Corona und die emotionalen Folgen

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Krisenhafte Umstände wirken wie ein Schutzschirm, unter dem ehrliche Selbstreflexion und eine Neuausrichtung möglich ist. Doch über zukünftigen Erfolg entscheidet der Umgang mit den eigenen Gefühlen. Von Gaby Allendorf und Ralf Bihlmaier

März 2020: Das laute, hektische, schnelle Leben ist zum Erliegen gekommen. Von jetzt auf gleich, von einer Minute zur anderen. Für den Einzelhandel, die Gastronomie, die Veranstalter und viele andere Unternehmen bedeutet das: Nichts geht mehr. Für andere Branchen bedeutet der Shutdown erhebliche Umsatzeinbußen.

Bei den meisten Menschen kommt die Nachricht nicht sofort im emotionalen System an, weil das Gehirn noch mit dem normalen Alltag und den üblichen Herausforderungen beschäftigt ist. Das Gehirn arbeitet zunächst alle geplanten Aufgaben ab. Erst zeitversetzt stellen sich unterschiedliche Gefühle ein, je nach Veranlagung des Betroffenen oder aufgrund früherer Erfahrungen: Existenzangst, Ohnmachtsgefühle, Angst vor dem Ungewissen oder tiefe Traurigkeit, Wut oder sogar Erleichterung.

Mancher Unternehmer, Kulturschaffende, Freiberufler oder Solo-Selbständige findet sich in einer Art Schockstarre wieder, unfähig zu handeln. Der Schrecken und die Erschütterung sind zu groß, so wie bei einer unerwarteten, plötzlichen Todesnachricht. Die entsprechenden Szene im Kriminalfilmen kenne wir alle. „Ihre Frau ist einem Verbreche zu Opfer gefalle . Es tut uns sehr leid!“. Regungslosigkeit, Stille, Totenstille. Der Empfänger der Nachricht ist unfähig, ein Wort zu sagen. Sein Gesichtsausdruck ist starr.

In der Schockstarre können keine neuen Ideen entstehen

Ein Schock ist eine sehr starke seelische Erschütterung. Wer beispielsweise Zeuge eines schlimmen Unfalls wird, steht meistens zunächst unter Schock. Alle Gefühle sind verschwunden.

Hier hilft es, die gesamte Aufmerksamkeit auf den Körper zu richten und sich vollständig auf sich selber zu konzentrieren. Autogenes Training, Meditation, Yoga können helfen, aus Starre und Anspannung in Entspannung zu kommen. Warum ist das wichtig? In der Schockstarre können keine neuen Gedanken oder Ideen entstehen. Entspannung ist die Voraussetzung für Kreativität und Inspiration, denn in einem angespannten Körper findet nur Reaktion, aber keine Aktion und Inspiration statt.

Die meisten Schockzustände lösen sich über den Faktor Zeit von selbst. Die Gefühle kehren zurück. Je nach Veranlagung sind diese Gefühle sehr unterschiedlich: Angst, Verzweiflung, Wut, Aggression oder Trauer. Oder Ohnmacht. Beginnen wir unsere Betrachtungen mit der emotionalen Ohnmacht.

Emotionale Ohnmacht und was dahinter steckt

Der eigene Wille gebrochen, die individuellen Einflussmöglichkeiten tendieren gegen null. Der kollektive Zustand heißt Ohnmacht, verurteilt zum Nichtstun, zum Warten. Das ist insbesondere für Menschen, die es gewohnt waren, von früh bis spät zu arbeiten, die als Selbständige oder Freiberufler ständig beschäftigt waren und selbst am Ruhetag kaum Ruhe fanden , ein harter Einschnitt. „Du kannst nichts machen, das ist das Schlimmste“, sage viele Betroffene. Körperlich geht die Ohnmacht oft mit Unwohlsein oder Magenproblemen einher, viele empfinden sie als den sprichwörtlichen Schlag in die Magengrube.

Hält das Gefühl der Ohnmacht länger an, laufen die Gedanken irgendwann Amok. Aber es hilft nichts. Man ist zur Untätigkeit verurteilt. Das ist für viele Selbständige die Höchststrafe. Dieser Zustand kann unerträglich werden und bis zur Depression führen. Der Ohnmächtige dreht sich mit denselben Themen und Verhaltensmustern im Kreis. Oft ist er nur einen Millimeter von der neuen Idee entfernt, aber solange er die nicht hat, denkt er in den alten Strukturen. Sein Instinkt sagt: nachdenken, nachdenken … Er zerbricht sich den Kopf.

Den emotionalen Zustand, den die Menschen als Amoklauf ihrer Gedanken empfinden, nennt man „Ruhezustandsnetzwerk“. Es bezeichnet eine Gruppe oder Regionen im Gehirn, die beim Nichtstun aktiv werden und für den Blick nach innen zuständig sind, also für die Selbstreflexion. Vielleicht haben Sie das selber schon erlebt: Bei meditativen Tätigkeiten wie zum Beispiel Gartenarbeit beziehungsweise bei der Mediation selbst bringt das Ruhezustandsnetzwerk zunächst alles Unerledigte an die Oberfläche. Das ist für viele Selbständige ein ungewohnter Zustand, mit dem sie schlecht klar kommen. Sie kennen diesen Zustand nicht, sind sie doch normalerweise stets mit ihrer Aufmerksamkeit im Außen: beim Kunden, bei den Mitarbeitern, bei der Planung, in der Auftragsabwicklung oder bei der Lösung der kleinen und großen Probleme im Tagesgeschäft. Für die Beschäftigung mit sich selbst war wenig Zeit.

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Im Ruhemodus treten plötzlich Erinnerungen, erlebte Situationen und Fragen an sich selbst in den Vordergrund. Wie beurteilt man die vor Jahren getätigte Investition in eine neue Geschäftsausstattung heute, war man gut beraten, einen Teilhaber ins Geschäft zu nehmen, hätte man dem unzufriedenen Kunden vor zwei Jahren doch mit einem Preisnachlass entgegen kommen sollen? Ist die Abmahnung des Mitarbeiters zu hundert Prozent sachlich begründet gewesen oder war er doch auch ein Opfer der eigenen Überforderung und Zukunftsangst in jenen Tagen? Hätte man in der Auseinandersetzung mit dem Dienstleister mehr Gelassenheit an den Tag legen sollen? Bin ich gealtert in all den Jahren? Was wird aus meinem Geschäft? Habe ich noch mal die Power, bei null anzufangen? Wo stehe ich jetzt? Wer bin ich und wer wollte ich immer sein?

Dieses Gedanken- und Gefühlskarussell ist ungewohnt und für manchen schwer erträglich, denn es bringt nicht nur schöne Bilder, sondern auch viele negative Gefühle mit sich. Das macht nervös, gerade jetzt, wo die Sorgen ohnehin schon groß sind. Um die Angelegenheit in den Griff zu bekommen, macht man, was man am besten kann: Arbeiten. Mit der Konzentration auf die Arbeit wird das lästige Ruhezustandsnetzwerk nämlich deaktiviert. Die Flucht in den Aktionismus gelingt solange, bis alle Keller aufgeräumt, alle alten Akten sortiert und sämtliche Altlasten entsorgt sind. Aber was dann? Kaum kehrt Ruhe ein, dreht sich das Gedanken- und Gefühlskarussell erneut.

Der nächste Ausweg ist – hoffentlich nicht – die Betäubung der Sinne durch Zucker, Kaffee, Nikotin oder Alkohol.

Erschöpfung nach dem Kampf

Wer ohnmächtig ist, wartet auf ein Wunder, ist aber nicht in der Lage, das Wunder anzuschubsen. Auch gut gemeinte Ratschläge von außen fallen nicht auf fruchtbaren Boden. Die Ohnmacht ist zu mächtig.

Ohnmachtsgefühle können mit Angst und Panik einhergehen. Diejenigen, die nicht ängstlich oder panisch werden, erleben in diesen Tagen eher eine Form von Müdigkeit und Behäbigkeit. Es ist die Erschöpfung nach dem Kampf, die sich hier zeigt. Das betrifft sehr viele Personen, wahrscheinlich mindestens die Hälfte der Bevölkerung. Warum sind viele Menschen müde? Der Grund liegt darin, dass ihnen eine Last von den Schultern genommen wird, nämlich die Verantwortung. Die Verantwortung für Erfolg und Misserfolg, die Verantwortung dafür, ein nützliches Mitglied der Familie, der Gesellschaft, der Nachbarschaft, des Vereins oder des Unternehmens zu sein, in dem man tätig ist. Die Verantwortung für die Gesundheitsvorsorge, die ausreichende Rente im Alter, für einen Beitrag zur Rettung des Klimas, den digitalen Wandel und so weiter. In der Ohnmacht sind wir von der Eigenverantwortung entkoppelt. Das bedeutet, unsere Schuldgefühle verflüchtigen sich. Wer nicht verantwortlich ist, kann auch nicht schuld sein. Dieser emotionale Zustand ist für die meisten Menschen neu. Er führt einige Menschen zu einer tiefen inneren Ruhe, ja zu einer Zufriedenheit.

Plötzlich entsteht Raum für Neues

Warum? Weil die Krise als legitime Rechtfertigung für einschneidende Veränderungen in der Lebensführung dienen kann. Starre Regeln, Konformität und gesellschaftliche Normen brechen auf. Plötzlich herrscht Verständnis, wo zu „normalen“ Zeiten soziale Verurteilung war oder Gegendruck aufgebaut wurde.

Menschen, die mit sich im Reinen sind, können direkt aus dieser Ruhe agieren: Sie bieten im Netz Musik oder Lesungen an, sie erfinden neue Berufe oder starten wichtige Online-Petitionen. Das sind die Macher, die bereits zu neuen Ufern aufgebrochen sind.

Folgen Sie ihnen, sofern Sie nicht bereits dazu gehören. Menschen, die von der globalisierten, schnelllebigen Welt überfordert und erschöpft waren, die sich fremdbestimmt oder ferngesteuert fühlten, haben in der Krise die seltene Chance, sich selbst zu resetten, sich zu fragen: „Was will ich eigentlich wirklich? Wenn ich jetzt neu beginne, wie soll es dann sein?“

„Erkenne dich selbst“, so stand es im antiken Griechenland über de Orakel von Delphi und darum geht es heute. Dabei wirken die krisenhaften Umstände wie ein Schutzschirm, unter dem ehrliche Selbstreflexion und eine Neuausrichtung möglich sind. Plötzlich entsteht Raum für Neues. Darin besteht das Geschenk der Ohnmacht

 

Für Fragen und Dialog steht Ihnen Christine Hertrich von der Allendorf Media GmbH unter folgender Mail gern zur Verfügung: c.hertrich@allendorf-media.de

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