Best Case Szenario: Was muss geschehen, damit das Unheil nicht geschieht?

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Der US-Notenbankchef tut es. Der Rat der Weisen in Deutschland tut es. Und der ehemalige Goldman Sachs Chef Lloyd Blankfein hat es am Wochenende auch getan. Alle warnen vor der kommenden Rezession, die, so Blankfein „sehr sehr wahrscheinlich“ sei.

Von Gabor Steingart

Die Gründe für die kollektiv verbreitete Düsternis liegen auf der Hand: der europäische Krieg, die globale Inflation und die zum Teil noch immer gestörten Lieferketten im Zuge der Coronapandemie.

Es ließen sich mühelos weitere Apokalypsen hinzufügen, von den spürbaren Auswirkungen der Klimakatastrophe bis zum drohenden Hungeraufstand in Afrika. Aber die spannende und damit intellektuell fordernde Frage ist doch die, wie sich dieser perfekte Sturm verhindern lässt?

Was muss geschehen, damit das Unheil nicht geschieht?

Die Menschheit rast ja nicht wie in Friedrich Dürrenmatts dystopischer Erzählung „Der Tunnel“ auf dem ins Erdinnere abgeknickten Gleisbett der Selbstzerstörung entgegen. Dort in der Tat gab es kein Entrinnen:

„Sie wird immer weiterrasen”, sagte der Vierundzwanzigjährige und wies auf den Geschwindigkeitsmesser. „Hundertfünfzig. Ist die Maschine je Hundertfünfzig gefahren?” „Höchstens Hundertfünf”, entgegnete der Zugführer. „Eben”, stellte der junge Mann fest. „Eben. Die Schnelligkeit nimmt zu. Jetzt zeigt das Messer Hundertachtundfünfzig. Wir fallen.”

Hier also sechs Denkanstöße, um den freien Fall zu verhindern und das zu tun, was in der Gegenwartspolitik nur selten getan wird, nämlich im Best-Case-Szenario zu denken:

1. Die Inflation hat ihre Wurzeln in einer zu groß geschnittenen Geldmenge. Die Verteuerung des Geldes – also die dosierte Heraufsetzung des Zinses – müsste daher auch in Europa unverzüglich beginnen. Die Rückkehr zu einer restriktiven Geldpolitik kann jetzt, wo die Auswirkungen der wundersamen Geldvermehrung für jedermann spürbar sind, die Inflation zwar nicht über Nacht besiegen, aber dämpfend wirken, das kann sie schon.

2. Die Tarifparteien, also Arbeitgeber und Gewerkschaften, können in den kommenden Monaten einen spürbaren Beitrag zur Beruhigung an der Preisfront leisten. Mit langfristigen Tarifverträgen und Einmal-Zahlungen für die unteren Tarifgruppen lässt sich verhindern, dass die Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt.

3. Das Sanktionsregime der Nato-Staaten gegenüber Moskau gefährdet die globale Nahrungsmittelsicherheit. Durch den Krieg zwischen Russland und der Ukraine werden die bereits gestörten Nahrungsmittelströme weiter disruptiert. Russland war 2021 der weltweit größte Exporteur von Weizen mit einer Gesamtmenge von rund 33 Millionen Tonnen. Hier müsste seitens des Westens im Kopf umgeparkt werden – von der unerbittlichen Putin-Bekämpfung auf Hunger-Bekämpfung. Die Menschen in Afrika und die Globalwirtschaft würden es den Beteiligten danken.

4. Der Weltwirtschaft und auch dem Weltfrieden wäre es ebenfalls zuträglicher, die Nato würde jetzt nicht nach Schweden, Finnland und die Ukraine und damit in ihre europäische Ost- und Nordflanke hinein expandieren, sondern unter türkischer Moderation das Gespräch über eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa suchen. Erdoğan – der sich ohnehin dem westlichen Sanktionsregime verweigert – hat seine Vermittlerdienste angeboten. Auch Olaf Scholz hält den Gesprächsfaden zu Putin aufrecht, was ihm im Inland harte Kritik einbringt und genau in dieser Situation von Nutzen sein könnte.

5. Statt beim Emir von Katar den Bückling zu machen, um fossile Brennstoffe aus Russland durch fossile Brennstoffe aus Nahost zu ersetzen, müsste der Staat jetzt die Dekarbonisierung der Volkswirtschaft mit doppelter Kraft vorantreiben. Neue Förderprogramme und ein Marshallplan zur Entbürokratisierung in Deutschland und Europa würde den rezessiven Tendenzen entgegenwirken.

6. Das Wettdrohen zwischen den USA und China, das zur Politisierung der Handelsbeziehungen führt und eine Exportnation wie Deutschland stark verunsichern muss, könnte durch ein neues Freihandelsabkommen ersetzt werden. Die Gleichzeitigkeit von Ukraine-Krieg, Nato-Erweiterung und der bewussten Konfliktanbahnung mit China birgt eine Explosionsgefahr, die sich an der westlich-chinesischen Front zum gegenseitigen Vorteil entschärfen ließe.

Fazit: Für die momentane Verzagtheit der Notenbankgouverneure und Regierungschefs gibt es Gründe, aber keine guten. Mit den Spontis der Siebziger Jahre möchte man den Verängstigten aller Länder zurufen: Prosperität ist machbar, Herr Nachbar. Selbst die Bremer Stadtmusikanten waren lebensklüger als die jetzige Politikergeneration. Ihr Motto: Etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden.

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Gabor Steingart ist Journalist & Buchautor mit unternehmerischem Ehrgeiz. Sein täglicher Newsletter „Steingarts Morning Briefing“, in dem er jeden Morgen pointiert das aktuelle Welt- und Wirtschaftsgeschehen kommentiert, ist die Nummer Eins in Deutschland.
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Eine Antwort zu “Best Case Szenario: Was muss geschehen, damit das Unheil nicht geschieht?”

  1. Ich bin sehr froh, dass es in der Wirtschaft noch Klardenker gibt, die nicht in diesen Kriegswahn einstimmen. Verschaffen Sie sich bitte mehr Gehör in der Politik! Wir, Deutschland und der Rest von Europa, müssen endlich unabhängig und selbstbestimmt agieren, nach dem Motto: „Deutschland first“ und uns aus dem Einflussbereich der USA und der Nato befreien. Wir stellen mit dieser wahnwitzigen Strategie unser aller Wohlstand, unsere Volkswirtschaften und unsere Freiheit aufs Spiel.

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