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Covid-19 – eine oder drei Krisen? Ein Blick 12 Monate voraus…
Wir müssen von »Coronakrisen« im Plural sprechen. Denn neben der medizinische Krise der Pandemie und der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise droht eine internationale Staatsschulden- und Währungskrise. Hilfreich ist vor diesem Hintergrund ein Perspektivwechsel. Von Walter Kohl
Ein Virus hat unsere Welt im Griff. Unvorstellbares wird alltäglich: ganze Flugzeugträger werden außer Gefecht gesetzt, die Olympiade und Fußball-EM verschoben, jetzt auch noch die Absage des Oktoberfestes. Das Wort »Coronakrise« hat sich mittlerweile eingebürgert, auch um die wirtschaftlichen und politischen Folgen der Pandemie zu beschreiben. Ich glaube jedoch, dass wir stattdessen von »Coronakrisen« im Plural sprechen sollten. Schließlich haben wir es mit drei, aufeinander aufbauenden Krisen zu tun:
- die medizinische Krise der Pandemie,
- die sich abzeichnende Unternehmens- und Wirtschaftskrise und
- eine internationale Staatsschulden- und Währungskrise.
Zunehmend beginnt sich die zweite Krisenstufe, eine Wirtschaftskrise von Jahrhundertformat, abzuzeichnen. Mitte April, also rund acht Wochen nach Pandemiebeginn, liegen schon erste Branchen am Boden. DEHOGA, der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband sagt, dass von seinen ca. 223.000 Mitgliedern mit insgesamt etwa 2,4 Millionen Beschäftigten etwa ein Drittel insolvenzgefährdet sind. Ein weiteres Beispiel sind die deutschen Vorzeigebranchen wie die Automobilindustrie und der Maschinenbau. Hier werden zweistellige Umsatzeinbrüche für das Jahr 2020 erwartet. Es ist abzusehen, dass wir ab Jahresmitte 2020 eine Insolvenzwelle gerade bei den mittelständischen Automobilzulieferern und Maschinenbauern erleben werden, denn dann schlagen die zahlungszielbedingten Umsatzausfälle aufgrund der Werksschließungen vom Frühjahr voll durch. Solche Insolvenzen könnten dann zu einem Ausverkauf deutscher Unternehmen führen, ein Szenario, das gerade in der Automobilindustrie zurecht mit Sorge betrachtet wird.
Deutschland ist keine Insel
Einerseits trifft Covid-19 so gut wie alle Unternehmen und Branchen – das unterscheidet diese Krise von der Finanz- und Währungskrise 2009. Diese Komplexität und die nicht abzusehenden wechselseitigen Infektionsmöglichkeiten zwischen Real-und Finanzwirtschaft dürfen nicht unterschätzt werden. Es ist wahrscheinlich, dass die sich abzeichnende Insolvenzwelle dann auch manche bilanziell schwach aufgestellte Bank überfordern wird. Zudem wird sich die Wirtschaftskrise der zweiten Stufe zu einer konjunkturellen Abwärtsspirale mit gefährlichem deflationieren Potential, also einem Preisverfall von Waren und Dienstleistungen. Die Federal Reserve der USA hat sich schon dementsprechend geäußert.
Und andererseits ist Deutschland keine Insel, sondern als führende Exportnation hochgradig von der wirtschaftlichen Gesundheit seiner Nachbarn und Handelspartnern abhängig. Und hier beginnt die dritte Stufe der »Coronakrise«: eine mögliche internationale Wirtschafts- und Währungskrise. 2019 betrug der deutsche Außenhandel rund 1,32 Billionen Euro, davon gingen rund 87% in die größten zwanzig Partnerländer, darunter insbesondere die USA, Frankreich, China, Italien, Spanien und Großbritannien. Man braucht kein Prophet zu sein um zu prognostizieren, dass die meisten dieser Staaten sich in der zweiten Jahreshälfte 2020 in einer Rezession befinden werden – keine gute Perspektive für hochwertige, teure deutsche Exporte wie Autos oder Anlagen.
Vor-Krisen-Verschuldung als Bedrohung für Währungsunion
Besondere Gefahr geht zudem innerhalb der Eurozone vor allem von Italien und Spanien aus. Besonders Italien ist schon vor Corona hochverschuldet gewesen und hat die letzten Jahre, entgegen vieler Beteuerungen, nicht zum Schuldenabbau genutzt. Corona hat das wirtschaftliche Herz des Landes, insbesondere die Regionen Piemont, Lombardei und Venetien schwer getroffen. Italien und Spanien sind zudem sehr abhängig vom Tourismus und die Ankündigung des spanischen Ministerpräsidenten vor wenigen Tagen, dass er von einem Ausfall der Sommersaison 2020 ausgeht, verschärft die Lage in beiden Ländern im zweiten Halbjahr 2020. Wenn wichtige Branchen wie Tourismus in diesem Jahr weitgehend wegfallen werden, werden staatliche Einnahmen in beiden Ländern drastisch sinken und die Ausgabenseite, insbesondere für Stützungsmaßnahmen und Arbeitslosengeld, steigen. Diese Probleme sind aus der Finanzkrise von 2009 bekannt und drohen 2020 in verschärfter Form.
Vor dem Hintergrund der ohnehin schon hohen Vor-Krisen-Verschuldung stellt sich die Frage, wie sich die Kapitalmarktfähigkeit und das Rating, also die Kapitalkosten, besonders für Italien entwickeln werden. Ab wann würde Italien vor einer Überschuldung stehen? Wenn man die Erfahrungen der Finanzkrise bezüglich staatlicher Refinanzierungs- und Europrobleme zu Grunde legt, ist in eine solche Kettenreaktion in der dritten Coronakrise und damit eine existentielle Bedrohung der Gemeinschaftswährung und der EU nicht auszuschließen.
Insbesondere die möglichen fatalen Folgen der dritten Coronakrise sollten Anlass geben, dass wir nicht weiter national oder regional denken, sondern Corona als das verstehen, was es ist. Eine mehrstufige Krise, die ein entschiedenes, europäisches und zukunftsfähiges Handeln mit neuen Perspektiven und Handeln verlangt.
Eine Perspektive, die ich in persönlichen Krisen immer als hilfreich empfunden habe, sieht so aus: Was würdest du in einem 10 Jahresrückblick getan haben wollen? Lassen Sie uns mit einem Blick aus dem Jahr 2030 die Probleme im Jahr 2020 angehen, lassen Sie uns ein stabiles, wohlhabendes, nachhaltiges, vereintes und starkes Europa aufbauen, das vor allem auf Transparenz und Verantwortung fußt. Denn dann haben wir nicht nur aus der Krise gelernt, sondern können auch unseren Kindern und Enkeln eine bessere Welt hinterlassen.
Walter Kohl ist Unternehmer, Historiker und Autor aus Ludwigshafen am Rhein. Nach Stationen im Investmentbanking und in Führungspositionen deutscher Großunternehmen, gründete er zusammen mit seiner Frau einen deutsch-koreanischen Automoilzulieferer. Heute ist er Gründer und Unternehmensberater der KohlConsult GmbH. Mit der »Initiative Deutschland in Europa« und als Schirmherr des Frankfurter Netzwerkes Suizidprävention (FRANS) setzt er sich für gesellschaftliche und soziale Projekte ein. Mehr Informationen.
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