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Unternehmen müssen agiler werden

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Die wirtschaftliche Realität hat sich für die meisten Unternehmen grundlegend gewandelt und wird sich in Zukunft noch radikaler wandeln. Die klassischen Organisationsmodelle werden den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht. Neue Technologien ermöglichen gänzlich andere Organisationsformen.

Unternehmen sind dazu da, die menschliche Zusammenarbeit produktiv zu gestalten. Menschen kommen zusammen, um gemeinsam zu schaffen, was sie allein nicht vollbringen können. Während der industriellen Revolution herrschte ein klares Organisationsmuster: die Steuerung von oben. An der Unternehmensspitze trafen die fähigsten Personen auf Basis umfassender Informationen und des erforderlichen Weitblicks wegweisende Entscheidungen. Wissenschaftlich ausgebildete Berater und Stabsstellen unterstützten die Unternehmensleitung mit Analysen, Konzepten und der Verdichtung von Beobachtungen im Markt. Das mittlere Management übersetzte diese Entscheidungen für den eigenen Bereich, kontrollierte die Umsetzung und berichtete nach oben über die Ergebnisse.

Entscheidungen werden zu langsam getroffen und zu spät umgesetzt

Die wirtschaftliche Realität hat sich für die meisten Unternehmen grundlegend gewandelt und wird sich in Zukunft noch radikaler wandeln. Weltweiter Wettbewerb und technologischer Fortschritt krempeln ganze Branchen um. Innovationen erfolgen in atemberaubender Geschwindigkeit. Herausforderungen kommen nicht mehr nur von bekannten Wettbewerbern, sondern vermehrt und meist gefährlicher aus anderen Bereichen. Frisch gegründete Unternehmen ohne Altlasten, bestehende Produkte, eingespielte Kundenbeziehungen, langfristige Lieferantenverbindungen oder etablierte Partnerschaften experimentieren mit neuen Produkten und Geschäftsmodellen – häufig eindrucksvoll finanziert.

Die klassischen Organisationsmodelle werden den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht: Entscheidungen werden zu langsam getroffen und zu spät umgesetzt. Die Komplexität der Herausforderungen übersteigt die herkömmlichen Methoden der Unternehmensführung. Unternehmen müssen agiler werden. Dazu gehört die Veränderung von Unternehmen hin zu mehr Autonomie und Selbstorganisation in einzelnen Bereichen oder insgesamt. Mitarbeiter vor Ort im direkten Kontakt mit Kunden, dem Markt und den Wettbewerbern benötigen mehr Kompetenz – Kompetenz im Sinne von dürfen und wollen, können und sollen.

Werden große Organisationen weiterhin kleineren überlegen sein?

Eine gesteuerte Organisation ist auf klar definierte Aufgaben bei hohen Effizienzanforderungen und Skaleneffekten hin optimiert. Verantwortlichkeiten, Rollen, Regeln und Automatismen erhöhen die Effizienz und Qualität der Prozesse und Ergebnisse. Eine gesteuerte Organisation funktioniert am besten in einem überschaubaren Rahmen mit genügend Erfahrungswissen der Führungskräfte. Sie ist zudem im Arbeitsalltag erforderlich und sinnvoll, wenn Entscheidungen schnell und effizient getroffen werden können und sollen. Sie kann auch in einem innovativen Umfeld gute Ergebnisse erzielen, wenn die Unternehmensführung mutig bahnbrechende Neuerungen vorantreibt und ein hohes Vertrauen seitens der Mitarbeiter genießt. Eine selbstorganisierte Form der Zusammenarbeit ist notwendig in einem komplexen, sich schnell ändernden Umfeld. Sie bietet ein hohes Potenzial, die Fähigkeiten und Energie des Großteils der Mitarbeiter zu nutzen und damit langfristig und nachhaltig in einem volatilen Umfeld erfolgreich zu sein.

Generell stellt sich die Frage, ob große Organisationen weiterhin kleineren überlegen sein werden und ob erfolgreiche Unternehmen weiterhin zu Größe tendieren – oder ob ein Netzwerk überschaubarer Unternehmen mit den heutigen Mitteln und für die heutigen Anforderungen erfolgreicher sein wird. In jedem Fall wird es mehr Selbstorganisation geben müssen – ob in einem Netzwerk oder in einem großen Unternehmen oder in deren Kombination. Organisationsformen sind auch keine klar abgrenzbaren Modelle. Es gibt eine Vielfalt von Ausprägungen zwischen den beiden Polen gesteuert und selbstorganisiert. Geführte Organisationen gestatten Spielräume bei der Umsetzung und manchmal auch bei der Zielsetzung. Die Führung gibt diese Spielräume vor und kontrolliert deren Einhaltung. Ebenso gibt es Unternehmen mit Selbstorganisation in autonomen und teilautonomen Einheiten, die innerhalb eines fest definierten Rahmens agieren. Dies ist eine erste Form der Selbstorganisation, die meist nur einzelne Elemente oder Aufgabenstellungen betrifft.

Welches Organsiationsmodell passt?

Wann eignet sich eine strukturierte Steuerung und wann ist eine marktähnliche Selbstorganisation besser? Ein wichtiges Kriterium ist die Passung der inneren Komplexität der Organisation mit der äußeren Komplexität des Marktes und der Umwelt. Es geht auch darum, wie stark sich Organisationen wandeln und selbst erneuern müssen. Und wie divers das Geschäftsportfolio und damit die benötigte Managementlogik sind. Ein gutes Erklärungsmodell bietet die Transaktionskostentheorie, die auf den Überlegungen von Coase (1937) basiert. Zu den Transaktionskosten gehören

• die Aufwände für die Suche und Informationsbeschaffung für ein bestimmtes Geschäft,
• die Kosten der verbindlichen Vertragsaushandlung sowie
• die Aufwände für die Einforderung von Vereinbarungen.

Sind die Transaktionskosten hoch, insbesondere bei häufigen und ähnlichen Transaktionen, ist ein langfristig strukturiertes Unternehmen überlegen. Bei niedrigen Transaktionskosten
oder häufigen neuen Transaktionen ist ein agiler, selbstorganisierter Marktmechanismus besser geeignet, der flexibel auf neue Gegebenheiten reagieren kann und im Wettbewerb bessere Resultate erzielt.

Neue Technologien ermöglichen gänzlich andere Organisationsformen

Moderne Technologien reduzieren in vielen Bereichen die Transaktionskosten. Dies wirkt sich zunehmend auch auf die Arbeit in Unternehmen aus:

  • Mitarbeiter greifen auf relevante Informationen selbst zu und sind nicht auf Vorgesetzte als einzige Informationsbeschaffer und -distributoren angewiesen.
  • Geschäftsleitungen können ohne kostspielige Berater oder darauf spezialisierte Stabsstellen in Echtzeit auf Informationen innerhalb des Unternehmens zugreifen (z. B. Daten über Produkte, Absätze, Finanzen, Kunden, Mitarbeiter etc.).
  • Unternehmensleitungen können mit den Mitarbeitern direkt in Kontakt treten – und benötigen keine Vermittlung über die Hierarchiestufen und Regionen hinweg.
  • Stabstellen und mittleres Management blicken einem ähnlichen Schicksal entgegen wie Reisebüros – sie werden in ihrer aktuellen Form zunehmend überflüssig und müssen sich neu erfinden.

Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich bei diesen Entwicklungen nicht nur um die Auswirkungen moderner Technologien handelt. Die neuen Technologien ermöglichen jedoch gänzlich andere Organisationsformen, die vielfach erst noch erfunden werden müssen. Einige Beispiele zur Veranschaulichung: Die ersten Automobile ähnelten Kutschen. Erst die Erfindung des Lenkrades machte Automobile für Normalbürger überhaupt steuerbar. In den Anfangstagen des Internets stellte die Tourismusbranche ihre Prospekte zunächst zum elektronischen Herunterladen bereit. Erst nach und nach entwickelte sich das Internet zu einer Buchungsplattform, noch später zu einer Börse für freie Privatzimmer. Möglicherweise teilen wir künftig Kleinflugzeuge und benötigen keine organisierenden Fluggesellschaften mehr.

 

Hermann Arnold

Hermann Arnold versteht sich als Erforscher und Ermutiger neuer Formen der Zusammenarbeit und der Führung. Bekannt wurde er als Mitgründer und langjähriger Geschäftsführer von Haufe-umantis, einem der weltweit führenden Anbieter von Software und Expertise im Bereich Talentmanagement. Gemeinsam mit seinen Kollegen erprobt und entwickelt er dort revolutionäre Maßnahmen von Unternehmensdemokratie. In seiner Reihe beschreibt er jeden 2. und 4. Mittwoch im Monat seine Erfahrungen.

Mitwirkung und Erfahrungsaustauch zu dem Themenkreis ist erwünscht: Offenes Betriebssystem

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