St. Moritz: Dekadenz, Pelzmäntel und High Society?

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Diese Frage feiert in diesem Jahr sozusagen Jubiläum. 160 Jahre sind es, seit Hotelier Johannes Badrutt eine Wette mit seinen Gästen aus Großbritannien einging und damit in St. Moritz den Wintertourismus in der Schweiz einläutete. Bis dahin war St. Moritz einfach nur ein Sommerkurort von vielen im Alpenraum mit Heilwasser und guter Luft./ Rubrik Stilvoll reisen

Nun zur Legende: Im Herbst 1864 habe Badrutt mit sechs seiner englischen Sommergäste eine Wette abgeschlossen. Er versprach ihnen, sie würden auch im Winter bei Sonnenschein hemdsärmelig auf seiner Terrasse sitzen können. Falls er Unrecht haben sollte, würde er die Reisekosten erstatten. Die Gäste reisten im Frühling braungebrannt nach Hause und erzählten „halb England“ von ihren Ferien in St. Moritz; der Wintertourismus war lanciert.

Dass Badrutts englische Gäste sich damals so wohl gefühlt haben, wirkt bis heute nach. Die Erschließung der Schweizer Alpen mit der Eisenbahn wurde so erst möglich, und es entwickelte sich vieles, was für uns heute in einem Skiort selbstverständlich ist – inklusive skurriler Sportarten, von denen es einige bis heute nur in St. Moritz gibt. Das Cresta-Rennen, der Vorläufer des Skeletons, bei dem die Athleten mit Geschwindigkeiten bis zu 145 km/h bäuchlings und mit dem Kopf voran auf einem speziellen Rodelschlitten durch einen Eiskanal fahren. Nicht verwunderlich, dass der Cresta Club ein exklusiver Zirkel von mutmaßlich Wahnsinnigen ist, die gerne unter sich bleiben, wobei der Zugang durchaus möglich ist: Die Einschreibung inkl. Einweisung und 5 Fahrten kostet 700 CHF, dann 55 CHF pro Fahrt. St Moritz Tobogganing Club.

Skikjöring beim White Turf in St. Moritz (Bild: White Turf, R Walch )

Der White Turf

Größeres gesellschaftliches Ereignis, weil viel geeigneter zum Flanieren und Champagner genießen, ist das White Turf. Am 2., 9. und 16. Februar 2025 wandelt sich der gefrorene St. Moritzersee wieder zum internationalen Hotspot. Die edelsten Vollblüter der Welt zeigen sich bei Galopp- und Trabrennen auf dem Eis und beim eigenwilligen Skijöring, ebenfalls eine englische Erfindung. Hier zieht das Pferd den Jockey auf Skiern hinterher. Es ist bis heute das Ereignis der Saison. Über 30.000 Gäste reisen hierzu jährlich in die Engadiner Bergwelt, um dem beizuwohnen. Für deren Unterhaltung wird eine 130.000 m² große Zeltstadt aufgebaut: mit Livemusik, kulinarischen Köstlichkeiten, Shopping und einem Kinderparadies. Wer es zu diesem Termin nicht schafft, der kommt zum Snow-Polo im Januar.

Meist auch in der Hauptsaison schön leer: Auf St. Moritz‘ Pisten (Bild: mountains.ch)

Wir sind bereits vor allem Trubel Anfang Dezember hingereist und den Mythos St. Moritz haben wir trotzdem kennengelernt. Es ist wohl der 160-jährigen Erfahrung mit Luxustourismus zuzuschreiben, dass man hier einfach weiß, wie es geht. Mit insgesamt 87 Pisten und Abfahrten in Weltcup-Qualität gehört St. Moritz zu den größten und abwechslungsreichsten Skigebieten im Alpenraum, und dabei ist der St. Moritz-Gast eigentlich gar kein Skifahrer. Aber wie ist das allgemein mit Yachten und Ferienhäusern: Wichtig ist, man könnte, wenn man nur wollte.

Die richtige Wahl des Hotels

„Altes Geld geht ins Suvretta House“, raunte mir vor meinem ersten St. Moritz-Besuch vor 25 Jahren jemand zu, der es wissen musste, aber dessen Geld inzwischen eigene Wege gegangen war. Und es gilt noch heute: Im Suvretta House trifft zeitlose Eleganz auf vornehme Diskretion, gut versteckt hinter den schweren Türen des prächtigen Jugendstilhotels.

Nostalgische Jetsetter gehen ins Kulm, Traditionalisten ins Badrutt’s Palace, wo die Hotelhalle im Winter zum legendären Catwalk des „Sehen und Gesehen werden“ wird. Wer hier mitspielen will, muss bekannt sein oder ein Zimmer im Haus haben. Große Schilder weisen bereits am Eingang darauf hin: Zutritt nur für Hausgäste, was auch für die Restaurants des Badrutt’s Palace gilt.

Grand Hotel des Bains Kempinski

Ski-In/Ski-Out im Grand Hotel des Bains

Wir haben uns mit dem Grand Hotel des Bains Kempinski für einen „Underdog“ entschieden. Der Hotelpalast aus dem Jahre 1864 entstand als Kurhaus mit eigener Heilquelle noch für Sommergäste und liegt daher etwas abseits unten am See. In den vergangenen zwei Jahren hat man die öffentlichen Bereiche und sämtliche Zimmer renoviert, sodass das Hotel wieder zu den modernsten 5-Sterne-Hotels der Schweiz gehört. Dabei konnte man viele Elemente der Belle-Époque-Architektur erhalten und dem Haus einen frischen Touch verpassen. Der Ausblick in die Berge und den Kurpark sowie die gute Erreichbarkeit mit dem Auto sprechen ebenfalls für das Kempinski. Das Hotel liegt direkt gegenüber der Signalbahn, die einen ins Skigebiet bringt, und es ist damit eines der wenigen Hotels im Ort mit Ski-In/Ski-Out.

Grand Hotel des Bains Kempinski Lobby

Auch gastronomisch ist das Kempinski bestens aufgestellt: Vom Michelin-Stern ausgezeichneten Ca d’Oro über das Les Saisons im großen Saal, das Ristorante Da Adriano, in dem wir dank des unterhaltsamen Gastgebers Adriano einen amüsanten Abend mit ausgezeichneter Küche hatten, und die stets belebte Lobbybar mit Livemusik. In diesem Winter kommt noch eine Dependance von Flavio Briatores Billionaires Club hinzu, für den extra gebaut wurde. Das Billionaire St. Moritz soll Restaurant, Nachtclub und Showbühne für Künstler, Sänger und Tänzer sein und Weltklasse-Unterhaltung bieten. Wir sind schon gespannt, ob man hiermit Rolf Sachs’ legendärem Dracula Club Konkurrenz machen kann.

In Summe: Das älteste und größte Fünf-Sterne-Hotel in St. Moritz ist eine sichere Burg für alle, die ein zuverlässiges Luxuserlebnis mit komfortablen Zimmern und großem Spa in einer erstklassigen Lage suchen, und vor allem für alle, die besonders zum Skifahren gekommen sind.

Die Berghütte Paradiso (Bild: Badrutts Palace)

Dreieinhalb Kilo iranischer Kaviar am Tag

Traditionalisten weinen noch immer Reto Mathies’ Gourmethütte im Corviglia-Skigebiet nach, fand man dieses einfache Gericht doch nur bei ihm in Vollendung: „Corviglia Schnee“, ein Rezept, das einst für den deutschen Boxer Bubi Scholz erdacht wurde: Flockiges Kartoffelpüree mit Butter und Kaviar obendrauf. 120 Flaschen Veuve Cliquot, Krug oder Belle Epoque und dreieinhalb Kilo iranischer Kaviar am Tag verkaufte er zu seinen Glanzzeiten, und er sagte einmal: „Bei uns im Restaurant tragen selbst die Hunde Pelz und Brillanten.“ Sein Lokal schloss er 2022.

Die nächste Generation feiert anders und sich bei DJ-Klängen auf dem Music Deck im Paradiso, der Berghütte des Palace Hotels. Wer lieber entspannt sitzt als tanzt, der kann eine Etage tiefer im Paradiso Mountain Club die Sonne, rustikales Essen (Trüffelfondue, Kaviar und Hummer) und über 500 Weine sowie die exklusivste und größte Auswahl an Champagner der St. Moritzer Bergwelt genießen. Wie viel Kaviar und Champagner hier an guten Tagen konsumiert wird, wollte uns keiner sagen, aber wir möchten nicht glauben, dass es weniger geworden ist. Das Salastrains und die zum Suvretta House gehörenden, eher gediegenen Bergrestaurants Chasellas und Trutz sind weitere Hotspots.

Das vom Künstler Luke Edward Hall gestaltete Restaurant Amaru im Kulm Hotel (Bild: Kulm Hotel)

Gastronomischer „Talk of the Town“

Gastronomischer „Talk of the Town“ ist das Kulm Hotel, das schon seit der letzten Saison kräftig aufgerüstet hat: In der Sunny-Bar ist nun der britische Starkoch Tom Booton, den wir bereits aus dem Dorchester kennen, verantwortlich und verschafft den herzhaften Klassikern neuen Twist. Für Briten mit Heimweh gibt es auch jeden Sonntag Sunday Roast mit Yorkshire Pudding. Im Amaru, das im letzten Jahr vom ebenfalls britischen Künstler Luke Edward Hall neu gestaltet wurde, kocht Starköchin Claudia Canessa innovative peruanische Küche. Der argentinische Drei-Sterne-Koch betreibt im Kulm Country Club das Pop-up The K by Mauro Colagreco.

Ach ja: Shopping!

Wir sagten es schon: St. Moritz macht es in Sachen Luxus kaum einer nach, und das gilt auch für das Shopping-Angebot. Da man sich hier auf wenige Glückliche mit tiefen Taschen spezialisiert hat, geht es zudem sehr intim zu. Nahezu alle luxuriösen Modehäuser von Welt haben hier Dependancen und bieten in schicken Boutiquen sehr persönlichen Service. Das perfekte Souvenir kauft man bei Confiserie Hanselmann direkt an der Hauptstraße. Im Ambiente von 1894 findet man die nostalgisch verpackte Engadiner Nusstorte und feine Pralinen.

Weihnachts-Shopping in St. Moritz (Bild: Engadin Tourismus, Davide de Martis)

Für größere Investitionen empfiehlt sich die renommierte Galerie Hauser & Wirth an der Via Serlas, die neben Hong Kong, New York, Los Angeles und London seit 2018 auch in St. Moritz ausstellt. Künstler wie Laurie Anderson, Jean-Michel Basquiat, Ron Gorchov, Imi Knoebel, Harmony Korine, Rene Ricard, Walter Robinson, Sterling Ruby und Andy Warhol findet man beim Galeristen Vito Schnabel, Sohn des Malers und Filmregisseurs Julian Schnabel, in der Via Maistra.

Immobilienschnäppchen? Nur noch 26.600 Euro der Quadratmeter

Gute Nachrichten gibt es für alle, die den Kauf eines Chalets in Betracht ziehen: Laut Savills Ski Prime Price League ist St. Moritz abgerutscht und liegt seit diesem Jahr nurmehr auf Platz 5 der teuersten Orte – nach Aspen, Courchevel, Val d’Isère und Verbier. Die Preisvorstellung für erstklassige Wohnimmobilien in St. Moritz liegt im Durchschnitt bei 26.600 € pro Quadratmeter.

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