Was wollen die Anarchokapitalisten?

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Der deutsche Ökonom Antony Peter Mueller zählt zu den sogenannten Anarchokapitalisten, die reinen Kapitalismus in der Wirtschaft und Herrschaftsfreiheit miteinander verbinden. Sein neues Buch heißt „Anti-Politik“. Was wird da vertreten?

Von Dr. Dr. Rainer Zitelmann

Die meisten Menschen denken bei „Anarchismus“ an Linksextreme oder Theoretiker wie Michael Bakunin, den Rivalen von Karl Marx. Es gibt aber eine historische Tradition von Anarchismus, die nichts mit linkem, antikapitalistischem Denken zu tun hat, sondern die – ganz im Gegenteil – den reinen Kapitalismus in der Wirtschaft und Herrschaftsfreiheit miteinander verbindet. Hierfür steht beispielsweise der amerikanische Ökonom und Philosoph Murray Rothbard. Auch der Argentinische Präsident Javier Milei bezeichnet sich selbst als „Anarchokapitalist“ und in seiner viel beachteten Rede in Davos im Januar diesen Jahres erklärte er: „Der Staat ist nicht die Lösung. Der Staat ist das Problem selbst.“  Zu den deutschen Anarchokapitalisten zählt der Ökonom Antony Peter Mueller, der gerade ein Buch mit dem Titel „Anti-Politik“ vorgelegt hat.

Die Kräfte des Marktes werden zurückgedrängt

Ich war vor Lektüre dieses Buches etwas skeptisch, weil ich selbst ein radikaler Anti-Utopist bin und alle von Intellektuellen am Schreibtisch erdachten und konstruierten Gesellschaftssysteme ablehne. In der Diagnose ist Mueller in vielen Punkten sehr zuzustimmen: „Die Finanzierung des Staatsapparates absorbiert immer mehr Mittel. Entsprechend muss der produktive Teil der Gesellschaft geschröpft werden. Dies hat zur Folge, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zurückgeht und der gesellschaftliche Unmut wächst. Immer mehr Menschen wollen noch mehr vom Staat, aber immer weniger sind bereit, für die anderen arbeiten zu wollen… Der Ausweg besteht nicht in mehr Staat und mehr Politik, sondern in weniger Staat und weniger Politik.“

Wir können in den letzten 15 Jahren fast überall auf der Welt beobachten – in China, den USA, Lateinamerika und Europa – wie die Kräfte des Marktes zurückgedrängt werden und der Staat sich immer mehr in das Leben der Menschen und insbesondere in die Wirtschaft einmischt.

“Der Staat schreibt den Unternehmen vor, welche Autos sie produzieren und den Hauseigentümern, welche Heizung sie einbauen sollen”

Der interventionistische Staat, so Mueller, habe sich der Wirtschaft bemächtigt. Doch die Wirtschaftspolitik der Regierung selbst provoziere viele der Übel, die sie angeblich heilen wolle. Anstatt den Konjunkturzyklus zu glätten, wie es die Politiker und die Zentralbanken als Intention vorgeben, schwächen und destabilisieren die Auswirkungen der Politik die Wirtschaft.

Das hier besprochene Buch von Antony Peter Mueller: “Antipolitik” (Bezugsinfos)

Mueller beschreibt richtig, dass das Privateigentum an Produktionsmitteln zwar auf dem Papier bestehen bleibt, aber in Wahrheit zunehmend ausgehöhlt und zur leeren Hülle wird, weil Eigentümer nicht mehr entscheiden können, was sie damit machen. Der Staat schreibt den Unternehmen vor, welche Autos sie produzieren und den Hauseigentümern, welche Heizung sie einbauen sollen.

Utopien umzusetzen, führen oft erst zur Hölle

Welche Lösung bietet er an? Entpolitisierung. Das Parteiensystem schade und solle abgelöst werden durch Versammlungen von Menschen, die nach dem Zufallsprinzip bestimmt werden. Nach und nach sollten alle oder fast alle staatlichen Funktionen, inklusive denen, die für die Sicherheit zuständig sind, privatisiert werden. Ziel ist, das Zusammenleben der Menschen weitgehend ohne Staat zu organisieren.

Mein Problem damit: Solche Konzepte kann man sich auf dem Papier ausdenken, doch wenn man fragt, wo es sie auf der Welt gibt oder zumindest gab, erhält man die gleiche Antwort wie von den meisten Marxisten: Nirgendwo. Die Realität mit einer in Buchform entwickelten Idee oder Vision zu vergleichen, ist jedoch etwa so fair wie eine real existierende Ehe mit einem schönen Liebesroman zu vergleichen. Und die Geschichte enthält eine wichtige Lehre: Der Versuch, Utopien einer perfekten Welt in die Realität umzusetzen, haben das Leben der Menschen nicht verbessert, sondern oft erst zur Hölle gemacht.

Neuartige, vorher unbedachte Lösungen finden

Zur Verteidigung von Mueller muss man jedoch hinzufügen, dass er sich dezidiert dagegen wendet, „den Anarcho-Kapitalismus unmittelbar im Hauruckverfahren zu realisieren“. Dies sei ohnehin illusorisch. Vielmehr sei die Idee nur eine „Zielvorgabe“ und es gehe ihm darum, „Wirtschaft und Gesellschaft, so wie sie real je nach Umstand und Zeit existieren, auf mehr wirtschaftliche und persönliche Freiheit auszurichten“. Die Idee des Anarchokapitalismus dient Mueller eher als Leitbild, als ein Fixstern, an dem man sich ausrichten solle.

Es sei müßig, so Mueller, sich eine Welt auszudenken, die nach libertär-anarchokapitalistischen Prinzipien entstanden wäre – und doch tut er dies an manchen Stellen seines Buches. Es sei vielmehr das Kennzeichen des freien marktwirtschaftlichen Wettbewerbs, neuartige, vorher unbedachte Lösungen zu finden. Und hier kann ich ihm dann wieder uneingeschränkt zustimmen: „So bleibt es bei zweierlei: Einerseits bei der These, dass marktwirtschaftliche Lösungen bessere Lebensverhältnisse gebracht hätten, und zweitens bleibt es bei den empirischen Belegen, dass die staatsgelenkte Wirtschaft und Gesellschaft nicht den Erfolg beschieden haben, den ihre Vertreter verkündet haben.“

“Selbst einige Tropfen Kapitalismus machen einen großen Unterschied”

Obwohl eine libertäre Ordnung in ihren Folgen einer Revolution gleichkomme, sei der Weg zu ihrer Entstehung nicht revolutionär. Der Weg zu einer solchen Ordnung sei ein allmählicher Privatisierungsprozess. Beginnend mit dem Verkauf von halbstaatlichen Unternehmen und öffentlichen Versorgungseinrichtungen solle dann die Privatisierung Schritt für Schritt auf Bildung und Gesundheit ausgedehnt werden und schließlich auch das Sicherheits- und Justizsystem umfassen. „In diesem Sinne wird der Anarcho-Kapitalismus nicht installiert, sondern er ergibt sich von selbst, indem die Hindernisse weggeräumt werden, die seinem Erblühen durch Staat und Politik entgegenstehen.“

Tatsächlich ist es das, was wir brauchen: Mehr Kapitalismus und weniger Staat. Reinen Kapitalismus gibt es nirgendwo auf der Welt und er ist auch nicht nötig, um das Leben der Menschen massiv zu verbessern. Selbst einige Tropfen Kapitalismus machen einen großen Unterschied: Durch die von Deng Xiaoping in China eingeleiteten marktwirtschaftlichen Reformen sank die Quote der Chinesen, die in extremer Armut leben von 88 Prozent (1981) auf heute unter ein Prozent. Und in Vietnam, noch in den 90er Jahren das ärmste Land der Welt, sank die Zahl der Armen durch die Einführung des Privateigentums und marktwirtschaftliche Reformen von 80 auf unter fünf Prozent.

Die eigentlichen Aufgaben des Staates

Die Geschichte kennt keinen Endzustand. Weder Freiheit noch Unfreiheit sind dauerhaft oder gar ewig. Wir sehen vielmehr einen ewigen Kampf zwischen den Kräften von Freiheit und Unfreiheit. Dabei gibt es Phasen wie in den 80er- und 90er Jahren, wo die wirtschaftliche Freiheit mit Reformern wie Ronald Reagan, Maggi Thatcher, Leszek Balcerowicz und Deng Xiaoping große Fortschritte machte, und andere Phasen – so wie heute -, wo das freie Unternehmertum überall beschnitten wird.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn der Staat sich wieder auf das konzentrieren würde, was eigentlich seine Aufgabe sein sollte, nämlich innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten und als Rechtsstaat einen verlässlichen Rahmen zu bieten. Stattdessen sehen wir heute überall, dass der Staat viel zu stark ist, wo er schwach sein sollte – so wenn er sich in die Wirtschaft oder die Meinungsbildung einmischt. Und weil er nur mit Umverteilen und Interventionismus beschäftigt ist, ist er dort viel zu schwach, wo er stark sein sollte und kann nicht einmal die Grenzen sichern oder die Landesverteidigung gewährleisten.

Ist der Anarchokapitalismus ein Ideal, das dabei hilft, die Macht der Politik und des Staates in der Wirtschaft und im geistigen Leben zurückzudrängen, muss man ihn begrüßen. Ist er ein Konzept einer „perfekten Gesellschaft“, dann ist Skepsis angebracht wie gegen alle Utopien.

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Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker – und war auch als Unternehmer und Investor erfolgreich. Er hat 30 Bücher geschrieben und herausgegeben, die in über 35 Sprachen übersetzt wurden (“Weltreise eines Kapitalisten“, “Warum Entwicklungshilfe nichts bringt und wie Länder Armut wirklich besiegen“, “Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“) und jüngst auch die Master-Class “Finanzielle Freiheit – Schluss mit der Durchschnittsexistenz“ vorgelegt. Sein jüngstes Buch ist der Anti-Woke Roman „2075. Wenn Schönheit zum Verbrechen wird“.

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