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Brücken statt Mauern: Es ist Zeit für eine moderne digitale Verwaltung
Diese Nachricht Anfang August hat gesessen: Die Bundesregierung kürzt das Budget zur Verwaltungsdigitalisierung von 377 Millionen auf 3,3 Millionen. Das ist, mit Verlaub, als würde man in einem Unternehmen als Reaktion auf Absatzprobleme die Sales-Abteilung auflösen. Dabei gäbe es praxisorientierte, zukunftsweisende Ansätze.
Von Tobias Hocke
Wir erinnern uns: Die Frist zur Umsetzung des Onlinezulassungsgesetzes wurde im letzten Jahr krachend verfehlt. Von den 575 Dienstleistungen, die bis Ende 2022 bundesweit online verfügbar sein sollten, waren selbst ein halbes Jahr nach der Frist nur 22 Prozent digitalisiert.
Die Länder haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht und nun will der Bund ihnen die Nachhilfestunden streichen. Dann muss man sich bei der nächsten Prüfung über die Note 6 nicht wundern. Als Bundesvorsitzender der Wirtschaftsjunioren Deutschland und IT-Unternehmer besorgt mich diese Entwicklung. Viele unserer Mitglieder bei den Wirtschaftsjunioren beklagen die schleppende und inkonsequente Digitalisierung der deutschen Verwaltung. In einer Umfrage im Sommer 2023 gaben fast neun von zehn Mitgliedern an, in ihrem Unternehmen von den Folgen von übermäßiger Bürokratie betroffen zu sein.
Auch bei der Finanzierung der Maßnahmen ist Kreativität gefragt
Endlich den Fuß von der Bremse nehmen: Das käme dem Wirtschaftsstandort Deutschland zugute. Wer hierzulande ein Unternehmen gründet, braucht dafür bei einem reibungslosen Ablauf im Durchschnitt acht Tage. Wird eine Umsatzsteuer-ID mitbeantragt, verlängert sich die Wartezeit auf rund zwei Monate. In Estland lässt sich eine Firma in nur 18 Minuten gründen. Und das estnische Unternehmen kann von überall in der Welt aus verwaltet werden, ohne physische Dokumente: alle Unterschriften erfolgen online mittels einer e-Residency-Card oder per Smart-ID mit dem Smartphone. Das Beispiel Estland zeigt: Digitale Verwaltung kann mehr!
Der Bund sollte die Digitalisierung der Verwaltung aber nicht isoliert betrachten, sondern gemeinsam mit Ländern und Kommunen lösungsorientiert arbeiten. Die drastische Kürzung im Haushaltsbudget sendet definitiv das falsche Signal! Auch bei der Finanzierung der Maßnahmen ist Kreativität gefragt: Verwaltungsinstanzen, die lösungsorientierte und effiziente digitale Strukturen schaffen, sollten weiter unterstützt werden – aber die Mittel hierfür könnten zum Beispiel aus Sanktionen von Digitalisierungsverweigerern kommen.
„Wir brauchen nicht nur Paragrafen-Änderungen, wir brauchen einen Mindset-Shift“
Wir brauchen nicht nur Paragrafen-Änderungen, wir brauchen einen Mindset-Shift. Im InterNations Expat Index 2023 wurde Deutschland unter 52 Ländern im Bereich „getting started“ (language, administration, housing, digital life) auf den letzten Rang gewählt – noch hinter China und Kuwait! Unsere Verwaltung ist nicht nur analog, sie ist auch einfach nicht dienstleistungsorientiert. Dabei zählt der Fachkräftemangel zu den größten Sorgen deutscher Unternehmen, und die Zahl der Unternehmensgründungen geht seit über einem Jahrzehnt zurück. Für beides trägt die komplizierte und analoge Verwaltung nicht die alleinige Verantwortung, aber eine Teilschuld.
Als Wirtschaftsjunioren Deutschland haben wir uns daher auch dafür ausgesprochen, in deutschen Behörden einen Transformationsprozess zur Zweisprachigkeit zu beginnen. In den allermeisten Unternehmen der jungen Wirtschaft ist Englisch bereits zweite Betriebssprache. Es wird Zeit, dass deutsche Behörden hier gleichziehen. Die Mehrzahl hoch qualifizierter und gefragter Fachkräfte weltweit spricht Englisch, nicht Deutsch. Viele gehen deshalb, neben den angelsächsischen Ländern, lieber nach Skandinavien, Holland oder Estland. Dort wird Englisch gesprochen, auch auf dem Amt. Ausländische Gründer und Gründerinnen profitieren ebenfalls von zweisprachigen Behörden. Der Weg in die Selbständigkeit sollte in Zeiten einer globalen App Economy nicht durch Sprachbarrieren begrenzt werden.
Viele ungenutzte Potenziale
Für eine moderne Anwerbung von Fachkräften gehören alle Kontaktpunkte mit der Verwaltung auf den Prüfstand. Die Künstliche Intelligenz bietet hier viele ungenutzte Potenziale: Etwa durch Synergieeffekte mit der Transformation zur zweisprachigen Verwaltung. Denn KI-Bots benötigen keine Weiterbildung durch Englisch-Kurse. Behördenwebsites könnten zukünftig multilinguale KI-Bots integrieren. Entsprechende KI-Übersetzungstechnologien, wie beispielsweise des deutschen Unternehmens deepL, sind einfach in mehreren Sprachen abrufbar. Indem diese Bots häufig gestellte Fragen beantworten, könnte zugleich das E-Mail-Postfach des Behördenpersonals entlastet werden. Wenn parallel hierzu Prozesse in Visa-Verfahren digitalisiert und automatisiert würden, ließen sich Fachkräfte schneller als je zuvor an die Firmen vermitteln, die sie dringend benötigen.
Es wird höchste Zeit für eine moderne Dienstleistungsverwaltung, die Unternehmen und Fachkräften in Deutschland Brücken baut, anstelle von Mauern. Worauf warten wir noch?
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Tobias Hocke ist Bundesvorsitzender der Wirtschaftsjunioren Deutschland, dem größten Netzwerk junger Unternehmerinnen, Unternehmer und Führungskräfte in Deutschland unter 40 Jahren. Bereits als Teenager hat sich Hocke mit Coding-Dienstleistungen für lokale Betriebe einen Namen in seiner Heimatregion gemacht. Mit 18 Jahren gründete er schließlich sein erstes Unternehmen, die sydetion UG. Heute ist Tobias Hocke mit seiner Firma bluewire.solutions GmbH & Co. KG an vielfältigen IT-Projekten weltweit beteiligt.
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