Ordnung durch Standort – Wie der Mittelstand den Rahmen stärkt

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Ordnungspolitik beginnt nicht in Ministerien – sondern dort, wo Unternehmer Verantwortung für Räume übernehmen. Wer in unsicheren Zeiten langfristig investiert, setzt auf Regeln, nicht auf Zuschüsse.

Von Hans Jürgen Waschk

Was wie ein leiser Satz klingt, ist in Wahrheit ein politischer Imperativ. Denn viele ordnungspolitische Debatten unserer Zeit kreisen um die großen Systeme: Inflation, Klima, Staatsverschuldung. Dabei bleibt oft unbeachtet, dass die Ordnung unserer Wirtschaft dort beginnt, wo Unternehmer sich bekennen – zu einem Ort, zu einer Region, zu einem langfristigen Aufbau. Und genau hier liegt die Kraft eines weithin übersehenen Instruments: der Standortentscheidung des Mittelstands.

Denn Standortplanung ist keine bloße Immobilienfrage. Sie ist gelebte Ordnungspolitik – dann nämlich, wenn Eigentum, Planungssicherheit und Fachkräftebindung zusammenwirken und ohne staatliche Lenkung Werte geschaffen werden, die bleiben.

“Der Staat soll weder den Wirtschaftsprozess zu steuern versuchen, noch die Wirtschaft sich selbst überlassen: Staatliche Planung der Formen – ja; staatliche Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses – nein.”— so schreibt Walter Eucken in seinem Vorwort zum ersten Band des ORDO Jahrbuchs 1948.

Diese Grundhaltung ist heute aktueller denn je. Sie fordert nicht Rückzug des Staates, sondern Klarheit über seine Rolle: Regeln setzen, nicht lenken.

Ordnungspolitische Prinzipien und ihre Dezentralität

Was ist Ordnungspolitik im Sinne Euckens oder Hayeks? Ganz einfach: Der Staat schafft die Regeln – aber er greift nicht ins Spiel ein. Er schafft Verlässlichkeit, keine Versprechen. Er setzt Rahmenbedingungen, keine Subventionen. Und er respektiert die Selbstverantwortung derer, die diese Ordnung mit Leben füllen: Unternehmer, Bürger, Kommunen.

In dieser Sichtweise wird Wirtschaft nicht gesteuert, sondern ermöglicht.

Der Autor Hans Jürgen Waschk ist Bauassessor, Dipl.-Ing. Architekt & Standort-Planer

Doch gerade das braucht Mut: Ordnungspolitik setzt auf das Wissen der Vielen. Auf dezentrale Entscheidungen. Auf freie Auswahl unter fairen Bedingungen. Und nirgendwo zeigt sich dieses Prinzip so konkret wie in der Frage: Wo siedelt sich ein Unternehmen an? Welche Region bietet langfristige Perspektive? Welche Kommune wird Teil der eigenen unternehmerischen Biografie?
Standortentscheidungen sind in diesem Sinne ordnungspolitische Akte: Sie basieren auf langfristigem Denken, setzen Eigentum voraus, erfordern Vertrauen in funktionierende Infrastruktur, stabile Steuern und soziale Anschlussfähigkeit. Kein Unternehmer verlagert ein Werk aus romantischer Heimatliebe – sondern weil die Ordnung stimmt.

Die Standortfrage als wirtschaftspolitische Grundsatzfrage

Wenn man heute über Fachkräftemangel, Deindustrialisierung oder regionale Disparitäten spricht, dann redet man oft über Symptome. Die Ursachen liegen tiefer: im fehlenden Vertrauen vieler Unternehmen in einen stabilen, vergleichbaren Ordnungsrahmen quer durch Deutschland.

Denn wer heute eine Produktionsstätte plant, braucht Übersicht, Transparenz, steuerliche Planbarkeit und ein verlässliches Umfeld. Doch dieser Rahmen fehlt vielerorts. Die Informationslage ist fragmentiert. Wer als Unternehmer den Mut zur Verlagerung hat, wird oft durch Bürokratie, Unübersichtlichkeit oder mangelnde Unterstützung gebremst.

Dabei wäre die Lösung einfach – und ganz im Geist der Ordnungspolitik:
Ein deutschlandweites, digitales Standortkataster, das klar zeigt:

  • Welche Flächen sind verfügbar?
  • Wo besteht Planungsrecht, wo nicht?
  • Wie sind die Infrastrukturen angebunden?

Ein solches Kataster – vergleichbar mit BORIS-NRW oder Baulückenregistern – würde nicht zentralistisch lenken, sondern Transparenz schaffen. Es würde Wettbewerb zwischen Regionen ermöglichen – nicht um Subventionen, sondern um Klarheit, Qualität und Anschlussfähigkeit. Und es würde den Mittelstand befähigen, jene Entscheidungen zu treffen, die heute zu oft verzögert oder ganz unterbleiben: Die mutige Wahl eines zukunftsfähigen, aber heute noch unterschätzten Standorts.

Drei Modellfälle – Künzelsau, Melsungen, Blomberg

Dass solche Standortentscheidungen ordnungspolitisch wirken können, zeigt ein Blick in die jüngere Wirtschaftsgeschichte. Drei Orte, drei Unternehmen, drei Beweise:

  1. Würth in Künzelsau
    Nach dem Zweiten Weltkrieg war Hohenlohe eine wirtschaftlich schwache Region. Adolf Würth gründete dort sein Unternehmen – nicht auf staatliche Lenkung hin, sondern aus eigener Initiative. Der Standort entwickelte sich zum Zentrum eines Weltmarktführers. Arbeitsplätze entstanden, Familien blieben, die Region wuchs. Ordnungspolitisch betrachtet ist Künzelsau ein Musterbeispiel für gelungene Dezentralisierung durch unternehmerische Entscheidungskraft.
  2. B. Braun in Melsungen
    Der Medizintechnikkonzern entschied sich früh für eine Konzentration im nordhessischen Melsungen – abseits der Metropolen. Mitten im ländlichen Raum entstand ein Hochtechnologiestandort mit globaler Ausstrahlung. Auch hier: kein Ruf nach Subventionen, sondern die bewusste Wahl eines Standorts, der Eigenständigkeit, Eigentum und langfristige Entwicklung möglich machte.
  3. Phoenix Contact in Blomberg (Bild oben)
    Schon im Zweiten Weltkrieg verlagerte das Unternehmen aus dem Ruhrgebiet nach Ostwestfalen. In Blomberg entstanden über Jahrzehnte hochinnovative Fertigungsstätten. Der Ort wurde stabilisiert, die Region gestärkt. Auch dieser Fall zeigt: Die Kombination aus Investition, Vertrauen und Ordnung kann Regionen prägen – ohne Intervention, aber mit langfristiger Wirksamkeit.

Reformvorschlag: Der Ordnungsrahmen für Standorttransparenz

Was folgt daraus für die Wirtschaftspolitik heute? Vor allem eines:
Der Staat muss keine Förderprogramme auflegen. Er muss keinen neuen Zentralfonds gründen. Aber er muss Transparenz ermöglichen.

Ein bundesweites Standortkataster, gegliedert nach klaren Kategorien (bestehende Flächen, planungsrechtlich vorbereitete Flächen, potenzielle Erweiterungsflächen), wäre ein echtes ordnungspolitisches Instrument. Es würde keine Standorte verordnen – aber die Wahl erleichtern. Es würde keinen Investor drängen – aber allen ermöglichen, schneller, klarer und faktenbasiert zu entscheiden.

So entsteht Wettbewerb – nicht um Fördergelder, sondern um Zukunft.

Ergänzend könnte man steuerliche Anreize schaffen, um Produktionsstätten aus dem Ausland zurückzuholen – ebenfalls ein ordnungspolitischer Hebel: nicht durch Lenkung, sondern durch Gleichheit der Rahmenbedingungen.

Vor allem aber sollte Politik aufhören, die Standortfrage als Nebenkriegsschauplatz zu behandeln. Denn sie ist Kernfrage jeder wirtschaftlichen Ordnung. Und sie entscheidet mit darüber, ob Deutschland in der Fläche investiv, lebendig und sozial stabil bleibt – oder ob sich Wachstum immer weiter in die Ballungsräume verengt.

Schluss: Ordnung durch Entscheidung

Wo Eigentum, Planungssicherheit und Eigenverantwortung zusammentreffen, entsteht Ordnung – nicht durch Dekrete, sondern durch Haltung. Standortentscheidungen des Mittelstands sind ordnungspolitische Akte im besten Sinne: leise, langfristig, wirksam.
Was sie brauchen, ist kein Beifall – sondern ein Rahmen, der Klarheit schafft. Dann wird Ordnungspolitik nicht nur gedacht, sondern gelebt.

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Hans Jürgen Waschk ist Bauassessor, Dipl.-Ing. Architekt & Standort-Planer sowie Autor. Er hat mehr als 33 Jahre Erfahrung in der ganzheitlichen Planung und Umsetzung von Bauprojekten für KMU und Familienunternehmen. Kontakt auf LinkedIn

Bild oben: Im All Electric Society Park in Blomberg (NRW) öffnet sich das Unternehmen Phoenix Contact mit einem einzigartigen Wissensort für die Öffentlichkeit und zeigt, dass der Schlüssel zu einer nachhaltigen Welt in technischen Lösungen für Industrie und Gesellschaft liegt (Bild: Unternehmen)

0 Antworten zu “Ordnung durch Standort – Wie der Mittelstand den Rahmen stärkt”

  1. Ein hervorragend formulierter Beitrag, der den Blick für die oft unterschätzte Bedeutung der ordnungspolitischen Standortentscheidung schärft. Besonders überzeugend ist die Betonung, dass nachhaltige Wirtschaftskraft dort entsteht, wo Unternehmer langfristig Verantwortung übernehmen – unabhängig von kurzfristigen Subventionen. Der Vorschlag eines bundesweiten digitalen Standortkatasters ist ein klarer, pragmatischer Impuls, der echte Transparenz schafft und unternehmerische Entscheidungen erleichtert. Ein starkes Plädoyer für mehr Vertrauen, Planungssicherheit und Dezentralisierung – genau das, was unsere Wirtschaft jetzt braucht.

  2. Ein starker Beitrag mit ungewohnter Tiefenschärfe.

    Dieser Artikel macht deutlich, was in vielen wirtschaftspolitischen Diskussionen zu kurz kommt: Dass Standortentscheidungen keine bloßen Investitionsentscheidungen sind, sondern ordnungspolitische Akte. Sie beruhen auf langfristigem Denken, auf Vertrauen in verlässliche Rahmenbedingungen – und sie wirken weit über betriebswirtschaftliche Aspekte hinaus.

    Besonders bemerkenswert ist die Verbindung von Gegenwartsanalyse mit einem strukturellen Verständnis für zukünftige Entwicklungen – infrastrukturell wie unter makroregionaler Perspektive. Wer so denkt, erkennt: Standortplanung ist mehr als Baugrund und Quadratmeterpreise. Sie ist Ausdruck von Haltung, Verantwortung und dem Mut zur Dezentralität.

    Ein inspirierender Appell für eine Ordnungspolitik, die auf Transparenz, Klarheit und Eigenverantwortung setzt – und damit Raum für Zukunft schafft.

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