern erwartet“
Manch eine Steuervermeidung ist legal, aber ist sie auch legitim? Steuerexpertin Professor Dr. Johanna Hey beleuchtet die Grenzen unternehmerischer Verantwortung.
Das Interview führte Bastian Frien.
Frau Professor Hey, Amazon hat in Europa 2021 trotz 55 Milliarden Dollar Umsatz keine Einkommensteuern gezahlt. Wie ist das möglich?
Ganz einfach: Sie erwähnen richtigerweise den Umsatz, bei der Einkommensteuer geht es aber um den Gewinn. Die Umsatzsteuer hat Amazon bezahlt – sie wird dort fällig, wo der Umsatz anfällt.
Verstanden, aber so viel Umsatz ohne Gewinn in Europa?
Die örtliche Zuordnung von Gewinnen ist bei international agierenden Unternehmen immer ein Stück weit gestaltbar, und natürlich gestalten große Konzerne ihre Gewinnverteilung. Dazu dienen interne Darlehen oder Lizenzvereinbarungen – das ist vollkommen legal. Die Leistungsvereinbarungen innerhalb eines Konzerns müssen aber dem Fremdvergleich standhalten.
Das führt uns zu den Verrechnungspreisen. Gibt es für die Berechnung eine systematisch saubere Lösung?
Da gibt es Bandbreiten, die man akzeptieren muss. Viele Unternehmen erzielen ihren Gewinn durch ein besonderes Know-how, das gar nicht bei Dritten eingekauft werden kann. Wie will man das sauber bepreisen? Die Vertragsgestaltung kann daher immer nur auf Angemessenheit geprüft werden. Das lässt naturgemäß einen Spielraum, den Unternehmen natürlich austesten.
“Soll ein Unternehmen bei der Einkommensteuer entscheiden, welches Gemeinwesen die Steuer mehr verdient oder besser einsetzen wird als ein anderes?”
Hinter dieser Frage steckt eine andere: Wo soll das Aufkommen ankommen, im Marktstaat oder im Ansässigkeitsstaat? Darum geht es bei der Aufteilungsdiskussion auf OECD-Ebene, und das ist im Kern eine politische und keine moralische Frage. Wir haben es hier mit einem Konflikt zwischen Staaten zu tun, die miteinander um Steuern und Standortvorteile konkurrieren – das ist eigentlich ein gesunder Wettbewerb. Die Frage nach der Legitimität ist berechtigt, aber sie stellt sich etwa beim Thema Steueroasen oder auch beim aktuellen Subventionsprogramm der USA vor allem auf der staatlichen Ebene.
Wie sieht es denn mit den oft komplexen Konstrukten aus, die in der Regel der Steueroptimierung geschuldet sind? Ist das legitim?
Ich habe durchaus ein Problem damit, wenn Unternehmen in einem Land die abzugsfähigen Zinsaufwendungen und in einem anderen die steuerbefreiten Eigenkapitaleinnahmen ausnutzen. Diese Praxis ist bislang legal gewesen, soll aber durch Regelungen der OECD künftig unterbunden werden. Man darf bei der supranationalen Zusammenarbeit jedoch keine Wunder erwarten: Schon die Harmonisierung der Steuersysteme in der EU ist eine Herkulesaufgabe. „Steuern sind die Nerven des Staats“, das wusste schon Cicero.
Johanna Hey ist wohl Deutschlands renommierteste Steuerrechtlerin, seit 2006 leitet die zweifache Mutter das Kölner Institut für Steuerrecht. Ihre Einschätzungen werden aufmerksam gehört, auch wenn die Botschaften nicht immer angenehm sind: Vor allem der Politik klopft sie wegen der mangelnden internationalen Kooperationsbereitschaft gern auf die Finger.
Da bin ich nicht sicher. Unternehmen müssen sich zunächst einmal legal verhalten. Schon das führt in einige Graubereiche, in denen Unternehmen sich für mehr oder weniger riskante Strategien entscheiden müssen. Das ist ein Problem, für das die Unternehmen nicht verantwortlich sind, denn wir sollten nicht vergessen: Das Steuerrecht ist ein Eingriffsrecht – der Staat muss schon genau formulieren, was er von den Steuerzahlern erwartet. “Steuernzahlen ist ein Dauersachverhalt, und wenn ein Unternehmen immer die Grenzen austestet, wird es über die Jahre hinweg deutlich kritischer geprüft werden als andere”
Wirklich? Wir verlangen doch Unternehmen immer mehr gesellschaftliche Verantwortung ab – auch einiges, was nicht gesetzlich geregelt ist. Gilt das für Steuern nicht ebenso? Können wir nicht auch hier erwarten, dass neben dem Wortlaut auch der Geist der Gesetze beachtet wird?
Das gilt sicherlich für ein Thema wie Cum-Ex, in den meisten Fällen hilft das aber nicht weiter. Soll ein Unternehmen bei der Einkommensteuer entscheiden, welches Gemeinwesen die Steuer mehr verdient oder besser einsetzen wird als ein anderes? Im Unterschied zu ESG-Themen, wo doch recht klar zwischen richtig und falsch unterschieden werden kann, sind Unternehmen hier überfordert. In der Steuerdiskussion geht außerdem oft unter, dass Unternehmen mit der Schaffung von Arbeitsplätzen ja schon viel zum Gemeinwesen und auch zum Steueraufkommen beitragen.
Einverstanden, aber die Erwartungshaltung der Gesellschaft gibt es ja dennoch. Geraten Manager nicht in eine Zwickmühle, wenn die Gesellschafter die Optimierung der Erträge erwarten dürfen, die Gesellschaft aber den Verzicht auf manches legal Mögliche verlangt?
Diese Zwickmühle existiert, aber man muss sie in die richtige Perspektive rücken. Sowohl das Verfassungsgericht als auch der Bundesfinanzhof erlauben den Steuerpflichtigen ausdrücklich, sich in einer Weise zu strukturieren, dass sie möglichst wenig Steuern zahlen. Es ist also auch eine Aufgabe von Managern, die Steuerlast zu minimieren und damit Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Nun steht Corporate Governance dazu mitunter in einem Widerspruch, und jeder Verantwortliche muss den potenziellen Schaden aus Reputationsrisiken einschätzen. Die Praxis zeigt allerdings, dass die Konsumenten Unternehmen, die die Steuergestaltung sehr offensiv nutzen und dafür auch öffentlich kritisiert werden, langfristig nicht bestrafen.
Das ist grundsätzlich richtig. Allerdings sollten Unternehmen schon ein paar Punkte beachten. Bis an die Grenzen des Legalen zu optimieren birgt durchaus rechtliche Risiken. Außerdem wirken sich Streitpunkte in der Betriebsprüfung oft ganz grundsätzlich auf das Steuerklima aus. Steuernzahlen ist nun mal ein Dauersachverhalt, und wenn ein Unternehmen immer die Grenzen austestet, wird es über die Jahre hinweg deutlich kritischer geprüft werden als andere. Und eins ist sicher: Wenn Betriebsprüfer etwas finden wollen, dann finden sie auch etwas. Darum ist Zurückhaltung in der Steuergestaltung durchaus eine rationale Strategie.
- Was ist eigentlich legal und was ist legitim?
- Ausländische Steuerstandorte weiter im Vorteil – auch für Arbeitnehmer
- Deutschlands Abstieg wird unübersehbar
Dieses Interview von Bastian Frien ist zuerst unter results. FinanzWissen für Unternehmen erschienen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Bank.
Schreibe einen Kommentar