Die 21 und unser Ostern

Keine Kommentare Lesezeit:

Kiryollos war der erste der Getöteten, der für mich aus der Anonymität heraustrat. Die einundzwanzig am Strand nahe der libyschen Hafenstadt Sirte Enthaupteten werden immer als Gruppe aufgefaßt, wie im jungen Christentum die Martyrer der Thebaischen Legion, die gleichfalls aus Ägypten kamen. Nur einer von ihnen war kein Kopte, sondern stammte, wie man inzwischen weiß, aus dem  westafrikanischen Ghana. Weil die Kopten ihn seit seinem Tod aber als einen der ihren ansehen, will auch ich auf den folgenden Seiten stets von den «Einundzwanzig» sprechen.

Mosebach Die 21
Das Buch von Martin Mosebach ist im Rowohlt Verlag erschienen und ist online hier als Hardvover (20 Euro) oder E-Book (19,99 Euro) erhältlich

Das Volk der Kopten und sein aus der apostolischen Frühzeit getreu bewahrtes Christentum ist im Westen nur wenig bekannt. Eine von jeher gepflegte Arroganz der lateinischen Kirche gegenüber den orientalischen Christen, die sich der Unterordnung unter Rom entziehen, hindert gerade Katholiken bis heute, den Blick auch nach Osten zu wenden. Es war kurz nach der Enthauptung der Einundzwanzig, daß ich einem deutschen Kardinal begegnete. Ich fragte ihn, warum die katholische Kirche das Glaubenszeugnis dieser Männer nicht feierlich herausstelle, wie es die alte Kirche immer mit den Martyrien gehalten habe. «Aber das sind doch Kopten!» antwortete er. Ich nenne den Namen dieses Kirchenfürsten nicht, weil ich seine hilflosen Worte kaum als eine persönliche Äußerung verstehe. Sprach er nicht aus, was viele seinesgleichen so ähnlich empfunden hätten? Damals faßte ich den Entschluß, über die Kopten und im besonderen über die Einundzwanzig mehr erfahren zu wollen.

Wie konnte ich ihnen näherkommen und etwas von ihrem Leben, ihrer Herkunft, den Umständen ihres Aufwachsens kennenlernen? Von vielen Blutzeugen der Vergangenheit wissen wir nur Ungenaues über die Einzelheiten, die mit ihrem Tod verbunden waren; die trockenen Zusammenfassungen des Martyrologium Romanum, des römischen Heiligenverzeichnisses, sind erst von der christlichen Kunst zu erlebbarer Gegenwärtigkeit ausgestaltet worden. Das ist anders bei den Einundzwanzig: Von ihrer Passion gibt es nicht nur ein Video; dieses Video hat vielmehr nach Absicht und Wirkung durchaus den Charakter eines Kunstwerks, wenn auch eines besonders abscheulichen – es ist Dokument und ästhetisch inszeniertes Machwerk in einem. Eine solche Ausweitung des Kunstbegriffs mag fatal erscheinen, aber muß man nicht zugeben, daß das Video effektvoll, sorgfältig choreographiert und farblich überlegt gestaltet ist? Wird nicht auch anderswo die Grenze zwischen Kunst und Wirklichkeit gefährlich verwischt? Das Unwirklichwerden der Welt hat bei manch einem den Hunger nach dem Authentischen geweckt – ist es da nicht eine willkommene Steigerung, wenn das Blut, das im Schauspiel fließt, echt ist?

So hätten die Einundzwanzig mit den Worten des Apostels Paulus sagen können: «Wir sind ein Schauspiel für die Welt geworden, für Engel und Menschen.»  Aber bevor sie  für Gott und die Welt ein solches Schauspiel wurden, haben sie das unbeachtete Leben armer Bauern geführt. Aus dem Nachhinein betrachtet, ist das nichts anderes als die Vorbereitung auf ihr Martyrium gewesen. Ließ sich in ihren Heimatdörfern noch etwas davon erahnen? Deshalb bin ich im Februar und März 2017, zwei Jahre nach dem Massaker, nach Oberägypten gereist, von wo sie auf Arbeitssuche nach Libyen aufgebrochen waren.

Worüber ich nicht schreibe und worüber ich schreibe

Die einundzwanzig koptischen Wanderarbeiter wurden an einem libyschen Strand geköpft, nachdem der Anführer der Mörder den «barmherzigen Gott» angerufen hatte; das Video, das die Ermordung dokumentiert, bezeichnet sich als «Antwort Mohammeds» und als Botschaft an die «Nation des Kreuzes». Das ist eine deutliche Sprache – die Situation scheint keiner weiteren Erklärung zu bedürfen. Zwei Parteien stehen sich paritätisch gegenüber, auf jeden Ermordeten kommt ein Mörder. Das war den Regisseuren des Vorgangs offenbar wichtig: daß die heilige Reinigung der Welt von jedem einzelnen Reinen vollzogen werden muß. Daß es notwendig ist, sich dafür die Hände schmutzig zu machen, daß der Tod der Ungläubigen gut ist, aber daß es ebenso gut und gar noch besser ist, sie selbst und mit eigenen Händen zu töten – das ist ein Werk, das vollbracht werden muß, eine ernste Pflicht.

So meine ich die «Botschaft an die Nation des Kreuzes » verstehen zu sollen und weiß doch ebensowenig wie sonst jemand, wer die Hintermänner des Verbrechens wirklich waren. Masken verbargen die Gesichter der Täter, und auch nachdem einige von ihnen im Oktober 2017 festgenommen worden sind, darunter auch der Kameramann des Video, ist noch unbekannt, welchen Nationen sie alle angehört haben. Sie seien Mitglieder der kriegführenden und Terrorakte ausführenden Landsknechtstruppe «Islamischer Staat» – aber in Ägypten behaupten fromme, gebildete Muslime, hinter diesem schreckenverbreitenden Namen seien die widersprüchlichsten Interessen verborgen, die mit der Religion nichts, mit dem Einfluß der großen Mächte auf den Nahen Osten dagegen viel zu tun hätten. Wie könnten gläubige, gottliebende Menschen auf Mord ausziehen, fragen sie rhetorisch. Man müsse sich davor hüten, in dem Massaker das Kapitel eines Religionskrieges zu sehen – die Religion werde hier mißbraucht, um den Unfrieden in Ägypten anzuheizen, die Militärdiktatur zu rechtfertigen und die westlichen Staaten zum Eingreifen mit Waffen, Luftangriffen und Truppen anzustacheln.

Man versuche nur einmal, im Hinblick auf dieses Verbrechen die alte Kriminalistenfrage «Cui bono?» – «Wem nützt es?» – zu stellen. Die Antworten darauf werden aus einem grellbunten Strauß von Thesen bestehen. Beinahe jede der im Nahen Osten in den Krieg verwickelten Mächte wird man genannt hören; Amerikaner und Russen, die Diktatoren in Syrien und Ägypten und die ihnen feindlichen Muslimbrüder, Israel und die Golfstaaten, Iran und Türkei – alles ist irgendwie plausibel, weil ersichtlich keine der beteiligten Kräfte an einer Beendigung dieses «arabischen Dreißigjährigen Krieges» interessiert ist. Haben die Mörder in perversem Glaubenseifer gehandelt, oder sind sie gewissenlose Söldner, die sich für jede Art Bluttat gewinnen lassen? Tragen sie allein die Verantwortung, als jeder Beherrschung entzogene Terroristen, oder waren sie kleine, umhergeschobene Bauern auf einem Spielfeld, dessen eigentliche Parteien und deren Ziele ihnen selbst unbekannt sind?

Auch auf diese Fragen gibt es viele, allzu viele Antworten – Gutachten von hoher Sachkenntnis sind darunter, aber auch wilde Gerüchte, und gelegentlich gelangen sie beide zu einem ähnlichen Ergebnis. Und darf denn dem Selbstzeugnis der Täter, wie es sich in dem berüchtigten Video ausspricht, ohne weiteres geglaubt werden? Ist es nicht fahrlässig, Männern, die solcher Taten fähig sind, Vertrauen zu schenken?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Language