Gerald Kassner, Geschäftsführer und dritte Unternehmergeneration von schauinsland-reisen, weiß um die Bewegungen der Branche. Ein in Aufruhr geratener Flugmarkt prägt nicht nur Verbraucher, er stellt auch Reiseveranstalter vor Schwierigkeiten. Doch es kommt darauf an, aus Umwälzungen neue Ideen und Geschäftsmodelle zu machen.
So hat der Familienunternehmer Räume genutzt, die sich auftaten, und fand im Airline-Startup SUNDAIR einen strategischen Partner. Im DDW-Interview spricht Gerald Kassner über seine ersten Schritte auf einem gänzlich neuen Terrain.
Herr Kassner, schauinsland-reisen hat im Oktober 2018 sein 100-jähriges Firmenjubiläum gefeiert. Sie sind die dritte Generation der Gründerfamilie. Geben Sie uns einen „Elevator Pitch“ zu Ihrer Unternehmensgeschichte?
Ja gern! Unsere Firma ist 1918 als Transportunternehmen gegründet worden. Mein Großvater hat das Unternehmen gegründet und in den folgenden Jahrzehnten größer gemacht, wobei er in den Kriegswirren immer wieder Rückschläge erleiden musste. Ein erster wichtiger Meilenstein war der Einstieg ins Busreisegeschäft. Dieses haben wir in den 50er und 60er Jahren stark ausgebaut. Besonders in Nordrhein-Westfalen waren wir als Busreiseveranstalter Richtung Spanien und Italien, aber auch für Clubtouren und Wochenend-Fahrten bekannt. Mit dem Einstieg ins Flugreisengeschäft setzte sich das Wachstum stark fort mit Reisen in Richtung Balearen, Kanarische Inseln, die Türkei und Griechenland. Wir waren damals aber immer noch ein Regionalist. Eine große Entwicklung gab es nochmal als meine Mutter, 1982 die Geschäftsführung übernahm. Bis 1998, da habe ich das Unternehmen übernommen. Zu diesem Zeitpunkt mit etwa 50 Millionen DM Umsatz und gut 30 Mitarbeitern. Das Wachstum setzte sich mit Beginn des neuen Jahrtausends extrem fort. Mittlerweile sind wir der fünftgrößte Flugreiseveranstalter mit 1,37 Milliarden Euro Umsatz und 1,64 Millionen Kunden sowie auch in der D-A-CH Region der fünftgrößte Anbieter für Pauschalreisen. Wir wachsen seit vielen Jahren schneller als der Markt, beschäftigen mehr als 1000 Mitarbeiter weltweit und zählen dabei wirtschaftlich gesehen zu den erfolgreichsten Reiseveranstaltern.
Und Ihren Wachstumskurs setzen Sie nun auch mit einem neuen Geschäftsbereich fort. 2016 haben Sie sich an der deutschen Airline SUNDAIR zu 50% beteiligt. Warum haben Sie diese Entscheidung getroffen?
Das war zunächst nicht nur eine Beteiligung, SUNDAIR war ein Start-up. Wir von schauinsland-reisen haben schon seit längerem nach einem Partner gesucht und die Idee verfolgt, eine Fluggesellschaft zu gründen, da dies für uns natürlich eine sinnvolle Ergänzung ist.
Zu dem Zeitpunkt zeichneten sich auch langsam Veränderungen am Flugmarkt ab. AirBerlin fuhr von Jahr zu Jahr höhere Verluste ein und dass dies nicht mehr lange gut geht, konnte
2016 fand schauinsland-reisen mit der Airline SUNDAIR einen aussichtsreichen Partner.
man zwar nicht wissen aber erahnen. Als Reiseveranstalter müssen wir gewappnet sein für Veränderungen auf dem Markt. Man braucht Möglichkeiten, den Spielball weiter in der Hand zu halten, um auf Marktveränderungen reagieren zu können. Einen Wegfall von AirBerlin kann man natürlich nicht einfach kompensieren, aber zumindest ein ausbaufähiges Add-on bereithalten. Dass Germania nicht ganz sicher stand, war auch schon bekannt, aber die schnelle Insolvenz war eine böse Überraschung für uns alle.
Mit SUNDAIR war also der Plan, einen seriösen Partner an unsere Seite zu nehmen, mit dem wir uns zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell entwickeln können und so auch einen Konterpart zu den restlichen Fluggesellschaften, die dann noch den Markt beherrschen würden, darzustellen. Es war nie genau abzusehen, was sich entwickelt aber die Grundidee mit unserem Partner Marcos Rossello – welcher die anderen 50% hält – war es, gewappnet zu sein für die Bewegungen der Branche.
Reisen veranstalten konnten Sie schon. Die Arbeit mit einer Fluggesellschaft war aber ganz neues Terrain. Wie ist der Einstieg in dieses Geschäftsmodell gelaufen ?
Es war in der Tat etwas holprig, da die Maschinen nicht so schnell zur Verfügung standen wie geplant. Ein üblicher umfangreicher technischer Check ergab einige Wartungsarbeiten. Auch die Einflottung der Maschine in den EASA-Raum benötigte Zeit. Das hat zu Verzögerungen im ersten Jahr geführt. Durch die Buchung von Ersatzmaschinen konnten wir letztlich alle Kunden befördern – aber dies kostete uns natürlich etwas mehr. Daraus haben wir gelernt.
Mittlerweile haben wir statt zwei bereits sechs Maschinen und in naher Zukunft werden wir die siebte Maschine einflotten. Mit der Zeit haben wir eine gute Unternehmensstruktur aufgebaut, operieren sehr sicher und haben wenige Probleme.
Sie haben es gerade schon angemerkt: Die Flugbranche hat krasse Einschnitte erfahren müssen. Wird der Markt dadurch enger und eröffnet Ihnen das für Ihre Angebote und Kunden neue Möglichkeiten?
Zunächst mal ist die Flugbranche sehr interessant. Es gibt hohe Begehrlichkeiten für andere Unternehmen zu wachsen. Einige Gesellschaften am Markt haben Ihre Kapazitäten nun deutlich ausgebaut. Dennoch sind aktuell noch reichlich Kapazitäten vorhanden, weshalb wir dieses Jahr unsere Chance genutzt haben: Die Germania hatte mehrere kleinere Flughäfen besetzt, beispielsweise Bremen, Leipzig oder Dresden. Diese bieten als Drehkreuze für größere Fluggesellschaften wenig Synergien, weshalb wir dort mit SUNDAIR Kapazitäten übernommen haben.
Dazu ein kurzer Exkurs in Richtung Ausbau und Wachstum. Sie haben sich dazu entschieden auch neben dem Reisegeschäft auszubauen und einige Hotels zuzukaufen. 2016 haben Sie Ihr erstes Hotel erstanden und haben jetzt sechs Hotels mehrheitlich in spanischen Destinationen. Was hat sich daraus bereits ergeben, was zeichnet sich ab?
Als Veranstalter müssen wir auf jeden Fall die Synergien nutzen, die Wertschöpfungsketten sinnvoll ergänzen. Wir können dort unsere eigenen Kunden mit unseren eigenen Flugkapazitäten zu unseren eigenen Hotels bringen. Wobei wir auch ein Veranstalter sind, der offen im Markt ist. Wir schotten uns ungerne komplett ab, sondern schätzen das Fair Play mit unseren Branchenkollegen. In erster Linie möchten wir eine optimale Auslastung und Wertschöpfung in den Assets, die wir dort gegründet haben, generieren und wir sind sehr zufrieden damit.
Je nach Marktlage ist es natürlich schwierig, wenn gewisse Destinationen nicht zu hundert Prozent den Erfüllungsgrad zeigen, wie man ihn sich wünscht. Die Türkei hatte beispielsweise in den letzten Jahren nicht so gut performt, kommt aber sehr stark zurück. Momentan ist bei den Kanarischen Inseln ein leichter Aufwärtstrend im Vergleich zu anderen Destinationen zu sehen. Aber auch da: Mit guter Qualität und hohen Weiterempfehlungsquoten können wir sehr zufrieden mit der Wertschöpfung und den Investments sein, die wir in diesen Hotels getätigt haben. In den nächsten Jahren werden wir das Hotelbusiness weiter ausbauen und möchten ein bis zwei Hotels pro Jahr dazugewinnen.
„Die Airline bietet sinnvolle Synergien“
Wir haben eben kurz angerissen, dass der Einstieg in das Airlinegeschäft ein bisschen holprig war. Sie kennen Herausforderungen auch im Pauschalreisegeschäft, aber wie verändern sich die Herausforderungen, jetzt wo Sie auch eine Airline haben?
Das muss man ganz ehrlich sagen: Airlinegeschäft ist ein knochenhartes Business, in dem man sich keine Fehler erlauben darf. Schon bei kleinen Verspätungen muss man gemäß EU-Verordnung den Kunden entschädigen. Das sind horrende Summen, die einen Ergebnisplan komplett zerreißen können. Man muss also in allen Bereichen extremst genau arbeiten, eine sehr hohe Anforderung.
Man muss sich auch erst einmal überlegen, wo man unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten überhaupt hinfliegt. Was sind da die Besten Regionen für Sie?
Natürlich kann und muss man mit dem Volumen der eigenen Gäste den Flugplan steuern. Als Spezialist für Pauschalreisen haben wir hohe Volumina in den Kernzielgebieten wie den Kanaren und Balearen, der Türkei, Ägypten und Griechenland. Dort können wir natürlich schneller die Kapazitäten füllen. Aber ja, wir möchten nicht zwingend für Überkapazitäten sorgen, denn die nutzen in der Wirtschaft niemandem. Wir möchten, dass sich eine sinnvolle Ergänzung ergibt. Mit Kassel Calden beispielsweise: In dieser Region, in der wir als einziger Veranstalter eine Maschine positioniert haben, haben wir sicherlich ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem wir versuchen uns etwas abzuheben. Dort ist es gelungen, Operationen aufzubauen, die auch erfolgreich funktionieren.
War retrospektiv der Einstieg in die Airline strategisch eine gute Entscheidung?
Der Einstieg war die richtige Entscheidung. Gewisse Dinge würde ich im Nachhinein immer etwas anders machen. Zum Beispiel würde ich uns mehr Zeit geben bei der Einflottung von neuen Flugzeugen. Für mich ist die Frage ganz zentral und wichtig, ob ich, wenn ich heute die Entscheidung treffen könnte, an der Idee einer Airline festhalten würde. Das habe ich mich jüngst gefragt und die Frage mit einem ganz klaren Ja beantwortet. Es bietet uns signifikante Mehrwerte und wertvolle Synergien, dass wir SUNDAIR haben. Also ja: Die Entscheidung ist auch — Stand heute — richtig. Auf die Ewigkeit hin kann man dies natürlich nicht beantworten. Die Marktverhältnisse können sich manchmal schnell ändern und jeder Unternehmer ist gut beraten, wenn er seine Entscheidungen und Strategien permanent überdenkt.
„Der Deutsche möchte sich beraten lassen.“
Stichwort Ewigkeit. Mit Ihrem Geschäftsmodell als Reiseveranstalter müssen Sie auch an die Zukunft denken. Wie sehen Sie die Herausforderungen? Glauben Sie, dass das Reisebüro ein Auslaufmodell ist?
Das Reisebüro wird niemals ein Auslaufmodell sein. Die Quantität der Reisebüros wird vielleicht leicht zurückgehen. Wir müssen sehen, ob wir mit 10.000 Reisebüros in Deutschland zukünftig noch die richtige Anzahl haben. Vor Jahren gab es schon Prognosen, die von Rückgängen ausgegangen sind. Wir haben in der Tat in den letzten Jahren Reisebüros hinzugewonnen. Man muss aber auch klar sagen, dass wir durch das Onlinegeschäft einen sehr starken Wettbewerb gegenüber den Reisebüros haben, der sich gerade in diesem Jahr stärker zum Ausdruck bringt. Es gibt in dem Bereich immer Wellenbewegungen. Wir glauben fest an den Reisebürovertrieb, wissen aber auch, dass der Onlinevertrieb momentan eine gewisse Entwicklung durchlebt. Man muss sehen, wohin die Bewegung in fünf bis zehn Jahren geht, aber Reisebüros werden nach wie vor wichtig sein für den Kunden. Der Deutsche möchte sich beraten lassen. Das Reisebüro bietet ihm einen hohen Mehrwert. Der ein oder andere weiß vielleicht direkt, was er haben möchte und bucht lieber online. Aber letztendlich sind Reisebüros aus Deutschland nicht wegzudenken.
Es kann ja durchaus auch eine Rückbewegung geben. Die Hauptmotivation bei einer Onlinebuchung ist ja vielfach, dass Reisen dort günstiger sind. Das ist mittlerweile gar nicht mehr der Fall.
Im Gegenteil, die Reisen sind im Reisebüro eben nicht teurer als im Onlinebereich. Das Reisebüro bietet einfach einen Vorteil durch die direkte und kompetente Beratung. Wenn man als junger Mensch einen entspannten Strandurlaub auf Mallorca sucht oder einen Partyurlaub in Cala Ratjada, so liegt der Fokus auf dem Umfeld und weniger auf dem Hotel. Wenn sich eine junge Familie hingegen einfach mal ein paar Tage erholen will, spielt das Hotel eine große Rolle. Diese Faktoren werden im Reisebüro direkt mitbedacht. Die ganze Suche und das Filtern im Onlinebereich erfordert Kraft und kann viele, viele Stunden in Anspruch nehmen. Und die Entscheidungsfindung wird dadurch eher komplexer.
Um nochmal den Bogen vom Anfang zu schließen: Wie geht die Reise Ihres Familienunternehmens jetzt weiter?
Mein jüngerer Sohn, Steffen, hat seine Ausbildung beendet und sich entschieden, unser Unternehmen weiterzuführen. Er wird alsbald anfangen. Dort wird er dann auch für den Fortbestand unseres Familienunternehmens sorgen. In der vierten Generation, und das ist ja schon einmal sehr erfreulich.
Herr Kassner, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin!
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