Neue Reihe Führungshappen / „Bauchgefühl macht ein Business einzigartig, aber nur in Kombination mit Zahlenverstand kann es gesund wachsen“ – das sagt Jörg Roos, der Unternehmern hilft, ihre Zahlen zu verstehen und Geschäftsideen in ein finanziell erfolgreiches Unternehmen zu transformieren.
Führungskräfte tragen immer mehr Verantwortung – nicht nur für ihr eigenes Team und Unternehmen, sondern auch für gesamtgesellschaftliche Themen wie Diversität, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. Es wäre so schön, wenn es ein Rezept gäbe, nach dem jede Führungskraft und jeder Unternehmer dasselbe Leadership-Süppchen kochen könnte. So einfach ist es leider nicht. Aber Inspiration und Best-Practice hilft – trotz aller individuellen Herausforderungen. In unserer Reihe befragen wir daher Deutschlands Top-Führungsexperten nach ihrem wertvollsten Wissen, von dem jede einzelne profitieren kann.
Unser Interviewpartner Jörg Roos beherrscht die Sprache der Zahlen fließend und übersetzt sie in Unternehmer-Deutsch. In Hinblick auf die steigenden Insolvenzen eine immer wichtiger werdende Aufgabe. Nach seiner Karriere als angestellte Führungskraft unter anderem bei der Deutschen Bank und Medion, unterstützt Jörg Roos heute ambitionierte Unternehmerinnen und Unternehmer dabei, ihre Zahlen zu verstehen und Geschäftsideen in ein finanziell erfolgreiches Unternehmen zu transformieren.
Warum ist Zahlenverstand wichtig für alle Führungskräfte und Unternehmer – nicht nur für solche im Controlling und Co?
Jörg Roos: Jahrzehntelang hat es für viele Unternehmen ganz gut ohne Zahlen geklappt. Gerade wenn man so im klein-, mittelständischen Bereich unterwegs ist, hat es ganz lange ausgereicht, wenn man monatlich seine BWA bekam. Den Begriff hat man irgendwo mal gehört und, dass ganz unten der wichtige Gewinn steht. Wenn der gut ausgefallen ist, hoch die Tassen. Wenn da ein schlechter Gewinn stand, kippte man direkt noch einen ganz schlechten Schnaps hinterher, damit man die Zahlen schnell wieder vergaß. So funktioniert Management nach Bauchgefühl oder by Kontostand.
Erstaunlicherweise ging das bei vielen gut. Doch dann ist irgendwann die Internationalisierung und die Digitalisierung hinzugekommen. Der Druck auf jedes Unternehmen, egal in welcher Branche, hat stark zugenommen. Immer mehr Wettbewerber drängten in den Markt und wir haben immer mehr Daten. Diese Datenfülle führt heute dazu, dass die alte Art der finanziellen Führung nicht mehr funktioniert. Leider ist in der Ausbildung von vielen Unternehmern, egal ob sie eine Lehre mit Meister hinten dran absolviert oder studiert haben, nirgendwo das Thema Zahlen und Finanzen für die Unternehmensführung so enthalten ist, dass jede es verstehen kann.
Aber wer nur rein nach Bauchgefühl führt, kann auch gleich Roulette spielen. Mit etwas Glück klappt das, wird es aber in der Regel nicht. Wir brauchen zusätzlich zu unserem Bauchgefühl das Verständnis für Zahlen. Vor allen Dingen, wenn wir eine langfristige Perspektive haben. Weil Hochzeiten hoffentlich zu jedem Unternehmen dazu gehören, aber auch Krisen, für die wir uns wappnen müssen. Das können große globale Krisen sein, aber auch lokale, beispielsweise weil plötzlich eine Baustelle vor dem Laden steht oder Ähnliches. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Und deswegen bin ich ein großer Freund davon, zu sagen: »Wir brauchen Bauchgefühl. Denn Bauchgefühl macht unser Business einzigartig. Und wir brauchen Zahlenverstand, denn die Zahlen halten es am Leben. Deswegen funktioniert nur beides zusammen.«
Was müssen Unternehmenslenker denn im Minimum auf dem Schirm haben, damit die finanzielle Unternehmensführung erfolgreich läuft?
Es gibt für jedes Unternehmen nur drei Tools, die jeder auf dem Schirm haben darf und sollte. Das eine ist der Ergebnisbericht, im Fachchinesisch heißt das ganz gern BWA, G&V, Einnahme- und Überschussrechnung. Ein schönes Beispiel für Betriebswirtschaft in Deutschland, denn eigentlich erzählen alle dieselbe Geschichte, ob das eigene Unternehmen Gewinn macht oder einen Verlust erwirtschaftet. Etwas flapsig formuliert, könnte man sagen, dass sich die Betriebswirtschaftslehre in Deutschland ein bisschen unterdrückt und minderwertig fühlt. Deshalb hat sie für manche Themen ganz viele Fachbegriffe, plustert sich damit so ein bisschen auf und spricht für viele unverständlich.
Jörg Roos hilft ambitionierten Unternehmerinnen und Unternehmer dabei, ihre Zahlen zu verstehen und Geschäftsideen in ein finanziell erfolgreiches Unternehmen zu transformieren
Ich begreife diese Zahlen und Finanzen wie eine Art Fremdsprache. Jeder braucht halt ein bisschen Grammatik und ein paar Vokabeln. Wenn man die beherrscht, kann man sie ganz gut sprechen. Keiner muss sie fließend können. Als Unternehmer muss man sie aber verstehen. Bei BWA, G&V, Einnahme- und Überschussrechnung handelt es sich im Grunde immer um einen Ergebnisbericht. Der ist wie eine Straßenkarte, wo Details drinstehen, an denen man sehen kann, wie profitabel läuft mein Tagesgeschäft im aktuellen Geschäftsjahr. Das ist die Aussage einer Gewinn- und Verlustrechnung.
Dann habe ich eine zweite Straßenkarte. Das ist die Cashflow-Rechnung. Ich nenne sie gern den Kontostandsdetektiv. Sie nimmt genau diese Geschäftskonten und untersucht sie: Wie groß ist denn der Anteil der Kontobewegung, die auf das Tagesgeschäft zurückzuführen ist? Wie groß ist der Anteil, der auf Investments entfällt, also kaufe ich Dinge, Maschinen, Autos etc. oder verkaufe ich sie? Und wie hoch ist der Anteil der Kontobewegung aus Finanzierungstätigkeiten. Nehme ich beispielsweise einen Kredit auf oder zahle ich einen zurück.
„Die Bilanz sehe ich als eine Weltkarte, die den Gesamtüberblick übers Unternehmen liefert. Sie ist so etwas wie das Gewissen eines Unternehmens, das niemals vergisst“
Die Bilanz sehe ich als eine Weltkarte, die den Gesamtüberblick übers Unternehmen liefert. Sie ist so etwas wie das Gewissen eines Unternehmens, das niemals vergisst. Anders als in der G&V-Rechnung, also im Ergebnisbericht, habe ich in der Bilanz den Gesamtüberblick über die Lebensdauer meines Unternehmens. Hier kann ich erkennen, wie gesund mein Unternehmen denn langfristig ist. Wofür habe ich Geld ausgegeben? Im Fachchinesisch sagt man gerne Aktiva, Mittelverwendung. Es wird aber auch die Frage beantwortet, woher kam das Geld? Eigenkapital, Fremdkapital, von dir selbst oder von anderen. Fachchinesisch: Passiva – Mittelherkunft das sind so die typischen Begriffe und diese drei Tools, die darf ich verstehen. Wenn man sie einmal richtig erklärt bekommt, ist das keine Raketenwissenschaft, die Zusammenhänge zu begreifen. Das versteht jeder. Sie sorgen dafür, dass ich mir als Unternehmer jederzeit einen Überblick verschaffen kann, wo steht mein Unternehmen und was sind denn meine größten Stellhebel, wo sollte ich jetzt wirklich hingucken? Dafür braucht man natürlich ein bisschen Hilfeleistung. Aber das ist doch ok.
Vielen Unternehmen macht vor allem der Cashflow irgendwann zu schaffen, die Zahlungsunfähigkeit droht. Wann muss ich anfangen, da drauf zu schauen, damit es fürs Unternehmen nicht fatal wird?
Immer. Es gibt einen Grundsatz, den sich jede Führungskraft mit Budgetverantwortung und jeder Unternehmer hinter die Ohren oder auf dem Desktop schreiben muss: Liquidität geht immer vor Rentabilität.
Das bedeutet: Sie müssen immer dafür sorgen, dass möglichst viel Geld auf dem Konto ist, selbst wenn sie das gegebenenfalls ein paar Gewinnprozentpunkte kostet. Ein klassisches Beispiel, das ich immer wieder erlebe: Unternehmen, die stark wachsen, müssen häufig Ware vorfinanzieren. Sie muss ja zunächst eingekauft werden, bevor sie verkauft werden kann. Bei stetigem Wachstum schafft das nicht gleich ein großes Problem. Wenn mein Unternehmen oder meine Abteilung dynamisch wächst, stehe ich vor der Herausforderung, deutlich mehr für den Einkauf ausgeben muss, als ich momentan Umsatz mache. In solchen Fällen kann Factoring eine gute Lösung sein. Da sagen viele: Nein, da muss ich ja zwei, drei Prozent meines Gewinns abgeben. Das mache ich nicht. Ich halte das für ein falsches Mindset. Am Ende muss jeder erkennen, dass er oder sie den Wachstumsprozess vernünftig finanzieren können muss.
Ein anderes Beispiel: Das aufeinander abstimmen des eigenen Zahlungsverhaltens von Rechnungen. Wenn ich Rechnungen von anderen bekomme, gleiche ich das mit dem Zahlungsverhalten meiner Kunden ab. Ich erlebe häufig, dass Unternehmer sehr schnell ihre Rechnungen bezahlen, weil sie keine Schulden bei anderen haben wollen. Sie brauchen aber extrem lange, um selbst Rechnungen zu schreiben und trauen sich kaum nachzuhaken, warum Kunden noch nicht bezahlt haben. Schließlich hoffen sie auf einen Folgeauftrag und wollen ihren Kunden nicht auf die Nerven gehen.
„Unternehmer mögen finanzielle Ziele schon planen, leider aber häufig falsch“
Ich kann da nur raten: Achten Sie darauf, dass Sie die Zahlungsziele, die Sie von anderen haben, auch ausnutzen. Was nicht heißt, überziehen Sie die oder zahlen Sie Ihre Rechnungen zu spät. Aber, wenn da schon steht, Sie haben 14 Tage Zeit, dann nutzen Sie doch 12, 13, 14 Tage aus. Und auf der anderen Seite möchte ich dazu einladen, die eigenen Prozesse zu optimieren, so dass am Tag, an dem Ihre Dienstleistung oder Ihr Produkt verkauft ist, auch die Rechnungsstellung erfolgt, inklusive klarem Zahlungsziel. Halten Kunden das nicht ein, kann eine Assistenz freundlich nachtelefonieren. Oft wird eine Rechnung tatsächlich nur vergessen. Wenn jemand nicht bezahlt, braucht es einen konsequenten Prozess. Selten sind Kunden davon genervt, sondern es zeigt im Gegenteil, dass das eigene Unternehmen professionell geführt wird. Gleichzeitig sorgen Sie so dafür, dass Geld so schnell wie möglich auf Ihr Geschäftskonto fließt. Sie werden sich wundern, wie zügig sich das addiert.
Apropos Professionalität: Erleben Sie es häufig, dass Führungskräfte und Unternehmern ihre Finanzen und finanziellen Ziele nicht wirklich planen?
Sie mögen Ziele schon planen, leider aber häufig falsch. Gerade, wenn sie am Anfang stehen, werden Businesspläne oft für andere geschrieben, um zum Beispiel Zuschüsse oder einen Kredit zu erhalten. Die verschwinden dann aber schnell in der Schublade und keiner schaut sich die jemals wieder an. Ich plädiere aber dafür, dass Menschen in jedem Unternehmen über so einen Prozess nachdenken und sich fragen, wo wollen wir langfristig hin und was möchten wir in den nächsten drei bis fünf Jahren an Zielen erreichen. Wenn die klar sind, breche ich runter: Wenn ich in drei bis fünf Jahren an einem Punkt stehen möchte, welchen Meilenstein muss ich dann am Ende des kommenden Geschäftsjahres bereits erreicht haben, damit ich on track bin? Und dann darf ich mich fragen: Welche drei bis fünf Projekte führen mich zu diesem Ziel. So komme ich in eine konkrete Projektplanung.
Bisher spreche ich übrigens noch gar nicht über Finanzen. Ich rede nur über Geschäftsentwicklung. Darüber denken Unternehmer und Führungskräfte gern nach. An dieser Stelle, an der ich die Maßnahmen ins Rennen schicke, darf ich mich fragen: Wie kann ich diesen Fortschritt vernünftig messen, damit ich einen objektiven Spiegel für die Alltagsentscheidung in Form von Zahlen habe? Dann komme ich beim Thema Ressourcenplanung, Investitionsplanung, vielleicht auch noch einmal Produktplanung und einiges mehr an. Und hinten raus fällt dann, fast zufällig, ein reiner Finanzplan. Wenn ich mich darauf einlasse und das realistisch angehe, werde ich so zum Kapitän meines Unternehmerboots. Wir können immer Detailsein- oder ausblenden, eine neue Perspektive dazugeben oder wegnehmen. Aber im primären Fokus steht mein Unternehmen, mein Plan, meine Zukunft. Ich möchte mich ja nicht in so ein Boot setzen nach dem Motto „ich schau mal, was passiert“. Als Unternehmer möchte ich das Boot steuern. Dafür braucht es diesen Prozess. Der funktioniert und so wird auch in großen Konzernen gedacht. Einige schaffen es, ihr Milliardengeschäft auf wenige tausend Euro genau zu planen.
Die gesamte Interviewreihe ist erschienen im Buch „Der Führungshappen“: Die Herausgeberinnen Jana Assauer und Mona Schnell haben in diesem Buch 13 führenden Leadership-Expert und -Expertinnen aus Deutschland mit insgesamt über 200 Jahren Erfahrung in Führung und der Arbeit mit Unternehmern, Vorständen, C-Levels und Managern Fragen rund um drängende Fragen um das Thema Führung im 21. Jahrhundert gestellt. Sie verraten ihre besten Tipps und Hacks für Führungskräfte. (Montagshappen Verlag 2024, 252 Seiten, € 29,99,
ISBN: 978-3-98640-019-4).
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