Wachstumsorientierte Marktbearbeitung

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Intelligentes Wachstum entsteht nicht durch reine Addition, sondern durch permanente  Erneuerung. Das gilt auch und gerade für die Marktbearbeitung. Was bedeutet das konkret und welche Konsequenzen sind daraus für den Vertrieb zu ziehen?

Wachstum, und insbesondere profitables Wachstum, wird am Markt entschieden. Was ist ein Formel-1-Rennen ohne Zuschauer? Was ist ein vermeintlich tolles Produkt ohne Käufer? Die gezielte Marktbearbeitung in Richtung des im Rahmen der Strategieerarbeitung Beschlossenen ist essenziell, um den Absatz der Produkte und Leistungen sicherzustellen. Fatal, wenn hier trotz neuer Produkte, Prozesse und Leistungen nur «Business as usual» vollzogen wird. Gehen wir den Prinzipien wachstumsorientierter Marktbearbeitung auf den Grund und stellen konkrete Ansatzpunkte heraus. Natürlich steht der Vertrieb im Mittelpunkt.
Folgende Ebenen sind zu betrachten:

1. Einstellung zu Wachstum
2. Klarheit über Zielgruppen und deren Bedürfnisse
3. Wert der Produkte und Leistungen
4.Sog statt Druck
5. Win-Win statt Win-Lose

1. Einstellung zu Wachstum

Bevor eine Marktbearbeitung im Sinne des Gedankens von profitablem Wachstum erfolgen kann, muss Klarheit über  genau diesen Wachstumsgedanken geschaffen werden. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Wachstum durch schiere Addition ist nicht das, was wir  unter Wachstumsintelligenz verstehen. Wachstum durch Addition ist «Mehr des Gleichen» und dieses «Mehr des Gleichen» wird irgendwann an Grenzen stoßen – im Übrigen ist diese Annahme von Wachstum eine der Begründungen, derenthalben so viele Wachstumsgegner Kakophonie betreiben: Sie denken beschränkt in «Mehr des Gleichen», wenn sie an Wachstum denken. Wachstumsintelligenz aber entsteht durch permanente Erneuerung, teilweise sogar durch Erneuerung, bevor ein Produkt, eine Dienstleistung oder ein Verfahren den  eigenen Zenit überschritten hat. Wachstumsintelligenz fordert Innovation, fordert konsequentes Infragestellen der eigenen Position. Wachstumsintelligenz führt zu gesunden Unternehmen und zu globalem Wohlstand. Mehr des Gleichen führt hingegen in die Irre. Wie soll ein Vertrieb den Markt bearbeiten, ohne eine gesunde Einstellung zu Wachstum? Zunächst gilt es also, ein gemeinsames Verständnis zwischen Unternehmensführung und Vertrieb herbeizuführen, was Wachstum für das eigene Unternehmen bedeutet und was die Konsequenzen aus dieser Interpretation sind. Dieser Diskurs kann durchaus einige Zeit in Anspruch nehmen, aber es handelt sich hier um ausgezeichnet investierte Zeit, denn investiert man diese Zeit nicht zu Beginn, wird man sich im weiteren Zeitverlauf bei eben dieser Diskussion wieder finden. Zu dem gemeinsamen Wachstumsverständnis gehört auch, dass die Beurteilungssysteme überprüft werden, denn man kann ein noch so gemeinsames theoretisches Verständnis von Wachstum erlangen, dieses ist aber nichts wert, wenn nicht auch das Leistungsbeurteilungssystem darauf abgestellt wird. Konkret wird ein Vertrieb, der für «Mehr des Gleichen» belohnt und für «Noch mehr des Gleichen» noch stärker belohnt wird, sich nicht genötigt sehen, intelligentes Wachstum zu erzeugen. Wenn überhaupt (monetäre) Belohnungssysteme existieren – eine Frage, die man sich grundsätzlich stellen muss, aber dies würde den Rahmen hier übersteigen –, so müssen diese mit dem Innovationsgedanken einhergehen. Dabei können Innovationen sowohl auf der Produkt- und Leistungsebene als auch auf der prozessualen Ebene, der Ebene des Herangehens in  Betracht kommen. Erst nach dem grundsätzlichen Verständnis über «Wachstum» im jeweiligen Unternehmen lohnt es sich, in den weiteren Ebenen fortzufahren.

2. Klarheit über Zielgruppen und deren Bedürfnisse

Immer wieder hören wir, dass selbstverständlich Klarheit über die jeweilige Zielgruppe und deren Bedürfnisse im Vertrieb besteht. Bohren wir ein wenig weiter, stellen wir nicht selten fest, dass hier regelhaft Potenzial verschenkt zu werden scheint, denn immer wieder stoßen wir auf unbezahlte Serviceleistungen, die das Unternehmen seinen Kunden erbringt, wir finden Rabattaktionen, die zum Teil tatsächlich auf geringere Preise abzielen, oder sich teilweise in «Naturalrabatt» äußern, und wir sehen, dass Kunden die Unternehmen unter Druck setzen, was diese wiederum in Handlungszwang bringt. Warum all dies, wenn man doch den Kunden kennt, ihn verstanden hat und angeblich genau weiß, was der Bedarf ist? Nein, hier machen es sich viele Unternehmen – genauer: viele Vertriebe – zu einfach. Es ist in den meisten Fällen keineswegs so, dass die Zielgruppe hinreichend bekannt ist und ihre Bedürfnisse hinreichend antizipiert sind. Es besteht vielmehr in den meisten Fällen ein erhebliches Potenzial. Die gute Nachricht: Dieses Potenzial kann gehoben werden.

Drei Möglichkeiten dazu:

Wie spricht der Vertrieb mit seinen Kunden? Spricht er über die Vergangenheit und über die Gegenwart? Sind Reklamationen, rückwärtsgerichtete Betrachtungen, aktuelle Probleme der Fokus? Oder spricht der Vertrieb mit seinen Kunden kurz über die Gegenwart und vorwiegend über eine erstrebenswerte Zukunft? Die Blickrichtung ist entscheidend, den erfolgreiche, wachstumsorientierte Vertriebe wählen den letztgenannten Weg. Die Vergangenheit kann ich nicht mehr ändern, die Zukunft aber sehr wohl. Mit einem erstrebenswerten Zielzustand fällt es erheblich leichter, in der Gegenwart die richtigen Handlungen anzustoßen.
Spricht der Vertrieb überwiegend über das, was der Kunde will und tut er alles, um dies zu erfüllen? Oder insistiert der Vertrieb ein wenig mehr und findet heraus, was der Kunde tatsächlich braucht? Der Unterschied mag auf den ersten Blick akademisch erscheinen, ist es aber keineswegs, denn zwischen dem, was ein Kunde will und dem, was ein Kunde (vermeintlich) braucht, liegt ein erhebliches Wertschöpfungs- (sprich: «Wachstums-»)Potenzial. Um dies herauszufinden, ist aber der dritte zu beachtende Punkt wichtig: Wie groß ist der Redeanteil des Vertriebs im Dialog mit den Kunden? Eine Faustformel: Vertriebe, die im Kundendialog mehr als 30 Prozent der Zeit reden, reden zu viel. Um einen echten Bedarf bei einem Kunden herauszufinden, muss man zuhören, nicht reden. Die Vorbereitungsarbeit liegt in der Formulierung der richtigen Fragen, gemäß der Maxime «Wer fragt, der führt.» Erfahrungsgemäß reden Vertriebe viel zu viel und Kunden sind nicht selten froh, wenn der Mitarbeiter das Haus verlässt.
Dies sind nur drei von zahlreichen Aspekten, aber bereits die Arbeit an den darin befindlichen Stellhebeln führt zu einer gänzlich anderen Vertriebsarbeit.

3. Wert der Produkte und Leistungen

Es wird zu viel über den Preis geredet, es wird zu früh über den Preis geredet und es wird zu stark über den Preis gesteuert. Im B2B-Geschäft haben Preislisten häufig nur noch die Funktion, die Druckereien zu beschäftigen und den Wettbewerb über Fantasiepreise zu informieren. «Ja, Ihre Preisliste. Sehr interessant, aber legen wir sie jetzt einmal beiseite: Welchen Preis machen Sie UNS denn?», ist eine in vielfältigen Variationen häufig gehörte Frage. Der Vertrieb steigt meist viel zu früh auf die Preisdiskussion ein, statt in dem Zuhörmodus zu verbleiben und sich damit zu beschäftigen, echte Bedarfe herauszufinden, Partner auf Augenhöhe zu werden, Vertrauen zu gewinnen und als Wertschöpfungspartner anerkannt zu werden. Wachstumsintelligenz hat etwas damit zu tun, dass man für Vertrauen sorgt. Vertrauen ist aber eine Funktion von Zeit – «rasch, rasch» funktioniert hier nicht. Natürlich sind manche Dinge austauschbar, natürlich ist man in der Regel nicht der einzige Anbieter eines Produktes, einer Dienstleistung oder einer Kombination von Produkten und Dienstleistungen. Der Unterschied besteht darin, wie werthaltig ein Kunde die Zusammenarbeit mit genau diesem Unternehmen im Hinblick auf seine Zukunft einschätzt. Eine Wertdiskussion zu forcieren, anstelle einer Preisdiskussion zum Opfer zu fallen – das ist wachstumsorientiertes Vorgehen. An dieser Stelle sei noch auf den Unterschied zwischen zufriedenen und begeisterten Kunden hingewiesen. Zufriedene Kunden sind die Basis eines Geschäftes, eines jeden Unternehmens. Begeisterte Kunden aber sind die Zukunftsversicherung, denn sie entsprechen den folgenden drei Kriterien: 1.: Sie müssen nicht bei einem bestimmten Unternehmen kaufen, tun dies aber trotz vorhandener  Alternativen. 2.: Sie sind nicht so preissensibel wie «normale» Kunden. Das  bedeutet nicht, dass sie nicht kaufmännisch rechnen, aber sie denken eben ganzheitlich kaufmännisch und nicht nur ein-dimensional.

3.: Begeisterte Kunden empfehlen ein Unternehmen aktiv weiter – eine unbezahlbare Werbung.

Man gehe die Liste seiner Kunden einmal durch und klassifiziere diese nach obigen Kriterien. Dann erarbeite man sich schnellstens einen Handlungsplan.

4. Sog-Verfahren statt Druck-Verfahren

Sog statt Druck – ein ehernes Wachstumsprinzip. Leider wird dies im Vertrieb – und das gilt bereits für viele Vertriebschefs – nicht immer gelebt. Vor einiger Zeit sagte mir der Europa-Vertriebsleiter eines Unternehmens, dass sein Geschäftsführer die Order ausgegeben habe, ein bestimmtes Produkt in einer bestimmten Anzahl zu verkaufen – wissend, dass das Unternehmen mit jedem verkauften Produkt Verlust mache. Das verstehe, wer will. Auch mit «strategischen Gründen» kommt man hier argumentativ nicht weiter. Druck par excellence. Druck erzeugt nicht nur Gegendruck, sondern er erfordert auch permanente Energiezufuhr. Wachstumsintelligenz bedeutet aber, Sog zu erzeugen. Es muss spannend werden, mit einem Unternehmen zu arbeiten, die Produkte eines Unternehmens zu besitzen. Niemand benötigt ein iPhone oder einen Porsche. Ein altes Handy und ein Lada Nova tun es auch. Es ist aber spannender, mit einem iPhone zu telefonieren und es ist wesentlich aussagekräftiger, mit einem Porsche zu fahren. Ein wenig Glanz der jeweiligen Marke färbt auf den Konsumenten ab.
Nun mag eingewendet werden, dass es sich bei diesen beiden Beispielen um B2C-Geschäfte handelt und man im B2C-Bereich mit starken Marken arbeiten kann. Der Einwand ist gerechtfertigt, führt aber direkt zu einem Punkt, den wachstumsorientierte Unternehmen verstanden haben: Im B2B-Bereich geht es auch um Marken, und zwar nicht nur um Handelsmarken, dies spränge zu kurz, sondern um Unternehmensmarken. Gerade im B2B-Bereich besteht erheblicher Nachhol- beziehungsweise Aufbaubedarf in Sachen «Marke». Genau die Marke ist es nämlich, die dafür Sorge trägt, dass Sog erzeugt wird. Gepaart mit einer unter Beweis stellbaren  Innovation und Vordenkerschaft für bestimmte Produkt- und Problemlösungen entsteht eine Dynamik, die wesentlich geringeren Druckeinsatz erfordert, als ohne die Kraft der Marke zu arbeiten. Bedauerlicherweise haben dies noch nicht genügend Unternehmen verinnerlicht, geschweige denn das Verinnerlichte in Konsequenzen und Handlungen übersetzt.
Ein konkretes Beispiel für das Erzeugen von Sog: Vor Kurzem haben wir mit einem Klientenunternehmen – einem marktführenden Großhandelsunternehmen – ein «Lieferanten-Lunch» organisiert. Der Sprecher des Vorstandes hat seine Top-Lieferanten eingeladen und die Hälfte der eingeladenen Geschäftsführer und Vorstände waren erschienen. Gemeinsam haben wir in angemessenem Ambiente auf Basis provokanter Statements und Thesen einige Stunden über das Thema der Veranstaltung diskutiert: «Wohin führt uns der Kunde?» Die gemeinsamen Erkenntnisse waren vielfältig und alle Anwesenden waren sich darüber einig, dass man dieses Format wiederholen müsse. Unser Klient war hochzufrieden, hatte er doch auf diese Weise die Bindung zu seinen Schlüssellieferanten maßgeblich gestärkt. Merke: Sog ist nicht nur in Richtung «Markt» erforderlich.

5. Win-Win statt Win-Lose

Wachstum ist kein Nullsummenspiel. Bei intelligenten Konfigurationen gewinnen beide Geschäftspartner. Hört man hier auch häufig Zustimmung – wer möchte schon zugeben, dass er seinen Partner «über den Tisch zieht»? – sieht die Realität doch nicht selten nüchterner aus. Daher sind beispielsweise auch Initiativen zur «Supply Chain Integration» so lange zum Scheitern verurteilt, wie es keine gemeinsamen Erfolgsmessgrößen gibt und weiter egoistisch gemäß singulärer Zielgrößen optimiert wird. Es gilt also, herauszufinden, wie beide Partner gewinnen können und im B2B-Bereich idealerweise auch der dritte Partner, nämlich der Kunde des eigenen Kunden. Diese Überlegungen aber kosten Zeit, und Zeit ist etwas, das im Vertrieb chronisch knapp ist.
Es sei die Anmerkung gestattet, dass Zeit eine Frage von Prioritäten ist. Wachstumsorientierte Marktbearbeitung bedingt auch, dass man diese Prioritäten infrage stellt und neu ordnet.

 

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