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Wahlkampf 2021: Marktwirtschaft a. D.
In diesem Wahlkampf hat man das Gefühl, Deutschland möchte nicht nur aus der Kohle, sondern auch aus der Marktwirtschaft aussteigen.
Von Gabor Steingart
Vater Staat dringt mit forschem Schritt in immer neue Lebensbereiche vor. Der freie Markt, jener magische Ort, an dem Angebot und Nachfrage zum beiderseitigen Nutzen zueinander finden sollen, wird nicht länger als magisch empfunden, sondern als teuflisch.
Die Freunde der Marktwirtschaft sind nicht nur in die Defensive, sie sind in einen moralischen Hinterhalt geraten. Selbst in den feinen Salons des städtischen Bürgertums fällt es vielen leichter, Che Guevara oder Karl Marx zu zitieren als Ludwig Erhard.
1.
Die hohen Mieten in den Innenstädten werden von vielen nicht länger als Preissignal akzeptiert, das aus der Knappheit von Neubauprojekten resultiert, sondern werden als Gier der Vermieter interpretiert. Abhilfe wäre durch neue Erschließungsflächen, Eigenheimförderung und eine bauliche Verdichtung in den Innenstädten marktwirtschaftlich leicht zu organisieren. Aber noch leichter scheint es, die Besitzer von Immobilien als neue Volksfeinde zu diffamieren.
Kevin Kühnert, mittlerweile SPD-Vize:
„Ich finde nicht, dass es ein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Konsequent zu Ende gedacht sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt.“
2.
In der Energiepolitik hat parteiübergreifend der Plankommissar das Regiment übernommen. Er selbst sieht sich als Weltenretter. Durch gesetzliche Vorgaben will er die energetische Grundlage von Europas größter Volkswirtschaft umbauen. Privathäuser und Industrie betrachtet er als eine Art ökologische Musterhaussiedlung.
Eine Abschätzung der sozialen Folgen fehlt bis heute, die Gefahren einer beschleunigten Deindustrialisierung werden mutwillig in Kauf genommen. Das neue Gravitationszentrum entsteht derzeit in Asien.
3.
Die brutale Gehaltsspreizung auf dem Arbeitsmarkt wird mittlerweile nicht mehr als Alarmsignal einer fehlgeschlagenen Bildungspolitik interpretiert, sondern als Aufforderung an den Sozialstaat zur Ausgleichszahlung. Der prekär Beschäftigte soll nicht durch Qualifikation, Bildung und eigene Anstrengung aus der Lohnfalle befreit werden. Er soll abgefunden werden. Man will ihn nicht mehr fordern und fördern, wie einst unter Agenda-Kanzler Schröder, man will ihn mit einer Extradosis Steuerzahlergeld narkotisieren.
4.
Der Konsument wird durch ein dicht gewebtes Netz aus Ge- und Verboten, aus Preisaufschlägen und Preissubventionen in die gewünschte Richtung gestupst. Die Preissignale, die einst als wichtigstes Steuerungsinstrument der Marktwirtschaft galten, werden auf breiter Front politisiert. Der Lehrsatz des Adam Smith – „Es ist nicht die Mildtätigkeit des Metzgers, des Brauers oder des Bäckers, die uns das Abendessen erwarten lässt, sondern es ist die Tatsache, dass die drei nach ihrem eigenen Vorteil trachten.“ – gilt nicht mehr als wahr, sondern als obszön.
Fazit: Das Vertrauen in jenen Mechanismus, der den Eigennutz der Bürger auf freien Märkten in das Gemeinwohl der Gesellschaft verwandelt, ist verloren gegangen. Und die Parteien bekämpfen das Misstrauen nicht, sondern befeuern es. Sie dienen sich dem Bürger als Beschützer vor Armut, Anstrengung und Extremwetter an.
Diese Staatsgläubigkeit geht gut, bis sie schiefgeht. Oder um es mit dem kolumbianischen Essayisten Nicolás Gómez Dávila zu sagen:
„Der Mensch reift, wenn er aufhört zu glauben, dass die Politik seine Probleme löst. “
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Gabor Steingart ist Journalist & Buchautor mit unternehmerischem Ehrgeiz. Sein täglicher Newsletter „Steingarts Morning Briefing“, in dem er jeden Morgen pointiert das aktuelle Welt- und Wirtschaftsgeschehen kommentiert, ist die Nummer Eins in Deutschland.
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Klar würde ein Überangebot an Wohnraum die Mietsteigerung bremsen. Aber die Mietsteigerung durch mangelnde Angebote ist trotzdem kein Naturgesetz. Dahinter stehen Menschen, die diese Verknappung für sich ausnutzen, um daraus noch mehr Profit zu schlagen. Es müsste nicht zwangsläufig teuer werden, was knapp ist. Mir fehlt bei dem Thema Angebot und Nachfrage der Aspekt der Moral, aber das ist nun mal Kapitalismus.
Wenn die Zinsen gegen Null gehen oder sogar negativ werden, wie das seit ca. 2015 der Fall ist, stürzt sich das Kapital auf Anlagemöglichkeiten, die noch eine Rendite versprechen. Z.B. Immobilien. Seit 2015 haben sich in Berlin die Bodenpreise ca. verfünffacht. Die steigenden Mieten haben damit zu tun. Kein Vermieter kann preiswert bauen, wenn er Irrsinnssummen für den Boden bezahlen muss. Es geht nicht nur um Knappheit auf dem Markt. Es geht auch um den fundamentalen Unterschied zwischen Verzinsung bei der Bank und Verzinsung bei Immobilien. Früher hieß es mal Mietzins. Heute müsste die Miete Tilgung sein, und die Wohnung einem Mieter nach 30 Jahren gehören. Schließlich hat er sie abbezahlt.