Die Simon-Kucher Standortperspektiven-Studie 2025 zeigt: Deutschlands energieintensive Industrien ziehen sich zurück. Getrieben von hohen Energiekosten, regulatorischer Unsicherheit und schwachem Wachstum verlagern immer mehr Unternehmen ihre Investitionen ins Ausland – mit weitreichenden Folgen für den Wirtschaftsstandort.
240 Vorstände und hochrangige Manager energieintensiven Branchen wurden von Juli bis September für die Studie befragt. Verantwortlich für die Studie zeichnete Jan Hämer, Partner in der globalen „Chemicals & Base Materials“ Practice bei Simon-Kucher. DDW sprach mit ihm über die Ergebnisse der Studie.
Herr Hämer, wie steht es um Deutschland als Investitionsstandort?
Unsere Simon-Kucher Standortperspektiven-Studie 2025 zeigt, dass viele energieintensive Industrien Investitionen über Jahre aufgeschoben haben – und das im vollen Bewusstsein der strukturellen Nachteile und des ausbleibenden Wachstums. Jetzt kippt das Bild: 73 Prozent der befragten Unternehmen verlagern Investitionen ins Ausland, 42 Prozent innerhalb Europas und 31 Prozent interkontinental.Die Investitionszurückhaltung am Standort Deutschland ist also nicht neu, aber sie entlädt sich jetzt – getrieben durch hohe Energiekosten, regulatorische Unsicherheit und schwache Wachstumsaussichten.
Warum fließen die Investitionen ab – und wohin?
Energiepreise sind der Katalysator. Früher konnte man in Deutschland produzieren und nach Asien exportieren – heute rechnet sich das kaum noch. Unternehmen suchen Energieverfügbarkeit, Planbarkeit und Marktnähe. Deshalb fließen Investitionen zunehmend nach Nordamerika, in Teile Asiens oder innerhalb Europas in Regionen mit stabilerer Energieversorgung. Ziel ist Versorgungssicherheit und Kundennähe, nicht reine Kostensenkung.
Welche Unterschiede sehen Sie zwischen den Branchen?
Die Unterschiede zwischen den energieintensiven Industrien sind in unserer Simon-Kucher Standortperspektiven-Studie 2025 klar erkennbar:Basischemikalien verlagern ihre Investitionen besonders stark – ganze 86 Prozent investieren außerhalb Deutschlands. Zement und Glas hingegen bleiben überwiegend ortsgebunden und folgen der lokalen Nachfrage. Stahl zeigt ein hybrides Muster: Die Branche ist handelsexponiert, d. h. einige Produkte sind international austauschbar und werden verlagert, während die großen Anlagen und Prozesse ortsgebunden bleiben.
“Langfristig wird entscheidend sein, grüne Produktion wirtschaftlich tragfähig, nicht politisch abgeschirmt zu machen”
Was zeigt die Studie über das Investitionsverhalten insgesamt?
“Hohe Energiekosten, regulatorische Unsicherheit und schwache Wachstumsaussichten”: Jan Hämer, Partner in der globalen „Chemicals & Base Materials“ Practice bei Simon-Kucher
Die energieintensiven Industrien reagieren nach einem langen Investitionsstau jetzt deutlich. Investitionen folgen heute in erster Linie der Energieverfügbarkeit – nicht mehr nur der Marktnachfrage. Was das heißt? Wer sich bisher auf Stabilität in Deutschland verlassen hat, muss nun Kapazitäten verlagern oder diversifizieren, um Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Wie steht es speziell um die Stahlindustrie?
Die Stahlindustrie ist hybrid – sie ist handelsexponiert, produziert also teils international austauschbare Güter, während ihre Anlagenstruktur ortsgebunden bleibt. Neue, CO₂-arme Kapazitäten entstehen derzeit überwiegend in Deutschland, etwa bei Salzgitter oder Saarstahl. Damit trägt Deutschland die Last der Transformation. Gleichzeitig birgt die europäische Zollpolitik Risiken: 50-Prozent-Zölle schaffen kurzfristig Schutz, erhöhen aber Kosten und können notwendige Anpassungen verzögern. Langfristig wird entscheidend sein, grüne Produktion wirtschaftlich tragfähig, nicht politisch abgeschirmt zu machen.
Lässt sich denn mit Nachhaltigkeit Geld verdienen?
88 Prozent der energieintensiven Unternehmen haben Nachhaltigkeit in ihrer Strategie verankert, aber weniger als 40 Prozent erzielen damit bislang messbaren Markterfolg. Die Ambition ist hoch, doch viele verharren im Compliance-Modus. Die Gewinner werden Nachhaltigkeit in klaren Kundennutzen und monetarisierbare Geschäftsmodelle übersetzen – also von der Pflicht zur Wertschöpfung gelangen.
In welche Energieformen und Technologien investieren die Unternehmen?
Fast alle Unternehmen verfügen heute über eine Strategie für erneuerbare Energie. Handelsexponierte Industrien sichern sich Zugang über langfristige Stromlieferverträge (PPAs), um Kosten zu stabilisieren, während ortsgebundene Industrien häufiger in Eigenerzeugung oder Direktinvestitionen gehen. Der Anteil direkter Investitionen ist in Europa deutlich höher (32 Prozent vs. 19 Prozent in den USA) – ein Zeichen für höheren Energiekostendruck und stärkere Abhängigkeit von politischer Planung.
Wie wichtig sind staatliche Förderungen?
Programme wie der U.S. Inflation Reduction Act und der EU-Green-Deal schaffen für die Unternehmen Orientierung und Investitionssicherheit. Förderung wirkt, wenn sie Investitionen erleichtert und Planbarkeit herstellt. Zu komplexe Regeln oder reine Compliance-Anforderungen erhöhen Aufwand, aber ohne die Umsetzung zu beschleunigen. Entscheidend ist Verlässlichkeit, nicht die Höhe der Förderung.
Welche Kriterien bestimmen heute die Standortwahl?
Energie dominiert alle anderen Standortfaktoren. 97 Prozent der energieintensiven Unternehmen nennen Energiepreise als wichtigsten Treiber. Danach folgen Zuverlässigkeit der Versorgung, Zugang zu erneuerbarer Energie und ein stabiles regulatorisches Umfeld. Wer Energie planbar, bezahlbar und grün bereitstellen kann, zieht Investitionen an.
Jan Hämer ist Partner in der globalen „Chemicals & Base Materials“ Practice bei Simon-Kucher und verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Beratung führender Unternehmen der Branche in Europa, dem Nahen Osten, China, Japan und Nordamerika. Simon-Kucher ist eine globale Unternehmensberatung mit über 2.000 Mitarbeitern in 30 Ländern. Mit rund 40 Jahren Erfahrung in Monetarisierung und Pricing gilt die Bonn gegründete Simon-Kucher Unternehmensberatung als weltweit führend in den Bereichen Preisberatung und Unternehmenswachstum.
Bild oben: Es wird noch investiert in Deutschland, aber anteilig immer mehr im Ausland. Wie hier bei der BASF in Ludwigshafen. Eine neue Acetylen-Anlage ersetzt dort die fast 60-jährige alte Anlage und kann jährlich 90.000 Tonnen der vielseitigen Chemikalie produzieren. Die Einbindung der Anlage in das Verbundkonzept der BASF bietet die Vorteile einer effizienten Ressourcennutzung, exzellenter Produktionssynergien und kurzer Lieferwege. Dennoch bleibt BASF generell unter Druck und insbesondere der Standort Ludwigshafen gilt als “Problembär”, wie das Magazin Capital diese Woche titelte. (Bild: Unternehmen)
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