Unternehmenskrisen verstehen – früh erkennen, wirksam gegensteuern

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Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Jahr 2025 fordern Unternehmen in einer selten dagewesenen Breite heraus. Doch Unternehmenskrisen verlaufen nicht plötzlich oder zufällig. Wie man sie erkennt.

Von Professor Dr. Werner Gleißner und Professor Dr. Arnold Weissman

Die Kombination aus anhaltender geopolitischer Unsicherheit, hohen Energie- und Finanzierungskosten, disruptivem Technologiewandel, branchenübergreifendem Margendruck und einem massiven Fachkräftemangel erhöht die Anfälligkeit für Unternehmenskrisen – insbesondere bei inhabergeführten Unternehmen, die langfristig denken, aber oft zögerlich auf Veränderungen reagieren.

Vor diesem Hintergrund gewinnt das Verständnis der typischen Phasen einer Unternehmenskrise stark an Bedeutung. Denn Krisen verlaufen nicht plötzlich oder zufällig – sie entwickeln sich in klar abgrenzbaren Eskalationsstufen, deren frühzeitiges Erkennen entscheidend für die Handlungsfähigkeit bleibt. Das nachfolgende Stufenmodell macht deutlich, wie sich zunächst unsichtbare Störungen systematisch zu existenzbedrohenden Problemen verdichten – und wo rechtzeitig angesetzt werden kann, um gegenzusteuern.

1. Stakeholder-Krise: Die stillen Vorzeichen

Die erste Phase beginnt intern – oft unterhalb des betriebswirtschaftlichen Radars. Unstimmigkeiten innerhalb der Geschäftsführung, unklare Rollenverteilungen oder unzureichende Informationsflüsse führen zu Vertrauensverlusten und einem spürbaren Rückgang der Führungskraft. Auch zwischen Gesellschaftern, Beiräten und Management können sich Differenzen auftun, insbesondere wenn strategische Leitplanken fehlen oder operative Entscheidungen nicht nachvollziehbar sind.

Diese Phase ist kritisch, weil sie selten als Krise erkannt wird. Dabei bietet sie die größte Chance zur Intervention: Ein funktionierendes Konfliktmanagement, klare Governance-Strukturen und ein ehrlicher Umgang mit Spannungen sind essenziell, um den Boden für Stabilität zu bereiten.

2. Strategische Krise: Orientierungslos im Wandel

Kommt es in Phase 1 zu keiner Kurskorrektur, folgt typischerweise die strategische Krise. Sie offenbart sich durch das Fehlen einer klaren, zukunftsgerichteten Unternehmensstrategie. Marktveränderungen werden nicht antizipiert, Innovationen verschlafen, Kundenbedürfnisse nicht mehr verstanden. Gleichzeitig steigt der Wettbewerbsdruck – sei es durch neue Marktteilnehmer, Digitalisierung oder sich ändernde regulatorische Anforderungen.

Insbesondere in Familienunternehmen, die oft aus einer erfolgreichen Vergangenheit schöpfen, zeigt sich in dieser Phase eine Tendenz zur Selbstzufriedenheit. Doch vergangene Erfolge sind keine Garantie für zukünftige Relevanz. Wer die strategische Krise ignoriert, riskiert die eigene Marktposition.

3. Rentabilitätskrise: Die Zahlen kippen

Erst wenn sich die strategischen Versäumnisse in den Kennzahlen niederschlagen, wird der Ernst der Lage offensichtlich. Rückläufige Umsätze, sinkende Gewinne, Absatzverluste und aufgeschobene Investitionen kennzeichnen diese Phase. Doch der Impuls ist häufig rein operativ: Sparmaßnahmen, Budgetstopps, Personalabbau. Die grundlegende strategische Frage – „Wofür stehen wir eigentlich noch am Markt?“ – bleibt oft unbeantwortet.

Die Rentabilitätskrise ist die erste, die man mit Zahlen aus Jahresabschluss, Planung und Risikoanalyse eindeutig und leicht identifizieren kann. Eine Rentabilitätskrise liegt vor, wenn die Eigenkapitalrendite unterhalb der vom Risikoumfang abhängigen Kapitalkosten, als Renditeanforderung, liegt (dazu Gleißner, 2021 und Gleißner, 2019). Ist dies der Fall, wird auch eines der vier Anforderungen an die „finanzielle Nachhaltigkeit“ von Unternehmen nicht mehr erfüllt (dazu Gleißner/Günther/Walkshäusl, 2022). Kritisch ist dies, weil unter solchen Bedingungen weitere Investitionen zu diesen Bedingungen in ein Unternehmen ökonomisch keinen Sinn mehr machen.

Besonders gefährlich ist die trügerische Hoffnung, die Krise lasse sich „wegorganisieren“. Ohne klare strategische Neupositionierung ist die Rentabilitätskrise jedoch meist nur die Vorstufe zur nächsten Eskalation.

4. Ertragskrise: Die Substanz erodiert

Die operative Handlungsfähigkeit nimmt nun rapide ab. Es entstehen echte finanzielle Verluste, das Eigenkapital wird aufgezehrt, die Liquidität verschlechtert sich. Unternehmen beginnen, ihre Substanz zu verzehren – ein Zustand, der sich häufig auch in der Unternehmenskultur niederschlägt: Fluktuation steigt, Misstrauen wächst, Führung verliert an Überzeugungskraft. Gleichzeitig brechen externe Beziehungen weg: Banken fordern Sicherheiten, Lieferanten reagieren nervös, Kunden spüren Instabilität.

Jetzt ist Krisenmanagement gefragt – und zwar professionell: Ein belastbares Maßnahmenpaket, die Einbindung externer Expertise, transparente Kommunikation mit allen Stakeholdern und ein ehrlicher Blick auf die Sanierungsfähigkeit sind unverzichtbar.

5. Liquiditätskrise: Der Handlungsspielraum schwindet

Spätestens jetzt steht das Unternehmen am Rand der Zahlungsunfähigkeit. Rechnungen werden nicht mehr beglichen, Rückstände gegenüber dem Finanzamt und Sozialkassen entstehen, das Vertrauenskapital ist aufgebraucht. Ohne sofortige externe Finanzierung oder den Einstieg eines Investors droht die Insolvenz.

In dieser Phase ist der Handlungsspielraum extrem begrenzt. Jede Entscheidung – ob Fortführung, Verkauf oder kontrollierte Insolvenz – muss nun juristisch, wirtschaftlich und emotional belastbar sein.

Was wir aus dem Krisenmodell lernen können

Das dargestellte Modell ist kein theoretisches Konstrukt – es findet sich in zahlreichen Unternehmensgeschichten wieder, insbesondere in Transformationsphasen. Es macht deutlich: Krisen entwickeln sich schleichend, bieten aber in frühen Phasen noch wertvolle Interventionsfenster. Entscheidend ist, dass Führungskräfte, Gesellschafter und Aufsichtsgremien gemeinsam wachsam bleiben – nicht nur für betriebswirtschaftliche Zahlen, sondern auch für kulturelle, strategische und strukturelle Entwicklungen.

Entscheidend ist es, Unternehmen so robust aufzustellen, dass eine schwere Krise unwahrscheinlich bzw. nachhaltiger Erfolg wahrscheinlich ist. Zudem benötigt man ein Krisenfrüherkennungssystem, das auf den obigen Gedanken aufbaut, und eine dennoch immer denkbare Krise dann wenigstens möglichst frühzeitig erkennt. Nur so ist gewährleistet, dass rechtzeitig Gegenmaßnahmen zur Krisenprävention initiiert werden. Für beide Aufgaben – für Stärkung von Resilienz und Robustheit einerseits sowie Krisenfrüherkennung – gibt es adäquate Methoden, und zum Teil sogar gesetzliche Mindestanforderungen.

Die fundierte Messung und dann systematisch Verbesserung von Robustheit und Zukunftsfähigkeit, und damit auch immer der Krisenresilienz, ermöglicht das QScore-Modell (kostenloser Download des Buchs Gleißner, W./Weissman: Das zukunftsfähige Familienunternehmen). Basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen für die Ursachen eines nachhaltigen Erfolgs, wie finanzielle Nachhaltigkeit und Robustheit der Strategie, erfolgt eine fundierte Beurteilung des QSCore, um priorisiert Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten.

Strategisches Risikomanagement zur Krisenprävention. Ergänzend benötigt ein Unternehmen ein Krisenfrühwarnsystem, das auf der Identifikation, Quantifizierung und Aggregation von Risiken aufbaut. Es sind nämlich gerade die Risiken eines Unternehmens, die – meist in Kombination – zu einer Krise führen. Das Krisenfrühwarnsystem erfordert ein Risikomanagement und die damit einhergehenden Fähigkeiten im Umgang mit Risiken werden auch bei der Beurteilung der Zukunftsfähigkeit (QScore) berücksichtigt.

Seit 2021 hat der Gesetzgeber sogar Mindestanforderungen an ein solches Risiko- und Krisenfrüherkennungssystem festgelegt (§ 1 StaRUG). Alle Kapitalgesellschaften müssen entsprechend in der Lage sein durch die Analyse, fortlaufende Überwachung und Aggregation von Risiken schwere Krisen, sogenannte „bestandsgefährdende Entwicklungen“ (§ 1 StaRUG) früh zu erkennen. Wird ein kritischer Grad der Bestandsgefährdung festgestellt, müssen „geeignete Gegenmaßnahmen“ zur Krisenprävention initiiert werden (und zu diesem Zeitpunkt ist auch eine unverzügliche Information des Überwachungsgremiums, z.B. Aufsichtsrats, erforderlich).

Entscheidend sind drei Aspekte:

  1. Statt erst eine bereits eingetretene Krise früh zu erkennen, zielt die Verbindung von Risikomanagement und Krisenfrüherkennung darauf, bereits festzustellen, dass die Wahrscheinlichkeit für eine zukünftige Krise erhöht ist. Mit den Maßnahmen soll also erreicht werden, dass es dann gar nicht mehr zu einer Krisen kommt.
  2. Da Krisen meist durch Kombinationseffekte von Einzelrisiken entstehen, ist die Risikoaggregation, die genau solche auswertet, das entscheidende Element in einem derartigen System. Dabei wird eine große repräsentative Anzahl risikobedingt möglicher Zukunftsszenarien ausgewertet, z.B. im Hinblick auf die mögliche Verletzung von Kreditvereinbarungen (Covenants) oder Mindestanforderungen an das Rating (Monte-Carlo-Simulation). Die hier notwendigen Tools stehen in der Zwischenzeit sogar kostenlos zur Verfügung.
  3. Mit dem allein schon zur Vermeidung persönlicher Haftungsrisiken für Geschäftsleitung und Aufsichtsrat/Beirat sinnvollen System für Risiko- und Krisenfrüherkennung kann (spätestens) die oben skizzierte Rentabilitätskrise leicht erkannt werden (im Allgemeinen bereits eine „drohende Rentabilitätskrise“).

Wer rechtzeitig hinschaut, kann mit klarem Blick und entschlossenem Handeln nicht nur die Krise abwenden – sondern auch den Weg in eine resilientere Zukunft ebnen.

Mehr von Werner Gleißner und Arnold Weissman auf DDW:

Professor Dr. Werner Gleißner ist Vorstand der FutureValue Group AG sowie Professor für Betriebswirtschaftslehre, insb. Risikomanagement, an der TU Dresden sowie Vorstand der EACVA (European Association of Certified Valuators and Analysts) und DGfKM (Deutsche Gesellschaft für Krisenmanagement e.V.). w.gleissner@futurevalue.de
Prof. Dr. Arnold Weissman ist Professor für Unternehmensführung an der OTH Regensburg sowie Gründungsgesellschafter der WeissmanGruppe und Erfolgsstratege für inhaber- und familiengeführte Unternehmen. Weissman@weissman.de

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