Wenn in der Wirtschaft auf wenig Taten viele Worte folgen

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Das „Wirtschaftswort des Jahres 2022“ ist gekürt. Jurymitglied und Mit-Initiator Armin Reins über eine Verschiebung politischen Handelns in die Kommunikation.

Was braucht eine erfolgreiche Wirtschaft? Richtig, topausgebildete Ökonomen. Doch anscheinend haben sich diese aus dem Tagesgeschäft in der Bundesrepublik Deutschland zurückgezogen. Selten kriselte es heftiger als heutzutage. Das zeigten auch die Einreichungen zum Wirtschaftswort des Jahres 2022, das nun gewählt wurde.

„2022 könnte als Schicksalsjahr in die deutsche (Wirtschafts-)Geschichte eingehen. Schon lange nicht mehr wurde unser Geschäftsmodell so fundamental erschüttert und angesichts einer unzureichenden Reaktion der Politik droht in der Tat eine Beschleunigung des Trends zur De-Industrialisierung, der schon vor Corona eingesetzt hat“, analysiert Unternehmensberater und Buch-Autor Daniel Stelter. Die Folge? In der deutschen Wirtschaft verschiebt sich der Schwerpunkt – von Konjunkturprogrammen hin zur Kommunikation.

„Dass sich der Kanzler als Meister der Lametta-Sprache erwiesen hat, zeigt auch das Tarnwort ‚Sondervermögen‘, ein typischer Euphemismus“

Was an Taten nicht überzeugt, soll durch Worte kaschiert werden. So bezeichnete Kanzler Scholz die geplante staatliche Stützung der Energieversorgung und die vorgesehenen Preisbremsen in geradezu infantiler Weise als Doppel-Wumms“. Lautmalerische Kindersprache soll die Herzen der Bevölkerung erreichen. Dass sich der Kanzler als Meister der Lametta-Sprache erwiesen hat, zeigt auch das Tarnwort „Sondervermögen“, ein typischer Euphemismus, der zur Verschleierung negativer Tatsachen dient. „Dass die Politiker, statt mit aller Macht zu handeln mehr auf Lippenbekenntnisse und schöne Worte achten, unterstreicht nichts deutlicher als die Umdeutung von Schulden zu ‚Sondervermögen‘, wie es George Orwell nicht besser hätte machen können“, gibt Stelter zu bedenken. Seine beiden Vorschläge zum Wirtschaftswort des Jahres, „De-Industrialisierung“ und „Sondervermögen“, wurden unter die Top drei gewählt.

Das Wirtschaftswort des Jahres wird seit 2020 vergeben. Hier das Ergebnis für 2022 und weitere Stimmen

Seit vier Jahren wird bereits das Wirtschaftswort des Jahres gekürt. Und noch nie wurden so viele Wörter eingereicht wie dieses Jahr. In der 15köpfigen Jury neu vertreten waren in diesem Jahr neben Daniel Stelter u.a. Cicero-Herausgeber Alexander Marguier, Unternehmerin Marie-Christine Ostermann, Steuerzahler-Bund-Präsident Reiner Holznagel oder der Unternehmer und ehemalige Präsident von Die Familienunternehmer Dr. Patrick Adenauer. Sie mussten sich unter eine Reihe bemerkenswerter Wortkreationen entscheiden, die medial omnipräsent waren, weil sie den Zeitgeist in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung repräsentieren. Im Angebot fanden sich Neologismen wie „Klimasozialismus“, Anglizismen wie „Quiet Quitting“, Kofferwörter wie „Stagflation“ oder Fachbegriffe wie „Taxonomie“.

Jeder einzelne Begriff birgt dabei eine bestimmte Intention von beschreibend, über mahnend bis zu anklagend. Gewonnen hat ein Wort, dass die Wirtschaft aus der Psychologie übernommen hat: Resilienz. Dass ein Terminus gewählt wurde, der die Fähigkeit zur Krisenbewältigung ausdrückt, zeigt: Noch haben auch die Experten die Hoffnung nicht aufgegeben. Der Optimismus lebt. Immerhin. Wir dürfen gespannt sein aufs nächste Jahr.

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Armin Reins arbeitet seit vier Jahrzehnten in der Kommunikationsbranche. Er streitet jeden Tag selbst für bessere Text-Qualität in seiner eigenen eigenen Agentur REINSCLASSEN. Die Markenberatungs- und Werbeagentur mit Sitz in Hamburg, Frankfurt und Baden-Baden gehört zu den am meisten mit Awards ausgezeichneten B2B-Agenturen Deutschlands. Zu ihren Kunden gehören u.a. Vodafone, Nivea, Siemens, und Haufe-Lexware. Er hat zahllose nationale und internationale Kreativ- und Effizienzpreise gewonnen und sechs Bücher über Sprache in der Kommunikation geschrieben. Im Oktober 2020 erschien von ihm (zusammen mit Géza Czopf und Veronika Classen) „Corporate Language – das Praxisbuch“ im Verlag Hermann Schmidt.

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