Umgang des Aufsichtsrates mit Unternehmenskrisen

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Ein Unternehmen kann aus vielfältigen Gründen in eine Krise geraten. Nicht nur für den Vorstand, sondern auch für den Aufsichtsrat sind das Sondersituationen. Sie erfordern erhöhte Aufmerksamkeit und mehr Zeitaufwand von den Aufsichtsratsmitgliedern.

Von Rudolf X. Ruter

Denn gerade jetzt kann ihre Expertise und ein über reine Kontrolle hinausgehendes Sparring mit ihnen für den Vorstand besonders wichtig sein. Zudem werden in einer Unternehmenskrise an die Mitglieder eines Aufsichtsrates erhöhte Anforderungen gestellt, deren Nichterfüllung zu einer Haftung gegenüber dem Unternehmen oder Dritten führen kann.

Die folgenden Empfehlungen sollen den Mitgliedern eines Kontrollorgans helfen, in Krisensituationen effektiv und verantwortungsvoll ihren Beitrag dazu zu leisten, das Unternehmen zu stabilisieren. Dieser Beitrag beschäftigt sich hingegen nicht mit der Vielfalt von Unternehmenskrisen oder den Mechanismen, die Unternehmen zur Krisenprävention entwickelt und eingesetzt haben sollten.

Dieser Beitrag basiert auf einem umfangreichen Erfahrungsaustausch anlässlich des fünften Visionary Lunch für Aufsichtsräte und Beiräte (VAL) am 25.März 2025 in Stuttgart. Er zielt darauf ab, Sie bei Ihrer Arbeit in einem Kontrollgremium zu unterstützen. Ihr VAL-Team: Dr. Sebastian Biedenkopf, Dagmar Eisenbach, Dr. Regine Hagen-Eck, Sabine Fischer, Isabel Hartung, Hans-Peter Hehn, Ralph Jacoby, Frank B. Jehle, Martina Koederitz, Oliver Seidl, Rudolf X. Ruter, Dr. Felix Zimmermann.

1. Krise identifizieren und definieren

  • Außerordentliche AR- Sitzung mit Raum für Diskussion einberufen („initiale Krisensitzung“) 
  • Einigkeit zwischen Vorstand und AR herstellen, dass und in welchem Ausmaß eine Krise besteht und dokumentieren
  • Klärung herbeiführen, welches die wesentlichen Auslöser der Krise sind

2. Krisenmodus festlegen und Informationsfluss sicherstellen

  • Periodische AR-Berichterstattung um kurzfristigere aktuelle (schriftliche) Informationen (Krisen-Reporting) ergänzen  
  • Ggfs. kurze digitale Sitzungen, ohne die damit für den Vorstand verbundene höhere zeitliche Belastung aus den Augen zu verlieren
  • Krisenausschuss aus dem AR-Kreis bilden mit Mitgliedern, die aktiv etwas beitragen können (je nach Art der Krise: Restrukturierungserfahrung, Recht, Finanzkennzahlen, HR, etc.)
  • Möglichkeit der direkten Kommunikation zwischen AR-Prüfungsausschuss und Leiter von Risikomanagementsystem/Interne Revision/Internes Kontrollsystem nutzen 
  • Möglichkeit der Ad-Hoc-Berichtseinforderung nutzen
  • Beachten: AR unterliegt in der Krise erhöhter Informationsbeschaffungspflicht (!), daher alle Informationsanforderungen dokumentieren

3. Analyse  der Situation und Maßnahmen

  • Aufarbeitung der Gründe, die zur Krise geführt haben, durch Vorstand und Aufsichtsrat 
  • Bericht des Vorstandes über ergriffene Maßnahmen der Krisenbewältigung einschließlich Zeit-, Kosten/Budget und Verantwortlichkeitsplan einfordern
  • Beschluss des AR, wonach Maßnahmen zur Krisenbewältigung der Zustimmung des AR bedürfen, soweit rechtlich möglich 
  • Beschlüsse und abweichende Voten im AR dokumentieren
  • Eigene Vorstellungen des AR erörtern und ggfs. auch Maßnahmen verlangen, (z.B. Restrukturierungsplan, Kommunikationskonzept, Personalmaßnahmen, Kreditaufnahme)
  • Laufend: Bewertung der ergriffenen Maßnahmen 
  • Plan-Erfüllung nachhalten (kontinuierliche Information und Kontrolle)

4. Sparring und Kontrolle

  • Art der Einbindung des Aufsichtsrats festlegen
  • Krisenausschuss des AR mit Krisenteam des Vorstandes vernetzen 
  • Ggfs. Sparringspartner aus dem AR für einzelne Vorstandsmitglieder benennen (z.B. Financial Expert für CFO)
  • Ggfs. externe Unterstützung des Vorstandes verlangen (Restrukturierungsexperte, Turn-Around-Manager, Kommunikationsexperte)
  • Kurzfristig Sondersitzungen des gesamten AR wenn Maßnahmen nicht umgesetzt werden oder nicht ausreichen
  • Ggfs. unabhängige Berater oder Sonderprüfer seitens des AR engagieren
  • Unterstützung des Vorstandes bei Verhandlungen mit Dritten (Banken, Kunden) durch den AR nur im Notfall, da es das Vertrauen Dritter in die Krisenkompetenz des Vorstandes schwächt

5. Abgestimmte Kommunikation

  • Einfordern eines Krisenkommunikationsplans vom Vorstand (gegenüber Mitarbeitern, Gewerkschaften, Investoren, Gesellschaftern, Banken, Kunden, Lieferanten, Medien)
  • Abgestimmtes Kommunikationskonzept für AR und Vorstand (offen, transparent, vertrauensaufbauend)
  • Keine Kommunikation des AR-Vorsitzenden ohne Abstimmung mit Vorstand (Ausnahme Dissenskrise, siehe unten 6)
  • Keine unabgestimmten öffentlichen Stellungnahmen der AR-Mitglieder 
  • Beachten: Kommunikation des Aufsichtsratsvorsitzenden nur im Kompetenzbereich des AR, sonst nicht abgedeckt von Business Jugdement Rule

6. Besonderheiten in einer Dissenskrise

Dissens-Krise ist gravierende fehlende Übereinstimmung von AR und Vorstand

  • Aktion des AR-Vorsitzenden zur Information des AR, Einberufung, gegebenenfalls Bildung Ad-hoc Ausschuss, Beiziehung externer Unterstützung (Rechtsanwalt, HR-Berater)
  • Personalkonsequenzen erörtern und umsetzen
  • Kommunikationsplan erstellen für Unternehmen/Mitarbeiter, Investoren/Gesellschafter, Geschäftspartnern (Kunden/Lieferanten/Banken), Medien 

7. Krisen-begleitende Maßnahmen im AR

  • Bilateraler Austausch des AR-Vorsitzenden mit möglichst allen AR-Mitgliedern (zumindest Kapitaleigner-Vertretern), um Ängste, Störgefühle, Bedenken, eigene Agenden etc. erkennen und abbauen zu können
  • Kurzschlussreaktionen, Schuldzuweisungen und Emotionen vermeiden 
  • Stattdessen Mut, Vertrauen und Zuversicht zeigen
  • verstärkte Dokumentationspflicht bezüglich Informationserhalt, Sitzungen, Inhalte, Beschlussergebnisse inklusive Erfassung von Ablehnung und Enthaltung, Protokollen beachten (!)
  • Überwachung der Einhaltung der ethischen und sozialen Unternehmenswerte auch während der Krise
  • Ggfs. eigene rechtliche Beratung für den Aufsichtsrat organisieren

Mehr zum Thema:

Rudolf X. Ruter ist Wirtschaftswissenschaftler, Autor, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater. Er ist ein Experte für Aufsichtsräte und Beiräte, mit einem besonderen Schwerpunkt auf Themen wie Nachhaltigkeit und Corporate Governance. Sein „Podcast für den Aufsichtsrat“ erzielt regelmäßig hohe Reichweiten. Nach seiner Tätigkeit als Gesellschafter und Geschäftsführer bei Arthur Andersen baute er als Partner bei Partner bei EY (vormals Ernst & Young) den Geschäftsbereich Nachhaltigkeit in Deutschland auf und leitete diesen bis 2010. Ruter war von 2008 bis 2013 Leiter des Arbeitskreises ‚Nachhaltige Unternehmensführung‘ in der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. und von 2020 bis 2024 Mitglied der Expertenkommission des Deutschen Public Corporate Governance – Musterkodex, von 2009 bis 2025 Beiratsmitglied der Financial Expert Association und Mitglied der Deutschen Digitalen Beiräte. Webpräsenz

2 Antworten zu “Umgang des Aufsichtsrates mit Unternehmenskrisen”

  1. Vielen herzlichen Dank, Herr Ruter, für diesen, wie ich meine, sehr praxisnahen und auch sehr umfassenden Beitrag. Man sollte frei nach dem Motto “nach der Krise ist vor der Krise” am “Ende” der Krise noch eine “Lessons Learned” Runde durchführen. Hier spricht AR und V darüber, was man bei der nächsten Krise anders/besser machen möchte. Viele Grüße Georg Gößwein

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