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Forschung – eine Aufgabe für die nächste Bundesregierung
Deutschland braucht mehr und andere Forschung. Als erhebliches Hindernis erweist sich dabei die Innovationsfeindlichkeit der Gesellschaft.
Von Dr. Daniel Stelter
»Der Wohlstand einer Volkswirtschaft hängt letztlich davon ab, inwiefern durch Innovationen neue Technologien geschaffen und produktiv eingesetzt werden können. Kluge Wirtschaftspolitik fördert daher Institutionen zur Schaffung und Vermittlung von Wissen und setzt zugleich Rahmenbedingungen, innerhalb derer Innovations- und Gründertätigkeit gedeiht.« So der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 2019/20 zur Frage der Verbesserung der Wachstumsaussichten in Deutschland.
Dabei steht Deutschland vordergründig hervorragend da: Es hat mit seiner Kombination aus staatlichen und privaten Forschungsstätten eine weltweit einzigartige Forschungslandschaft. Die Deutschen geben weitaus mehr für Forschung aus als ihre Nachbarn. Angesichts der Mittel, die sie aufwenden, wurden sie gar zum »innovativsten Land« gekürt. Die F&E-Intensität, also die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Verhältnis zum BIP, liegt in Deutschland bei 3,02 Prozent. Dieser Wert liegt über dem Niveau in den meisten EU-Staaten und den USA, jedoch unterhalb der Werte in Japan (3,28 Prozent) und Südkorea (4,22 Prozent).
Diese Statistik darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland vor erheblichen Problemen steht. So haben wir schon seit Jahren ein deutliches Übergewicht an Forschung im Bereich der Automobilindustrie. Immerhin rund 53 Prozent aller Aufwendungen für Forschung stehen in einem Zusammenhang mit dem Automobil. Würde man diesen Sektor herausrechnen, so würde offensichtlich, dass die Innovationskraft der übrigen Wirtschaft nicht herausragend ist. Nur 14 Prozent der Ausgaben fließen in Forschung im Bereich der Informationstechnologien. In Südkorea sind es dagegen 60 Prozent, in den USA 52 Prozent, in China 49 Prozent und in Japan 25 Prozent.
Keine gute Nachricht für den Forschungsstandort Deutschland
Hinzu kommt, dass der deutliche Anstieg der Forschungsausgaben in der Automobilindustrie auch darauf zurückzuführen ist, dass die Unternehmen verzweifelt versuchen, ihren technologischen Rückstand wettzumachen. So zeigen Untersuchungen, dass die deutsche (aber auch die japanische) Automobilindustrie bei der zentralen Steuereinheit, also quasi dem Gehirn des Autos, gegenüber Tesla einen Entwicklungsrückstand von sechs Jahren hat. Ähnlich sieht es bei der Qualität der Batterien und beim autonomen Fahren aus. Hier liegt die deutsche Industrie mindestens zwei Jahre zurück. Deutschland braucht also mehr und andere Forschung. Als erhebliches Hindernis erweist sich dabei die Innovationsfeindlichkeit der Gesellschaft. Einige Themen wie die Forschung an genmodifizierten Pflanzen bilden schon seit Längerem das Futter für strittige Diskussionen.
Ein besonders eindrückliches Beispiel ist der Umgang mit dem Hirnforscher Nikos Logothetis, immerhin ein möglicher Kandidat für den Nobelpreis. Nach einem Video, das angebliche Tierquälerei zeigte, wurden er und sein Team in der Öffentlichkeit angegriffen. Die zuständige Max-Planck-Gesellschaft distanzierte sich. Dies, obwohl 5 000 Wissenschaftler aus der ganzen Welt, darunter mehrere Nobelpreisträger, für Logothetis eintraten. Der Forscher entschied sich, mit seinem Team nach China zu gehen. Dass dies für den Forschungsstandort Deutschland eine gute Nachricht ist, darf bezweifelt werden.
Aufgaben für die nächste Bundesregierung
- Anstoß zu Mehrausgaben für Forschung und Entwicklung
- Unterstützung der Automobilindustrie bei ihrem Aufholprozess – die Industrie ist schlichtweg zu bedeutend für den Wohlstand Deutschlands
- Deutlich mehr Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den Bereichen Automatisierung, Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Informationstechnologie allgemein
- Staatliche Förderung der Grundlagenforschung über Direktmittel, der allgemeinen Forschung und Entwicklung durch Verbesserung der Rahmenbedingungen (Genehmigungsprozesse, Qualität der Bildung, Abgaben / steuerliche Anreize)
- Maßnahmen zugunsten einer stärkeren öffentlichen Anerkennung der Forschung. Konsequentes Entgegentreten bei Kampagnen gegen bestimmte, als nicht »korrekt« empfundene Forschungsvorhaben
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Dr. Daniel Stelter ist Makroökonom und Strategieberater. Er betreibt das Diskussionsforum beyond the obvious und geht wöchentlich mit dem gleichnamigen Ökonomie-Podcast auf Sendung. Als Autor zahlreicher Expertenbeiträge und aktueller Sachbücher liefert er einen unverstellten Blick auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zählt ihn zu den 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands. Zuletzt erschien von ihm »Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040«, dem dieser Beitrag entnommen ist.
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