
Sinn und Unsinn einer digitalen Strategie
Es besteht kein Zweifel, dass die Digitalisierung sowohl unser Privat- als auch unser Geschäftsleben grundlegend verändert hat und es digitale Technologien wie Extended Reality (XR) und künstliche Intelligenz (KI) weiter verändern werden. An Handlungsbedarf für jedes Unternehmen besteht insofern ebenfalls kein Zweifel. Wenn Sie das erkannt haben und anerkennen, muss das Unternehmen zwingend eine an der Unternehmensstrategie ausgerichtete digitale Strategie haben.
Von Arnold Weissman / Pascal Barreuther
So müssen Sie beispielsweise im Bereich Finanzen für entsprechende Investitionen für ausreichend Liquidität sorgen. Ebenso müssen Sie sich mit zukünftigen Geschäftsfeldern, Wettbewerbsvorteilen und Positionierungen, mit den künftig notwendigen Kernkompetenzen und der Gestaltung der Wertschöpfungskette sowie der strategischen Zielrichtung befassen.

Professor Dr. Kammerlander, Inhaberin des Lehrstuhls für Familienunternehmen an der WHU, ist überzeugt, dass insbesondere Familienunternehmen unbedingt eine Digitalisierungsstrategie brauchen: »Sie sollte mit der Strategie des Unternehmens verzahnt sein. Man digitalisiert ja nicht der Digitalisierung wegen. Wenn ein Unternehmer oder eine Unternehmerin nur digitalisiert, weil alle sagen, man müsse es tun, aber sie nicht darüber nachdenken, welche wirtschaftlichen Vorteile – wie etwa Effizienz, Qualität oder die Verbesserung oder Erarbeitung neuer Geschäftsmodelle – es bringt, brauchen sie nicht zu digitalisieren. Also muss man sich als Unternehmer überlegen, welche Ziele man mit der Digitalisierung verfolgt und was sie in der Zukunft bringt. Dafür ist ein Strategieprozess sinnvoll, der die digitale Vision und Mission aufzeigt und konkretisiert.«
Ein zweiter Grund, weshalb Familienunternehmen eine Digitalisierungsstrategie brauchen, ist laut Prof. Dr. Kammerlander die Belegschaft: »In den Interviews für unsere Studie ›Digitale Transformation im Mittelstand und in Familienunternehmen‹ haben Dr. Jonas Soluk und ich festgestellt, dass das Fehlen einer Digitalisierungsstrategie und das Fehlen expliziter Kommunikation oft dazu führte, dass sich jeder etwas anderes unter Digitalisierung vorstellte. Die Marketingabteilung dachte: ›Wunderbar, wir machen Digitalisierung. Wir bekommen also mehr Budget für Social-Media-Kampagnen.‹ Die Produktion sah Industrie 4.0 und eine umfangreiche Vernetzung vor sich. Der Vertrieb dachte an E-Commerce-Shops und die Personalabteilung hoffte auf digitalisierte Prozesse zur Erfassung der Arbeitszeit. Auf jedem Gebiet herrschten unterschiedliche Auffassungen von Digitalisierung, die zwar irgendwo in diesem Gesamtbild zusammenpassten, aber doch sehr unterschiedlich waren. Unterschiedliche Vorstellungen bringen auch unterschiedliche Ergebnisse und erfordern einen unterschiedlichen Aufwand. Um keinen Frust zu erzeugen, sollte das Ganze einmal niedergeschrieben und kommuniziert werden.«
Wie die Vision zum Warum wurde
Start-ups sprechen nicht von einer Vision. Für sie ist das Warum viel wichtiger, die Frage nach dem Sinn. Warum gibt es unser Unternehmen und welchen Nutzen bietet es seinen Kunden, der Gesellschaft, der Menschheit? Das Warum ist nicht so weit weg von der Vision, aber im Laufe der Zeit ist die Vision erodiert. Wenn die Vision erst einmal lautet: »Wir wollen der größte Online-Weinhändler in Deutschland werden«, muss man sich nicht wundern, wenn sich niemand dafür begeistert, weder Mitarbeitende noch Kunden. Wem nützt das denn? Im Wesentlichen doch den Eigentümern. Die Mitarbeitenden haben davon im besten Fall eine etwas höhere Vergütung, die Kunden überhaupt nichts, höchstens hin und wieder eine Rabattaktion. »Wir versorgen Weinliebhaber mit den besten ökologisch angebauten Weinen der Welt – schnell und unkompliziert«, wäre schon besser. Oder die Vision eines Reifenherstellers: »Wir produzieren Reifen, die das Unfallrisiko auf Glatteis um 60 Prozent senken.« Auf jeden Fall lohnt es sich, über das Warum, über die Vision oder den Massive Transformative Purpose (MTP) – was ist das größte Problem, das ich gelöst sehen möchte? – gründlich nachzudenken, denn das zieht Menschen, Kunden und Mitarbeitende an. Meistens werben Unternehmen mit dem, was sie machen (tolles Produkt) und wie (modernste Produktion) sie es machen. Viel wichtiger ist aber zu kommunizieren, warum sie es tun. Nur das berührt Menschen, macht sie stolz, zu Fans und Followern. »Menschen kaufen kein Produkt, weil es so toll ist; sie kaufen, weil sie vertrauen«, sagt der britische Unternehmensberater Simon Sinek.
Formulieren Sie in Ihrer digitalen Strategie eine Vision. Sie ist der Leitstern, dem Sie folgen können und von dem Sie Ihre digitalen Ziele ableiten. Die Vision der GimbornGruppe zum Beispiel lautet: »We love cats. And it shows! Die Gimborn Gruppe ist der führende Partner rund um die Fürsorge für Katzen – wir schaffen wert(e)orientiertes Wachstum in ausgewählten Kategorien und Märkten mit unseren nachhaltigen und innovativen Marken.«
»Eine gemeinsame Vision ist nur dann eine Vision, wenn sich viele Menschen ihr wahrhaft verschrieben haben, weil sie ihre eigene, ganz persönliche Zielstellung widerspiegelt.« – Peter Senge
Der Ausgangspunkt einer digitalen Strategie muss immer das Verständnis davon sein, was der Kunde morgen will und braucht – nicht, was man im Unternehmen noch entwickeln könnte.
In der Entwicklung einer digitalen Strategie sollten Sie Antworten auf folgende Fragen finden:
- Welchen Einfluss haben digitale Technologien auf Ihre Industrie bzw. Branche? Wie verändern neue Technologien und digitale Ökosysteme Ihre Geschäftswelt und das Verhalten Ihrer Kunden?
- Wie werden diese Veränderungen die Wettbewerbsfähigkeit Ihrer Produkte, Services, Ihres Marketings, Ihres Vertriebs und Ihrer operativen Systeme beeinflussen?
- Wann werden diese Veränderungen Sie spürbar beeinflussen?
- Welche Marktteilnehmer sind betroffen?
- Welche Umsetzungs- und Kompetenzlücken gibt es?
- Welche Fähigkeiten müssen aufgebaut werden?
- Gibt es sinnvolle Partnerschaften?
- Welche Anpassungen sind in der Organisation notwendig
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Prof. Dr. Arnold Weissman ist Professor für Unternehmensführung an der OTH Regensburg. 1987 gründete er das Beratungsunternehmen Weissman & Cie., das von der Wirtschaftswoche mit dem Best-of-Consulting-Award zur „besten Strategieberatung“ und mit dem Qualitätssiegel „TOP CONSULTANT 2013, 2014, 2015, 2016“ für die hohe Kompetenz und Beratungsleistung für den deutschen Mittelstand ausgezeichnet wurde. Das Unternehmen ist in Nürnberg, Österreich, Italien und der Schweiz vertreten.
Pascal Barreuther ist Management Consultant – Operations Performance & Strategy bei MHP – A Porsche Company. Seine Schwerpunkte liegen bei der digitale Transformation Familienunternehmen, dem Innovationsmanagement und der Entwicklung und Implementierung von digitalen und/oder disruptiven Geschäftsmodellen.
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