
Trumps primitiver Nullsummenglauben
US-Präsident Trump hat mit seiner Zollpolitik die Weltwirtschaft in Aufruhr gebracht. Welches Denken dahintersteckt und wie Europa reagieren sollte, dazu äußert sich der Historiker, Soziologe und DDW-Autor Dr. Dr. Rainer Zitelmann im Interview.
Sie haben zu Beginn des Jahres dafür plädiert, dass wir versuchen sollten, Donald Trump fair und differenziert zu betrachten, und erklärt, dass Sie selbst eine gemischte Meinung von ihm haben. Aber wie katastrophal ist seine historische Entscheidung über Zölle?
Rainer Zitelmann: Ich habe immer zu denen gehört, die zwar Trump kritisch sehen, aber auch anerkennen, dass er einige gute Dinge gemacht hat. Was er mit Elon Musk gemacht hat, also zum Beispiel die unsinnige USAID abzuschaffen und den zu großen Staatsapparat etwas zurechtzustutzen, finde ich gut. Seine Ukrainepolitik und die protektionistischen Zoll-Politik dagegen sind eine Katastrophe. Im Moment überwiegen eindeutig die negativen Aspekte bei Trump.
Welche wirtschaftlichen Folgen wird das für die USA haben? Wird das Land dadurch nicht in die Lage versetzt, sich wieder zu industrialisieren, wie Trump behauptet?
Nein, es gibt kein Beispiel in der Geschichte, wo ein Land durch Protektionismus zu Wohlstand gekommen ist, aber viele Beispiele, wo Protektionismus ein Land ruiniert hat. Wenn Trump sagt, das Wort Zölle sei das schönste Wort im Wörterbuch, dann ist das ebenso lächerlich wie wenn jemand sagen würde, „Steuern“ seien das schönste Wort. Trump argumentiert mit ungleichen Handelsbilanzen, wogegen sich schon Adam Smith wandte. Und Milton Friedman, der große Ökonom, sagte einmal: „Wir bezeichnen einen Zoll als Schutzmaßnahme. Er schützt: Er schützt den Verbraucher sehr gut vor einer Sache. Er schützt den Verbraucher vor niedrigen Preisen.“
Wie erklären Sie sich, dass die Republikanische Partei, die unter Ronald Reagan für die freie Marktwirtschaft eintrat und gegen Zölle war, zu dieser protektionistischen Partei wurde?
Der Protektionismus ist Ausfluss eines falsch verstandenen Patriotismus. Reagan war der wahre Patriot. Er war für mich der beste Präsident in den vergangenen 100 Jahren, nicht zu vergleichen mit Trump. Er hatte ein klares marktwirtschaftliches Koordinatensystem, was Trump fehlt. Seit 20 Jahren sind weltweit die Anhänger des Kapitalismus leider in der Defensive – und den Antikapitalismus gibt es nicht nur in der politischen Linken, sondern auch in der Rechten.
Trump sieht die Welt offensichtlich als Nullsummenspiel. Wie sehr liegt er damit falsch?
Exakt das ist es: Trump hängt dem primitiven Nullsummenglauben an, der an sich eine Kernüberzeugung von Antikapitalisten ist: Der Vorteil des einen sei angeblich der Nachteil des anderen. Sein Leben lang glaubte er, wenn es den USA schlecht gehe, sei das die Schuld anderer Länder, früher mal war das aus seiner Sicht Japan und heute China oder Deutschland. Interessanterweise ist das auch eine Art Opfer-Mentalität und Sündenbock-Denken, das sonst für die politische Linke so typisch ist.
“Musk ist 100 mal intelligenter und als Unternehmer 1000 mal erfolgreicher als Trump. Jemand wie Musk wird sich niemals jemandem wie Trump unterordnen”
Trump wurde in den ersten Wochen seiner zweiten Amtszeit als „wirtschaftsfreundlich“ angesehen. Aber die Wall Street erlebte den schlimmsten Tag seit der Covid-19-Pandemie. Es gibt auch Gerüchte, dass Elon Musk Doge bald verlassen wird, nachdem er in drei Monaten 100 Milliarden Dollar verloren hat. Ist das schon das Ende der Liebesbeziehung zwischen Trump und den Unternehmen oder Wirtschaftskreisen?
Ich habe nie geglaubt, dass die Allianz zwischen Musk und Trump lange hält. Musk ist 100 mal intelligenter und als Unternehmer 1000 mal erfolgreicher als Trump. Jemand wie Musk wird sich niemals jemandem wie Trump unterordnen. Was Trump anlangt: In seiner ersten Amtszeit hat er ein paar wirklich sehr gute Dinge getan, zum Beispiel Steuern gesenkt und dereguliert. Auch jetzt ist es so, dass er neben den unsinnigen Dingen manche guten Dinge macht. Aber mit einer differenzierten Position zu Trump haben sie es schwer, denn seine Verehrer sehen in ihm einen Gott und dulden keine Kritik und seine Gegner sehen in ihm den Teufel und dulden kein positives Wort. Ich setze mich also mit meiner Position zwischen alle Stühle.

Was sollten andere Länder und insbesondere Europa gegen Trumps Handelskrieg unternehmen?
Sie sollten nicht mit Gegenmaßnahmen drohen. Die EU erhebt selbst Zölle von ca. 23 Mrd. Euro pro Jahr. Wenn sie etwas für den Freihandel tun will, dann sollte sie darauf verzichten. Und sie sollte endlich aufhören mit all dem planwirtschaftlichen Unsinn wie zum Beispiel Verbrenner-Verbot, Lieferkettengesetz usw. Das schadet alles der europäischen Wirtschaft sogar noch mehr als Trumps verrückte Zollpolitik.
In Ihrem letzten Buch „Warum Entwicklungshilfe nichts bringt und wie Länder wirklich Armut besiegen“ haben Sie das Wirtschaftswunder in Vietnam analysiert. Wie wichtig war der Freihandel für das sensationelle Wachstum in Vietnam? Und wird das Land den Preis für Trumps Handelskrieg zahlen, da es mit einem Zollsatz von 46 % zu den am stärksten betroffenen Staaten gehört?
Vietnam hat so viele Freihandelsabkommen mit anderen Ländern wie kaum ein anderes Land. Vietnam ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sehr Freihandel einem Land hilft. In den 90er Jahren war Vietnam das ärmste Land der Welt mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner von 98 Dollar. Damals lebten 80 Prozent der Vietnamesen in Armut. Dann führte Vietnam das Privateigentum ein, führte marktwirtschaftliche Reformen durch und öffnete seine Wirtschaft für ausländische Investoren. Das Ergebnis: Die Zahl der Menschen, die in Armut leben, sank von 80 auf drei Prozent. Für ein Land wie Vietnam, das stark auf den freien Handel angewiesen ist, sind Trumps Maßnahmen sehr schädlich. Vietnam hat aber genau richtig reagiert und Trump angeboten, die eigenen Zölle auf null Prozent zu senken. Genau so sollten alle Länder reagieren; statt auf den Handelskrieg einzusteigen.
Sie waren in den letzten Jahren mehrmals in Argentinien. Ist Javier Milei mit seiner „Schocktherapie“ erfolgreich? Die Armutsquote ist in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 auf 38 % gesunken…
Milei ist derzeit der großartigste Politiker auf der Welt. Argentinien war vor 100 Jahren eines der reichsten Länder der Welt, aber Etatisten haben es ruiniert. Milei ist auf einem sehr guten Weg. Die Inflation ist dramatisch gesunken, die Armut sinkt auch. Aber ich warne davor zu glauben, dass es jetzt nur noch aufwärts geht. Die Argentinier müssen Geduld haben, denn es könnte noch mal eine schwere Phase bevorstehen. Milei kann nicht in zwei Jahren alles reparieren, was vorher in Jahrzehnten zerstört wurde. Ich hoffe, die Argentinier verstehen das und haben Geduld.
Die Menschen vergleichen oft Milei und Trump, wobei der erste der „Lieblingspräsident“ des zweiten ist. Aber sind ihre politischen Ansichten in wirtschaftlicher Hinsicht wirklich vergleichbar?
Das kommt daher, weil beide Genies der Selbstvermarktung sind, deren Reden für den oberflächlichen Betrachter ähnlich erscheinen. Aber Trump und Milei sind ganz verschieden. Milei ist sehr belesen, hat ein klares ökonomisches Koordinatensystem. Ein sehr kluger Ökonom. Trump liest keine Bücher, wahrscheinlich nicht mal seine eigenen, die seine Ghostwriter geschrieben haben. Ich denke, er schaut lieber im Fernsehen Wrestling-Shows. Er hat auch keine politischen oder wirtschaftlichen Grundüberzeugungen, außer der, dass er der Größte ist und so viel Macht haben will wie möglich. Trump ist ein Machiavellist ohne wirkliche innere Überzeugungen, Milei ist das Gegenteil.
Dieses Interview erschien zuerst in der französischen Tageszeitung L’Express.
- Rezession infolge von Trumps Protektionismus
- So werden Milliarden für Entwicklungshilfe verschwendet
- Wohlstand und Armut von Nationen
Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe – und war auch als Unternehmer und Investor erfolgreich. Er hat 30 Bücher geschrieben und herausgegeben, die in 35 Sprachen übersetzt wurden. Sein aktuelles Buch ist eine Dystopie gegen den Egalitarismus: “2075. Wenn Schönheit zum Verbrechen wird“. Er ist nominiert für einen der prestigeträchtigsten Buchpreise der USA, den Hayek Prize 2025 des Manhattan Instituts.
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