Die Mehrheit der „Wirtschaftsweisen“ ist zu fasziniert von staatlichen Investitionen

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Das aktuelle Frühjahrsgutachten des „Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage“ wurde vor wenigen Tagen vorgestellt. Das Gutachten ist davon geprägt, dass die fünf Wissenschaftler sich in fast allen Kapiteln nicht auf eine gemeinsame Linie verständigen konnten und daher neben der Meinung von vier Vertretern immer auch die eigene Position von Veronika Grimm zu lesen ist.

Von Professor Dr. h.c. mult Roland Koch

Gutachten, die vorzeitig publik werden; öffentlich ausgetragene Meinungsverschiedenheiten; Interessenkonflikte. Man wundert sich schon über das Bild, das die fünf „Wirtschaftsweisen“ seit ein paar Monaten präsentieren. Insbesondere die markante Frontstellung von vier Wirtschaftsweisen gezielt gegen eines ihrer Mitglieder erstaunt. Derlei trägt sicher nicht zur Konsensbildung bei. Wir haben bei unterschiedlichen Positionen des Gremiums dagegen den Vorteil, wissenschaftlich fundierte unterschiedliche Einschätzungen der Experten genau beobachten zu können. Die Kontroverse begann schon vor einigen Jahren. Es geht um Stabilität und Schulden, es geht um staatliche Investitionen versus privater Aufgabenwahrnehmung und sicher nicht zuletzt um gelenkte Industriepolitik im Gegensatz zum freien Spiel der Marktwirtschaft.

Veronika Grimm ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung. Deshalb wird es nicht überraschen, dass viele Mitglieder der Stiftung – auch ich – ihre Positionen sehr oft als richtig empfinden und wir uns über die Motivation der übrigen vier, durchaus unterschiedlichen, Mitglieder des Rates etwas wundern. Diese Verwunderung kann man begründen.

Die Risiken der „Interventionsspiralen“

Die Risiken der neuen Schulden stehen im Mittelpunkt. Ich hatte schon bei der Kommentierung des Koalitionsvertrages darauf hingewiesen, dass das Verständnis für zusätzliche Verschuldung zur Sicherung der deutschen Verteidigungsfähigkeit leichter fällt als ein allgemeines staatliches Investitionsprogramm mit weiteren 500 Milliarden Euro an Staatsschulden.

Viele Ökonomen hoffen auf die neuen finanziellen Spielräume. Die Abschwächung der strengen Schuldenregeln, die zuvor durch die Schuldenbremse vorgegeben waren, findet bei vielen Zustimmung. Doch Veronika Grimm warnt zu Recht: Diese Aufweichung ist riskant. Die Gefahren lassen sich nur beherrschen, wenn man sie offen benennt und die Schäden begrenzt. Die Besorgnis erklärt sich vor allem mit dem Begriff der „Interventionsspirale“, von dem Grimm auch schon im Gutachten vor einem Jahr sprach. Gemeint ist die Gefahr einer Dynamik, bei der staatliche Subventionen in die Wirtschaft immer weitere Eingriffe nach sich ziehen und zugleich die Staatsverschuldung erhöhen. Eine solche Spirale kann entstehen, wenn politische Maßnahmen zwar akute Probleme lindern sollen, aber dysfunktionale Rahmenbedingungen für die Privatwirtschaft schaffen, sodass der Staat am Ende noch stärker eingreifen muss, ohne die Ursachen der Probleme zu beheben.

Diese Situation ist zurzeit in beeindruckender Weise auf dem Wohnungsmarkt und in der Energiepolitik zu beobachten. Wir beobachten bereits die Diskussion, durch findige Haushaltsverschiebungen die Investitionen zu verringern, um Mittel für den Konsum zu schaffen. Man erinnere sich an Joseph Schumpeters Bonmot: „Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve.“

“Einmal eingeführte staatliche Leistungen lassen sich jedoch politisch nur schwer zurücknehmen, was die Staatsverschuldung zu einem strukturellen Problem werden lässt”

Schon früh warnten Ökonomen davor, dass übermäßige Eingriffe des Staates und öffentliche Gelder zu einem Teufelskreis führen können. Ludwig von Mises (1929) entwickelte in seiner „Kritik des Interventionismus“ die These, dass staatlicher Interventionismus instabil ist, weil jeder Eingriff neue Störungen erzeugt, die nach weiteren Eingriffen rufen – ohne dass diese die Probleme wirklich lösen. Joseph Schumpeter (1942) ging sogar so weit zu prognostizieren, dass auch moderne Marktwirtschaften am eigenen Erfolg kranken könnte – er meinte, der Wohlstand und die dadurch geweckten Erwartungen würden mit der Zeit Bedingungen schaffen, die verstärkte staatliche Eingriffe immer selbstverständlicher machen. In den 1960er Jahren wurde diese Skepsis gegenüber ungebremstem Staatswachstum durch die Public-Choice-Theorie untermauert. Sie basiert auf der Annahme, dass politische Entscheidungsträger dazu tendieren, Ausgaben und Regelungen auszuweiten, um Wählerstimmen zu gewinnen oder spezifischen Interessengruppen zu dienen. Einmal eingeführte staatliche Leistungen lassen sich jedoch politisch nur schwer zurücknehmen, was die Staatsverschuldung zu einem strukturellen Problem werden lässt. Das war vor 15 Jahren der Grund für die Einführung der Schuldenbremse, und die gleichen Phänomene können uns jetzt wieder begegnen. Es entsteht ein „Wettlauf der Interessengruppen um Vorteile“, bei dem der Staat zum „Weihnachtsmann“ wird – er verteilt Geschenke, die letztlich von der Allgemeinheit bezahlt werden. Sobald eine Gruppe Vorteile erhält, fordert die nächste Gruppe Ausgleich oder eigene Vorteile, und so wächst die staatliche Finanzierungslast immer weiter. Das ist die Interventionsspirale!

Wohnungsbau und Energie sind Beispiele für falschen Mitteleinsatz

Ein anschauliches Beispiel für eine Interventionsspirale ist der deutsche Wohnungsmarkt. Durch rigide Mietregulierung wird das private Bau- und Investitionsengagement gedämpft – für Investoren lohnt es sich weniger, neue Wohnungen zu bauen, zumal restriktive Baulandausweisung und Überregulierung das Bauen immer teurer machen. Neubau lohnt sich nur noch, wenn der Staat selbst großzügig fördert oder baut. Um den Mangel zu lindern, legt die öffentliche Hand immer mehr Programme für den Sozialwohnungsbau auf oder erhöht Subventionen für den Wohnungsbau. Veronika Grimm beschreibt den Mechanismus so: Durch die staatliche Mietenregulierung entstehe ein kontraproduktiver Effekt, weil weniger privater Wohnungsbau stattfindet. Im Umkehrschluss müsse der Staat dann mit Sozialwohnungen nachhelfen, was ihn finanziell weiter beansprucht. Sie plädiert dafür, anstatt direkter Preiseingriffe eher die Rahmenbedingungen zu verbessern: Bürokratieabbau bei Bauvorschriften, schnellere Genehmigungen, Ausweisung neuer Bauflächen und gezielte soziale Unterstützung nur für wirklich bedürftige Mieter. Solche Maßnahmen könnten das Angebot erhöhen, ohne eine neue Ausgabenlawine auszulösen. Sie zweifelt, dass neue Schulden hier wirklich helfen, und da hat sie recht.

Risiken für die wirtschaftliche Zukunft durch Verschuldung und Intervention kommt bei der Mehrheit der Wirtschafsweisen zu kurz

Auch in der Energie- und Klimapolitik belegt die Bilanz der letzten Jahre, dass der Staat immer stärker eingreift – stets mit der Begründung, Deutschland habe sich ambitionierte Klimaschutzziele gesetzt und befinde sich in der Energiewende. Die Subventionierung mittels Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) mit festen Einspeisevergütungen für Ökostrom über viele Jahre führte zu Marktverzerrungen, der Strompreis für Verbraucher stieg. Die Politik sah und sieht sich in der Pflicht, entlastend einzugreifen, zum Beispiel durch Deckelung der EEG-Umlage und zuletzt deren Abschaffung, die nun aus dem Bundeshaushalt finanziert wird. Das gleiche geschieht gegenwärtig in Milliardenhöhe bei den Netzentgelten. Hier zeigt sich erneut das Muster: Eine politische Maßnahme (Subvention) erzeugt unerwünschte Nebenwirkungen (höhere Endkundenpreise), die wiederum durch weitere staatliche Maßnahmen kompensiert werden müssen (Entlastungspakete) – wiederum zulasten der Verschuldung. Der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, der zu späte Zubau der jetzt eilig geplanten Gaskraftwerke, ein Marktmodell für Wind- und Sonnenenergie, dass die gefährliche und kostspielige Strom-Überproduktion zu falschen Zeiten verhindert hätte, dies alles wurde unterlassen und jetzt kommt die Rettung aus zusätzlichen Schulden.

Veronika Grimm mahnt zu Recht, man dürfe sich nicht auf neuen Schulden „ausruhen“ – je höher die Schulden, desto schwieriger werde es, politisch wieder die Kurve zu kriegen. Eine ausgeprägte Sorge vor überhöhter Staatsverschuldung ist also gerade jetzt angebracht. Wachsende staatliche Verschuldung und Intervention bergen erhebliche Risiken für die wirtschaftliche Zukunft. Das kommt bei der Mehrheit der Wirtschafsweisen wegen der Faszination an der Gestaltung mittels staatlicher Ausgaben zu kurz.

Monate der Wachsamkeit

Jetzt geht es um Monate der Wachsamkeit. Keine Verschiebung von geplanten Investitionen in die Verschuldung und effektive (bemerkbare) Einsparungen im Haushalt sowie Selbstbeschränkung bei den Wahlgeschenken sind das Gebot der Stunde. Ludwig Erhard hat jahrelang für die Schaffung des Sachverständigenrates gestritten. Er erhoffte sich eine unabhängige Instanz rationaler wirtschaftspolitischer Beobachtung. Trotz allen Streits in einigen Fragen wird man feststellen, dass dies bis heute mal mehr, mal weniger gut gelungen ist. Aber im Frühjahrsgutachten 2025 blickt die Mehrheit mit zu großer Faszination auf die Wirkung staatlicher Investitionen. Es ist gut, mit Veronika Grimm hier eine mahnende Stimme zu hören.

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Professor Dr. h.c. mult. Roland Koch ist seit November 2020 Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung. Koch war bis von 1999 bis 2010 Hessischer Ministerpräsident. Altbundeskanzler Ludwig Erhard gründete 1967 die Ludwig-Erhard-Stiftung und gab ihr die Aufgabe, für freiheitliche Grundsätze in Wirtschaft und Politik einzutreten und die Soziale Marktwirtschaft wachzuhalten und zu stärken. Die Stiftung ist von Parteien und Verbänden unabhängig und als gemeinnützig anerkannt. Sie tritt politischem Opportunismus und Konformismus mit einem klaren Leitbild entgegen: Freiheit und Verantwortung als Fundament einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für den mündigen Bürger. Infos

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