
Linken-Chefin Reichinnek will „Systemfrage stellen“ und fordert den Sozialismus
Heidi Reichinnek fordert, man müsse „die Systemfrage stellen“ und proklamiert den „demokratischen Sozialismus“ als Ziel. Doch alle Experimente des „demokratischen Sozialismus“ haben nur zu mehr Armut geführt.
Von Dr. Dr. Rainer Zitelmann
„Ich sage es ganz klar: In den heutigen Zeiten muss man radikal sein“, sagte Reichinnek der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der Sozialstaat werde „immer weiter ausgehöhlt, der Reichtum von wenigen explodiert“. Auch dadurch sei die Demokratie „ernsthaft bedroht“. „Wer das verhindern will, der darf den Kapitalismus nicht stützen, er muss ihn stürzen. Er muss sich dagegenstemmen und die Systemfrage stellen, ganz klar.“ Sie habe kein Problem damit, das Wort „Sozialismus“ zu verwenden, fügte die Fraktionschefin der Linken im Bundestag hinzu. Ein „demokratischer Sozialismus“ sei das Ziel der Linken. Sie fügte ausdrücklich hinzu, ein System wie in der DDR wolle sie nicht.
Nun, es gibt sehr wenige Beispiele für „demokratischen Sozialismus“ in der Geschichte, denn die meisten Varianten waren diktatorisch – ob in China oder der Sowjetunion, in Polen oder Ungarn, in Nordkorea oder Jugoslawien, in Bulgarien oder Kuba.
Doch wie sieht es mit den wenigen Beispielen aus, wo ein „demokratischer Sozialismus“ versucht wurde? Schauen wir uns die drei Beispiele an: Großbritannien und Schweden in den 70er-Jahren und Venezuela seit 1999.
Großbritannien
Großbritannien ging nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einen anderen Weg als die Bundesrepublik, wo Ludwig Erhard die „soziale Marktwirtschaft“ einführte und damit die Basis für das „Wirtschaftswunder“ gelegt hatte. In Großbritannien hatte die linke Labour Party 1945 die Wahlen gewonnen führte einen „demokratischen Sozialismus“ ein. Es wurden Banken verstaatlicht, die zivile Luftfahrt, die Kohleindustrie und das Fernmeldewesen. Es folgten die Eisenbahnen, Schifffahrtskanäle, der Güter- und LKW-Transport, Strom und Gas sowie die Eisen- und Stahlindustrie. Auch die Konservativen übernahmen die meisten der sozialistischen Labour-Programme. Die Steuern waren in diesen Jahren so hoch – in der Spitze bis zu 98 Prozent -, dass die „Beatles“ mit ihrem Song „Tax man“ dem Steuerwahnsinn sogar ein Lied widmeten.
Das Ergebnis beschrieb Holger Schmieding, ein deutscher Ökonom, der sich erinnerte, wie er als junger Mann Ende der 70er-Jahre Großbritannien besuchte und schockiert war „von der miserablen Lebensqualität im Lande. Vielen Haushalten fehlten die Geräte, die ich aus Küche, Waschboden und Wohnzimmer von daheim kannte. Weite Teile des Landes machen einen pittoresk-heruntergekommenen Eindruck. Dazu kamen ein völlig überaltertes Verkehrssystem und eine grottenschlechte Qualität vieler Güter und Dienstleistungen. Von den Standards, die ich von daheim gewohnt war oder die ich einige Jahre zuvor als Schüler in den USA hatte erleben dürfen, war Großbritannien damals meilenweit entfernt. Wären mir nicht die vielen britischen Soldaten vor Augen gestanden, die damals in der Nähe meines Elternhauses bei Osnabrück campierten, hätten mir bei einem ersten Besuch auf der Insel Zweifel kommen können, welches Land eigentlich den Krieg gewonnen hatte.“
Erst die Reformen von Margaret Thatcher, die 1979 an die Regierung kam, führten Großbritannien – das Heimatland des Kapitalismus – wieder auf den kapitalistischen Weg. Durch Privatisierung, Steuersenkung und Deregulierung wurden mehrere Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Ihre kapitalistischen Reformen waren so erfolgreich, dass sogar ihr Nachfolger Tony Blair von der Labour-Party daran festhielt.

Sozialismus in Schweden
Von 1965 bis 1975, der Hochzeit des demokratischen Sozialismus in Schweden, stieg die Anzahl der Staatsbediensteten von 700.000 auf 1,2 Millionen. Der Staat griff immer stärker in die Wirtschaft ein, zahlreiche neue Regulierungsbehörden wurden gegründet. 1960 kamen auf 100 Schweden, die ihr Einkommen überwiegend in der Privatwirtschaft erwirtschafteten, 38, die ihr Geld vom Staat erhielten. 1990 dagegen kamen auf 100 Personen, die ihr Geld in der Privatwirtschaft verdienten 151, die ihr Geld überwiegend vom Staat bezogen.
Der sozialistische Kurs schadete der schwedischen Wirtschaft, führte zu einem dramatischen wirtschaftlichen Niedergang und dazu, dass Unternehmer frustriert das Land verließen. Ein Beispiel dafür ist Ingvar Kamprad, der Gründer des Möbelherstellers Ikea, der wegen der extrem hohen Reichensteuer in die Schweiz auswanderte.
Die radikale sozialistische Politik stieß selbst wohlmeinende Anhänger der Sozialdemokratischen Partei vor den Kopf, wie etwa die schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. Sie machte ihrer Empörung Luft, indem sie in einer schwedischen Tageszeitung ein „Steuermärchen“ veröffentlichte und dort vorrechnete, dass ihre Steuerbelastung bei 102 (!) Prozent liege. Der sozialdemokratische Finanzminister Gunnar Sträng kommentierte arrogant: „Dieser Artikel ist eine interessante Kombination aus literarischem Können und profunder Ahnungslosigkeit über die verschlungenen Pfade der Steuerpolitik. Aber wir verlangen ja auch gar nicht, dass Astrid Lindgren sie begreift.“ Zudem behauptete er, Lindgren habe falsch gerechnet.
Die Schriftstellerin ließ sich nicht beirren und entgegnete: „Märchen zu erzählen hat Gunnar Sträng sicher gelernt, aber zum Rechnen taugt er nicht! Es wäre besser, wir würden den Job tauschen!“. Schließlich nahm sich der schwedische Ministerpräsident Olaf Palme selbst der Sache an und gestand im Fernsehen ein, dass Astrid Lindgren richtig gerechnet hatte.
Heute ist Schweden ist kein sozialistisches Land mehr, obwohl die Steuern selbst nach drastischen Senkungen immer noch sehr hoch sind. Aber in dem Ranking der wirtschaftlich freiesten Länder der Welt liegt Schweden auf Platz 12 von 180 – und ist damit kapitalistischer als Deutschland und die USA. Schweden hat die Vermögenssteuer, die Erbschafts- und die Schenkungssteuer abgeschafft und dort leben, bezogen auf die Bevölkerung, inzwischen mehr Milliardäre als in den USA.
Venezuela: „Sozialismus im 21. Jahrhundert“
Ein anderes trauriges Beispiel für den gescheiterten „demokratischen Sozialismus“ ist Venezuela. War es zu Beginn des 20. Jahrhunderts eines der ärmsten Länder in Lateinamerika, so hatte Venezuela bis Ende der 1960er-Jahre eine erstaunliche Entwicklung genommen. 1970 war es das reichste Land Lateinamerikas und eines der 20 reichsten Länder der Welt. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf war höher als das von Spanien, Griechenland oder Israel und nur 13 Prozent niedriger als das von Großbritannien.
“In allen drei Ländern, in Großbritannien, Schweden und Venezuela, ist das Experiment des ‘demokratischen Sozialismus’ grandios gescheitert. Wirtschaftlicher Niedergang und Armut waren die Folgen”
Der Abschwung begann in den 70er-Jahren. Einer der Gründe für die Probleme war die Fixierung auf die enormen Vorräte an Erdöl. Es kamen weitere Ursachen hinzu, insbesondere ein ungewöhnlich hoher Grad an staatlicher Regulierung des Arbeitsmarktes, die seit 1974 durch immer neue Vorschriften verschärft wurde. In kaum einem anderen Land Lateinamerikas (und weltweit) war der Arbeitsmarkt mit einem so engmaschigen Netz von Regulierungen überzogen. Während die Unternehmen 1972 noch das Äquivalent von 5,35 Monatslöhnen für die Lohnnebenkosten zahlen mussten, hatte sich diese Zahl bis 1992 auf 8,98 Monatslöhne massiv erhöht.
Aber, auch dies zeigt das Beispiel Venezuela: Wenn die Probleme immer größer werden, führt dies keineswegs zwingend dazu, dass die Menschen lernen – Geschichte ist eben nicht wie ein Hollywood-Film mit garantiertem Happy Ending. Oder, um es anders zu sagen: Schlimmer geht immer.
Viele Menschen in Venezuela hofften, der charismatische Sozialist Hugo Chávez würde die Probleme des Landes lösen. Chávez wurde 1998 zum Präsidenten gewählt. 1999 rief er die »Bolivarische Republik Venezuela« aus. Er war nicht nur Hoffnungsträger für viele arme Menschen im Land, sondern er entfesselte die Utopiesehnsüchte der Linken in Europa und Nordamerika mit der Parole vom „Sozialismus im 21. Jahrhundert“. Noch 2013 pries Sahra Wagenknecht Venezuelas Modell als Vorbild für Deutschland.
Das Ende kennen wir: Venezuela verlor zuerst die wirtschaftliche, dann die politische Freiheit. Heute leben 80 Prozent der Menschen in Venezuela in Armut. Vom reichsten Land Südamerikas wurde es durch den Sozialismus zum Ärmsten. Da die Sozialisten vergessen haben, eine Mauer zu bauen, ist inzwischen ein Drittel der Bevölkerung geflohen.
In allen drei Ländern, in Großbritannien, Schweden und Venezuela, ist das Experiment des „demokratischen Sozialismus“ grandios gescheitert. Wirtschaftlicher Niedergang und Armut waren die Folgen. In Großbritannien und Schweden sind die Menschen deshalb zurückgekehrt zum kapitalistischen Weg – in Venezuela wurde mit dem Kapitalismus auch die Demokratie abgeschafft, so dass ihnen ein Rückweg zum Kapitalismus bislang nicht möglich war. Ich würde gerne mit Heidi Reichinnek über das Thema diskutieren. Schreiben Sie, ob Sie diese Diskussion gerne sehen würden!
- Wohlstand und Armut von Nationen
- Von Armut zum europäischen Wachstumschampion: Was uns Polen lehrt
- Linke sind besser im Marketing der Ideen
Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker – und war auch als Unternehmer und Investor erfolgreich. Er hat 29 Bücher geschrieben und herausgegeben, die in über 30 Sprachen übersetzt wurden (“Weltreise eines Kapitalisten“, “Warum Entwicklungshilfe nichts bringt und wie Länder Armut wirklich besiegen“, “Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“). Sein jüngstes Buch ist der Anti-Woke Roman „2075. Wenn Schönheit zum Verbrechen wird“.
Schreibe einen Kommentar