![](https://ddwcdn.b-cdn.net/wp-content/uploads/2024/11/world-economy-1200-pixabay-807x538.jpg)
Trügerisch gute Wirtschaftskennzahlen
Unternehmen bauen Eigenkapital auf, die Zahlungsmoral steigt – und die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal entgegen allen Erwartungen sogar gewachsen. Das klingt nach guten Nachrichten. Allerdings nur auf den ersten Blick. Warum vermeintlich positive Wirtschaftskennzahlen aktuell mit Vorsicht zu genießen sind.
Von Patrik Hantzsch
Die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal leicht gewachsen – minimal zwar, aber anders als von allen erwartet. Wie das Statistische Bundesamt berechnet hat, konnte das Bruttoinlandsprodukt von Juli bis September 2024 im Vergleich zum Vorquartal um 0,2 Prozent zulegen. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute hatten zuvor prognostiziert, dass die Wirtschaftsleistung im dritten Quartal um 0,1 Prozent schrumpft.
Nun ist es anders gekommen und die Zahlen wurden in den Medien und der Öffentlichkeit bejubelt. „Ein Lichtblick“ kommentierte Noch-Wirtschaftsminister Robert Habeck. Treiber des Mini-Aufschwungs waren laut den Statistikern vor allem höhere private und öffentliche Konsumausgaben. Das könnte tatsächlich ein Fingerzeig darauf sein, dass die Unsicherheit der privaten Haushalte etwas abgenommen hat, etwa weil die verfügbaren Einkommen seit einigen Monaten wieder schneller wachsen als die inzwischen gebremste Inflation.
Und doch ist die Euphorie trügerisch. Denn das Wachstum im Spätsommer im Vergleich zum zweiten Quartal resultiert auch aus der schlechten Performance von April bis Juni. In diesem Zeitraum ist die Wirtschaft um 0,3 Prozent geschrumpft. Tatsächlich läuft das BIP also immer noch dem Minus aus den Vormonaten hinterher.
![](https://ddwcdn.b-cdn.net/wp-content/uploads/2024/11/1732192959154.jpg)
Und so ist das BIP-Wachstum als wohl prominenteste Kennzahl zum Zustand einer Volkwirtschaft, ein gutes Beispiel dafür, dass derlei Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind und nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Zu leicht entsteht sonst der Eindruck einer positiven Entwicklung, wo auf den zweiten Blick Ernüchterung angebracht wäre.
Was die Eigenkapitalquote verrät – und was nicht
![](https://ddwcdn.b-cdn.net/wp-content/uploads/2024/02/2023-10-29_PLH-neu-e1709153909423.jpg)
Ganz ähnlich ist es bei der Eigenkapitalsituation von Unternehmen, die die Creditreform Wirtschaftsforschung regelmäßig erhebt. Sie ist ein wichtiger Indikator für die Stabilität von Unternehmen. Grundsätzlich gilt: Je höher die Eigenkapitalquote, desto resilienter sind sie aufgestellt, bildet doch Eigenkapital einen wichtigen Krisenpuffer, über den steigende finanzielle Anforderungen abgefangen werden können. Als gut wird eine Eigenkapitaldeckung von mehr als 30 Prozent im Verhältnis zur Bilanzsumme bewertet. Als bedrohlich gilt eine Quote von weniger als 10 Prozent.
Insofern ist es zunächst ein positiver Befund, wenn Creditreform beobachtet, dass die Zahl der Unternehmen mit einer sehr geringen Eigenkapitalquote abnimmt. 2023 gehörten 28,3 Prozent der Betriebe in diese Kategorie, 2024 sind es nur noch 26,7 Prozent. Offenbar konsolidieren sich diese Unternehmen, um Auswirkungen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abfedern zu können. Dazu gehören etwa gestiegene Preise beim Einkauf von Rohstoffen und Vorprodukten, hohe Energiepreise und steigende Personalkosten, die auf eine geringere Nachfrage treffen.
Genau diese Auswirkungen werden nun aber auch an anderer Stelle sichtbar. Parallel zum Rückgang der eigenkapitalschwachen Unternehmen ist auch die Zahl derer gesunken, die einen sehr gesunde Eigenkapitalausstattung besitzen. Im Herbst 2024 haben 35,4 Prozent der Unternehmen mehr als 30 Prozent Eigenkapital. 2023 waren es noch 36,7 Prozent. Diese Unternehmen müssen also ihr Finanzpolster dafür einsetzen, um die Widrigkeiten des wirtschaftlichen Umfelds abzufedern – eine Sache, die sie nicht ewig durchhalten können.
Differenzierter Blick auf die Zahlungsmoral
Umso wichtiger sind jetzt eine gute Liquiditätsplanung und ein konsequentes Forderungsmanagement. Denn auch beim Zahlungsverhalten zwischen Geschäftspartnern trügt der schöne Schein. Laut Creditreform Wirtschaftsforschung sank der Zahlungsverzug zuletzt auf 8,80 Tage – gegenüber 10,77 Tagen im Jahr 2023. Aus der geringeren Verzugsdauer lässt sich jedoch nicht automatisch schließen, dass Forderungen zügiger beglichen werden. Weil Kreditgeber und Lieferanten ihren Kunden im Jahr 2024 deutlich längere Zahlungsziele gewähren, bleibt die Außenstandsdauer insgesamt nahezu unverändert.
![](https://ddwcdn.b-cdn.net/wp-content/uploads/2024/11/1732193028679.jpg)
Im Schnitt über alle Branchen dauert es 31,37 Tage, bis eine Rechnung beglichen ist. Wobei das ausstehende Forderungsvolumen sehr deutlich um gut 7,8 Prozent auf 23.600 Euro pro Schuldner gestiegen ist. Nimmt man diese beiden Werte ernst – eine unverändert lange Forderungslaufzeit und ein gestiegenes Forderungsvolumen – erscheint der gesunkene Zahlungsverzug wie eine Randnotiz. Denn dies ändert nichts daran, dass die Summe der Außenstände ebenso wächst, wie die Unsicherheit, ob diese noch beglichen werden können – und dass jede Wirtschaftliche Kennzahl immer nur so aussagekräftig ist, wie der Kontext, in dem sie interpretiert wird.
Die Zahlen reflektieren nur eines: Erstaunlich Stabil
Aber stabil ist langweilig zu kommentieren