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Weltreise eines Kapitalisten: Tiflis, Georgien
Viele Menschen träumen von einer Weltreise. Ich habe eine Weltreise in 30 Länder gemacht: Meine »Liberty Journey«, immer der Freiheit auf der Spur. Mein zweites Ziel: Tiflis, Georgien / Reihe Weltreise eines Kapitalisten
- Folge 1: Zürich, Schweiz
- Folge 2: Tiflis, Georgien
- Folge 3: Seoul und Gangwon, Korea
- Folge 4: Santiago de Chile
- Folge 5: Washington, New York und Boston, USA
Von Dr. Dr. Rainer Zitelmann
Ende April reise ich nach Georgien. Das kleine Land (3,7 Millionen Einwohner), das früher zur Sowjetunion gehörte, liegt am Schwarzen Meer im Westen Asiens, wird aber von seinen Einwohnern stolz als »Balkon Europas« bezeichnet. Nachbarländer sind die Türkei, Aserbaidschan und Russland. Im Jahr 2008 griff Russland das Land an. Seitdem sind etwa 20 Prozent des Staatsgebietes russisch besetzt.
Ich war noch nie zuvor in Georgien gewesen, hatte aber Kontakt zu Professor Gia Jandieri, dem Gründer und Vizepräsidenten eines libertären Thinktanks in Georgien namens New Economic School. Ich bin schon neugierig, ihn persönlich kennenzulernen. Gia holt mich und meine Freundin Alica morgens im Radisson-Hotel ab und zeigte uns die Stadt. Was auf den ersten Blick auffällt: die vielen alten und faszinierenden Gebäude, die meisten aus dem 19. Jahrhundert. Gia zeigt uns das Panorama von Tiflis. Und mitten unter all den schönen Gebäuden der Altstadt stach ein hässlicher Bau hervor: »Der stammt aus der Sowjetzeit«, so Gia.
Fortdauernde russische Bedrohung
Man sieht Tiflis an, dass weder der Erste noch der Zweite Weltkrieg auf dem Territorium von Georgien ausgetragen wurden. Die Gebäude blieben erhalten, aber mit etwa 300.000 toten Soldaten hatte Georgien im Zweiten Weltkrieg einen hohen Blutzoll zu entrichten. Gia meint, der sowjetische Diktator Josef Stalin habe – obwohl selbst in Georgien geboren – seine Landsleute nicht besser behandeln wollen, sondern eher im Gegenteil ins Feuer geschickt.
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2001 gründete Gia zusammen mit anderen pro-marktwirtschaftlichen Ökonomen die New Economic School, entwarf ein Modell für eine radikale Steuerreform und verfasste die »25 Principles for Economic Prosperity of Georgia« für das Programm des Präsidentschaftskandidaten Micheil Saakaschwili. Der vormalige Justizminister wurde im Januar 2004 zum Staatspräsidenten gewählt. Er stand für Marktwirtschaft und wollte die alten Eliten entmachten.
Und wie sieht Gia die Situation heute? Er ist skeptisch. Das Land werde von Bidsina Iwanischwili beherrscht, der offiziell zwar nur von 2012 bis 2013 Premierminister war, aber faktisch immer noch das Sagen habe. Iwanischwili machte Milliarden in Russland, kehrte 2003 nach Georgien zurück, nahm später die französische Staatsbürgerschaft an und lebt heute in einer Residenz oberhalb von Tiflis, deren Wert 2012 auf 50 Millionen Dollar geschätzt wurde.
Was sind die größten Herausforderungen für Georgien, frage ich Gia. Einmal natürlich die fortdauernde russische Bedrohung des Landes. Doch den konsequent marktwirtschaftlichen Weg, den er für den besten für das Land hält, sieht er auch durch die EU-Bürokratie bedroht. In den Verhandlungen mit der EU wurde Georgien ständig mit neuen staatlichen Regulierungsideen konfrontiert, die etwa die Freiheit des Arbeitsmarktes einschränkten und mit hohen Kosten sowie bürokratischem Aufwand verbunden waren.
Gia glaubt an die Kraft des Unternehmertums. Oft nähmen die Menschen an, Intellektuelle seien moralisch überlegen, sagt Gia. Aber nach seiner Überzeugung leben vor allem Unternehmer nach der Erfahrung, die sie immer wieder in ihrem Berufsleben machen, nämlich dass sich Ehrlichkeit auf die Dauer mehr auszahlt als unethisches Verhalten: Denn durch Unehrlichkeit nimmt die Reputation des Unternehmers Schaden. »Bad ideas attract bad people«, das habe er in der Zeit des Kommunismus gelernt. Ich vergesse diesen Satz nicht. Der Kommunismus, so Gia, sei eine solche schlechte Idee und habe Menschen wie den Georgier Stalin angezogen, der ein Krimineller war.
Bevor ich in ein Land reise, beschäftige ich mich mit dessen Wirtschaft und Geschichte und mache mir dazu einige Notizen. Hier einige Fakten: Nachdem die Sowjetunion zusammenbrach, hatten es viele Länder schwer, die bis dahin zu dem großen Sowjetreich gehörten. Doch Georgien hatte es besonders schwer. Erst 1918 unabhängig geworden, wurde es 1921 von der Roten Armee besetzt und in die Sowjetunion eingegliedert. 70 Jahre danach erlangte es zum zweiten Mal seine Unabhängigkeit.
Georgien hatte eine doppelte Herausforderung zu bewältigen: Die erste Herausforderung teilte es mit allen ehemals sozialistischen Staaten, nämlich die Notwendigkeit, die sozialistische Staatswirtschaft durch eine Marktwirtschaft zu ersetzen. Die zweite bestand darin, dass Georgien in hohem Maße abhängig von Russland war und der gesamte Außenhandel des Landes hauptsächlich auf Russland ausgerichtet war. Und: »Bereits vom ersten Tag seiner Unabhängigkeit von der Sowjetunion an war Georgien aggressivem Druck durch die Russische Föderation ausgesetzt«, so etwa im Energiebereich. Zudem gab es von Anfang an militärische Aggressionen Russlands, die 2008 im Angriff auf Georgien ihren vorläufigen Höhepunkt fanden.
Je weniger staatliche Vorschriften, desto weniger Ansatzpunkte für Korruption
Im November 2003 wurde Präsident Eduard Schewardnadse (der ehemalige sowjetische Außenminister) zum Rücktritt gezwungen, man sprach später von einer »Rosenrevolution«. 13 Jahre nach Erringung der politischen Unabhängigkeit setzte Micheil Saakaschwili marktwirtschaftliche Reformen in Gang. Die Zahl der Steuerarten wurde von 22 auf sieben reduziert (jetzt sind es sechs), und die Einkommenssteuer fiel von 39 auf 20 Prozent. Es begannen umfangreiche Privatisierungen, und die Korruption wurde zurückgedrängt.
Korruption ist für viele Länder ein großes Problem, aber Georgien ging sehr radikal vor, was sich auszahlte. Gia berichtet, dass man auf einen Schlag sämtliche etwa 35.000 Polizisten des Landes entlassen habe und dafür etwa 15.000 neue einstellte, die aber besser bezahlt wurden. In der Übergangsphase sei die Kriminalität nicht einmal gestiegen, denn die schlimmsten Banditen seien bis dahin sowieso die Polizisten selbst gewesen. Organisierte Kriminalität gebe es heute in Georgien kaum, da der Staat eine »Zero Tolerance«-Politik betreibe.
Mindestens ebenso maßgeblich für die Korruptionsbekämpfung war jedoch, dass durch Reformen zahlreiche überflüssige Regulierungen und Vorschriften beseitigt wurden. Eine wichtige Lehre auch für andere Länder: Je weniger staatliche Vorschriften es gibt, desto weniger Ansatzpunkte gibt es für Korruption. Noch 2004 lag Georgien im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International auf Platz 133, aber 2022 immerhin auf Platz 41 von 180. Zum Vergleich: Russland liegt heute auf Platz 137.
Die Deregulierungen und die Steuerreform hatten sehr positive Auswirkungen: »Die Ergebnisse der Reformen waren bald sichtbar – mit einem Anstieg des BIP, der Einkommen, der Einlagen, der Zahl der Autos und so weiter, was die Verbesserung sehr gut veranschaulicht. Daher lässt sich aus dieser Geschichte die Folgerung ziehen: Entschlossene Schritte, Liberalisierung und die Übernahme von Verantwortung für hausgemachte Probleme sind die besten politischen Lösungen für Krisen jeder Art – auch und gerade für ärmere Länder in einer Übergangskrise.
Steuersenkungen und Steuervereinfachungen führen zu größeren Steuereinnahmen
Das Beispiel Georgiens zeigt, dass Steuersenkungen und Steuervereinfachungen oft zu größeren Steuereinnahmen führen – was wir immer wieder auch in anderen Ländern beobachtet haben, Sozialisten jedoch nie begreifen werden. Die Steuerreform von 2005, die nach der Rosenrevolution umgesetzt wurde, hatte laut Gia diese Auswirkungen: »In allen Arten von Steuern (mit Ausnahme der Zollsteuer, deren effektiver Steuersatz gegen null geht) erhöhten sich die Staatseinnahmen: Die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer stiegen um mehr als das Siebenfache, die aus der Einkommenssteuer um mehr als das Achtfache und die Einnahmen aus der Gewinnsteuer um das Zehnfache.«
In dem Zeitraum von 1997 bis 2020 stieg die Punktzahl Georgiens im Index of Economic Freedom so stark wie in kaum einem anderen Land der Welt, und es lag 2020 sogar auf Platz zwölf in dem Ranking. Seitdem verliert Georgien jedoch wieder in dem Index, und das Land liegt 2024 auf Platz 32. Denn anstatt diesen Schutz der Bürger vor dem Staat weiter auszubauen, ging die Regierung in den vergangenen Jahren den umgekehrten Weg und hob die Beschränkungen auf. Gia kritisiert das Freihandelsabkommen mit der EU, das dazu führte, dass wieder eine Menge überflüssiger staatlicher Regulierungen eingeführt wurde.
Georgien zeigt, wie auch viele andere Länder: Freiheit, auch wirtschaftliche Freiheit muss immer wieder neu erkämpft werden.
Mehr von Dr. Dr. Rainer Zitelmann:
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- Blogseite von Dr. Dr. Rainer Zitelmann
Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe – und war auch als Unternehmer und Investor erfolgreich. Er hat 29 Bücher geschrieben und herausgegeben, die in über 30 Sprachen übersetzt wurden (zuletzt „Weltreise eines Kapitalisten„, „Der Aufstieg des Drachen und des weißen Adlers: Wie Nationen der Armut entkommen„, „Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten„). In den vergangenen Jahren schrieb er Artikel oder gab Interviews in führenden Medien wie Wall Street Journal, Times, Le Monde oder Corriere della Sera. Seit kurzem kann auch eine Master-Class „Finanzielle Freiheit – Schluss mit der Durchschnittsexistenz“ belegt werden. Bei dem vorliegenden Beitrag handelt sich hier um einen von der Redaktion stark gekürzten Auszug aus Rainer Zitelmanns neuestem Buch, das insgesamt 41 Kapitel enthält.
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