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Trump als Katalysator für die überfällige Erneuerung der EU
Die Vereinigten Staaten sind ein natürlicher Partner der EU in globalen außen- und sicherheitspolitischen Fragen – dies wird auch weiterhin so sein. Mit einer mehr transaktionalen Administration wird die EU aber gefordert sein, noch stärker ihre eigenen Interessen zu definieren. Von Sebastian Kurz, Außenminister der Republik Österreich.
Auch nach den ersten 100 Tagen seit Amtsantritt der neuen US-Administration – der traditionell ersten Schwelle zur Bilanzierung – hat sich die Aufgeregtheit über Präsident Donald Trump noch nicht gelegt. Eher im Gegenteil: Wie schon im Wahlkampf werden die Aussagen und Entscheidungen des neuen US-Präsidenten von europäischen Politikern mit oft nur beschränkter politisch-diplomatischer Zurückhaltung kommentiert, interpretiert und weitergegeben. Die Schwierigkeit – bedingt durch ausstehende Ernennungen und unterschiedliche Sichtweisen handelnder Personen – in manchen Fragen bisher eine deutliche Linie zu erkennen, fördert dies noch mehr.
Alarmiert durch die bei seiner Rede anlässlich der Leistung des Amtseides proklamierte „America First“- Agenda wähnten sich manche seiner europäischen Kritiker an die isolationistischen Tendenzen der USA in den 20er und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts erinnert. Schon während des Wahlkampfs hatte Trump erkennen lassen, dass die Aufrechterhaltung und Förderung einer liberalen „Wilson’schen“ Weltordnung keine Priorität genießt, sondern die Außenpolitik der USA unter seiner Führung dem ökonomischen Vorteil der USA dienen soll. Wie Trump überhaupt immer wieder zu verstehen gab, dass er als erfahrener Geschäftsmann internationale Politik überwiegend als „transaktionalen“ Prozess sieht, in dem es gilt, den möglichst besten „Deal“ für die USA herauszuholen.
„Es scheint Taktik des neuen US Präsidenten zu sein, mit kontroversiellen Äußerungen Aufmerksamkeit zu erreichen und bestehende Erwartungen zu erschüttern, um damit bei der anschließenden weiteren Behandlung des Themas mehr Handlungsfreiheit zu genießen“
Viele der Befürchtungen, die nach Trumps überraschendem Wahlsieg am 8. November 2016 und nach seinem Amtsantritt am 20. Januar 2017 von zahlreichen Politikern und Analytikern geäußert worden sind, haben sich allerdings bisher nicht bewahrheitet. Zwar hat Präsident Trump gleich zu Beginn versucht, einige seiner Kern-Wahlkampfversprechen umzusetzen, war aber dabei bislang nicht immer erfolgreich.
In seiner Außenpolitik verfolgt Präsident Trump nun einen pragmatischen Kurs: Trotz des geäußerten Wunsches, das amerikanisch-russische Verhältnis auf eine neue Grundlage zu stellen hat auch die neue US-Administration die bisherige Politik betreffend der Annexion der Krim, des Konflikts in und um die Ukraine sowie des Syrien-Konflikts bislang fortgesetzt. Gegenüber China und Mexiko wiederum folgten Trumps harschen Aussagen im Wahlkampf zuletzt verbindlichere Töne, die erwarten lassen, dass er in den umstrittenen Fragen einvernehmliche Verhandlungslösungen anstrebt. Es scheint Taktik des neuen US Präsidenten zu sein, mit kontroversiellen Äußerungen Aufmerksamkeit zu erreichen und bestehende Erwartungen zu erschüttern, um damit bei der anschließenden weiteren Behandlung des Themas mehr Handlungsfreiheit zu genießen.
Was bedeutet all das für Europa und die EU? Auch vorangegangene US-Administrationen haben der EU und dem transatlantischen Verhältnis nicht immer prioritäre politische Bedeutung beigemessen. Insofern vermag der Mangel an konkreten Aussagen Trumps zur EU und zur künftigen transatlantischen Partnerschaft während des Wahlkampfs und seit seinem Amtsantritt nicht weiter zu beunruhigen, entspricht er doch dem allgemeinen Bild, das die meisten US-Administrationen nach dem Zweiten Weltkrieg von Europa hatten.
„Insbesondere im wirtschaftlichen Bereich ist die Verflechtung zwischen Europa und den USA äußerst stark: Gemeinsam wird die Hälfte des globalen BIP erwirtschaftet und ein Drittel des Welthandels abgewickelt“
Die ersten Gespräche maßgeblicher europäischer Politiker mit Präsident Trump sowie mit Vizepräsident Pence und Außenminister Tillerson dienten deshalb vornehmlich dazu, der neuen US-Administration die Relevanz der EU und der Fortsetzung der transatlantischen Partnerschaft anhand konkreter Beispiele darzulegen. Insbesondere gilt es der neuen US-Administration vor Augen zu führen, dass es sowohl im Interesse der EU als auch der USA liegt, die äußerst enge Zusammenarbeit im politischen wie auch im wirtschaftlichen Bereich fortzusetzen, ja weiter zu intensivieren.
Insbesondere im wirtschaftlichen Bereich ist die Verflechtung zwischen Europa und den USA äußerst stark: Gemeinsam wird die Hälfte des globalen BIP erwirtschaftet und ein Drittel des Welthandels abgewickelt. Die Warenexporte aus den USA in die EU beliefen sich 2016 auf rund 247 Mrd. €. Aus der EU kommen 80 % der gesamten Auslandsinvestitionen in den USA, ebenso sind die USA der führende Auslandsinvestor in der EU. Rund 15 Mio. Arbeitsplätze hängen am transatlantischen Handel.
„Um die Handlungsfähigkeit der EU zu sichern, muss sie sich angesichts der transatlantischen Herausforderung umso mehr auf jene Bereiche konzentrieren, in denen die Zusammenarbeit einen echten Mehrwert erzielen kann“
Zu oft und zu selbstverständlich hat sich Europa in der Vergangenheit bei schwierigen Themen und Konflikten zu sehr auf die USA verlassen. Die massive Migrationswelle, die im Herbst 2015 über Europa hereingebrochen ist und auch Österreich vor enorme Herausforderungen gestellt hat und weiterhin stellt, hat uns vor Augen geführt, dass Europa insbesondere bei Konflikten in der unmittelbaren und weiteren Nachbarschaft mehr Eigenverantwortung zeigen und Lösungen im europäischen Rahmen erarbeiten muss. Dies wird aber nur funktionieren, wenn die EU imstande ist, sich angesichts der derzeit zahlreichen Bruchlinien innerhalb der EU zu reformieren und voll handlungsfähig zu werden. Dies ist im Verhältnis zu Amerika unabdingbar: So sehr man die Meinung vertreten kann, dass die Positionen der EU und der USA auch unter der Trump-Administration in vielen Bereichen weiter ähnlich sein werden, so sehr legt deren ideologische Grundierung und ihr pragmatisch-transaktionaler Charakter nahe, dass es in einer Reihe von Sachfragen durchaus Divergenzen geben kann. Um die Handlungsfähigkeit der EU zu sichern, muss sie sich angesichts der transatlantischen Herausforderung umso mehr auf jene Bereiche konzentrieren, in denen die Zusammenarbeit einen echten Mehrwert erzielen kann. Dazu zählen etwa die Gemeinsame Außen-, Sicherheitsund Verteidigungspolitik, Migration, Grenzmanagement, Wettbewerbsfähigkeit und internationaler Handel sowie strategische Energiesicherheit und Klimaschutz.
Ungeachtet so mancher Herausforderungen besteht aber keinerlei Grund, an den Grundfesten der transatlantischen Zusammenarbeit zu zweifeln. Die Vereinigten Staaten sind ein natürlicher Partner der EU in globalen außen- und sicherheitspolitischen Fragen – dies wird auch weiterhin so sein. Mit einer mehr transaktionalen Administration wird die EU aber gefordert sein, noch stärker ihre eigenen Interessen zu definieren – und Präsident Trump wird der erste sein, der dies verstehen würde. Vielleicht ist seine Wahl sogar der Katalysator für die überfällige Erneuerung der EU und ihrer Institutionen.
Sebastian Kurz, 30, ist Außenminister der Republik Österreich.
Magazin „Erhards Erben“: „Die Entdeckung Amerikas geht weiter“
Dieser Beitrag erschien zuerst im Magazin „Erhards Erben“, dass vom Deutscher Arbeitgeber Verband e.V. herausgegeben wird. In dem aktuellen Themenheft über die transatlantischen Beziehungen, das unseren Lesern hier zum Blättern anempfohlen wird, finden sich viele weitere lesenswerte Beiträge.
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