Orientierung in Zeiten der Unsicherheit: Was gibt uns Sicherheit?

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Wir Menschen haben den Vor- und den Nachteil, die Zukunft planen zu können. Planung bedeutet zukünftiges Geschehen geistig vorwegzunehmen, also Annahmen über die Zukunft zu treffen. Wie aber soll man langfristige, strategische Entscheidungen treffen, wenn ich doch heute nicht weiß, was morgen geschieht?

Von Professor Dr. Arnold Weissman und Professor Dr. Werner Gleissner

Die letzten 25 Jahre waren geprägt von zahlreichen kritischen Ereignissen, die viele zu dem Schluss geführt haben, dass die Krise das „New Normal“ ist. Von der Ukraine über Taiwan nach Nordkorea, von Covid 19 über die Supply Chain-Krise bis zur Zins- und Schuldenkrise, Lehman, der Brexit, Energiekrise, Demographie, der Klimawandel: die Liste lässt sich nahezu beliebig verlängern. Wenn man sich dies so ansieht, könnte man glauben, die Welt steht am Abgrund.

Gleichzeitig gibt es aber sehr viele gute Nachrichten, die im medienwirksamen „Bad News are Good News“ – Modus untergehen. So steigt die Lebenserwartung der Menschen auf der ganzen Welt kontinuierlich an. Für Menschen früherer Epochen grenzt dies an ein Wunder. Auch der Wohlstand wächst: seit Ende des zweiten Weltkriegs gibt es einen enormen Anstieg des weltweiten Bruttosozialproduktes sowohl für Länder als auch für jeden Einzelnen, natürlich nur im Durchschnitt.

Immer noch gibt es zu viele Menschen, die Hunger leiden und in Armut leben – doch ihre Zahl nimmt kontinuierlich ab. Und auch wenn uns der Ukraine-Krieg zeigt, was auch im 21. Jahrhundert an Schrecken des Krieges noch möglich ist, so ist doch im Durchschnitt auch die Zahl der Kriegstoten rückläufig.

„Für getroffene oder auch nicht getroffene Entscheidungen tragen wir die Verantwortung, ob wir wollen oder nicht“

Einer stetig sinkenden Kindersterblichkeit steht eine Explosion der Werte an den Kapitalmärkten gegenüber, u.a. natürlich verursacht durch die enorme Zunahme der Geldmenge, die einen Anlagehafen finden muss.

Die Möglichkeit des Zugangs zu einer vernünftigen Schulausbildung nimmt permanent zu, einhergehend mit einem weltweiten Rückgang der Geburtenrate. Letzteres ist vor allem der erfreulich zunehmenden Schulbildung von Mädchen geschuldet.

Professor Dr. Arnold Weissman ist Professor für Unternehmensführung an der OTH Regensburg. 1987 gründete er das Beratungsunternehmen Weissman & Cie., das von der Wirtschaftswoche mit dem Best-of-Consulting-Award zur „besten Strategieberatung“ für die hohe Kompetenz und Beratungsleistung für den deutschen Mittelstand ausgezeichnet wurde

Krisenhafte Entwicklungen in einer nie dagewesenen Häufung, gleichzeitig viele positive Signale in anderen wichtigen Bereichen: da stellt sich die Frage, was wir tun können, um bei all diesen Ereignissen nicht die Orientierung zu verlieren.

Wir Menschen haben den Vor- und den Nachteil, die Zukunft planen zu können. Planung bedeutet zukünftiges Geschehen geistig vorwegzunehmen, also Annahmen über die Zukunft zu treffen. Wie aber soll man langfristige, strategische Entscheidungen treffen, wenn ich doch heute nicht weiß, was morgen geschieht?

Nun, der erste Punkt: so wie man nicht nicht kommunizieren kann (Paul Watzlawick), so kann man nicht nicht entscheiden. Auch wenn wir die Zukunft nicht kennen, ist es doch die Zeit, in der wir leben werden und das, was wir heute tun oder auch unterlassen, hat wesentlichen Einfluss darauf, wie wir leben werden. Und es bedeutet: wir treffen immer Entscheidungen. Natürlich steigt die Unsicherheit an, trotzdem bauen wir Häuser (mit langfristiger Kapitalbindung), entwickeln neue Geschäftsmodelle, Marken, die Unternehmenskultur: alles Entscheidungen oder Investitionen mit einem langfristigen Payback. Für getroffene oder auch nicht getroffene Entscheidungen tragen wir die Verantwortung, ob wir wollen oder nicht.

Es spricht viel dafür, dass sich Familien-Unternehmen neben vielen anderen großen und kleineren Veränderungen mit den folgenden Meta-Wellen beschäftigen müssen:

  • Der technologische Wandel in einer Welt, in der alles, was digitalisiert werden kann, auch digitalisiert wird (Hyper Connectivity, Künstliche Intelligenz, Augmented Reality, Virtual Reality, Smart Data): viele Unternehmen werden lernen müssen, dass sie nur dann eine Zukunft haben, wenn sie kundenzentriert, technologiebasiert und datengesteuert interagieren. Dies beinhaltet auch den Sprung von inkrementeller Innovation („Gutes besser machen“) hin zu einem völlig neuen Innovations-Denken, einer ganz neuen Perspektive und Denkhaltung! Weg vom linearen Innovieren hin zum grundlegenden Innovieren!
  • Das Management der Familie (Family Governance, Nachfolge, Corporate Governance): nur vier von hundert Familienunternehmen erreichen die vierte Generation. Und nachdem viele Familienunternehmen im deutschen Sprachraum nach dem Ende des zweiten Weltkriegs gegründet oder auch wieder gegründet wurden, sind eben viele davon heute in der zweiten oder auch dritten Nachkriegsgeneration. Und wie sagt doch der Volksmund: der Vater erstellt es, der Sohn erhält es und beim Enkel verfällt es…
  • Kapitalmarktfähigkeit (Qscore, robuste Strategie, resilientes Geschäftsmodell etc.): dies ist der Annahme geschuldet, dass kapitalmarktfähige Familienunternehmen die beste Kombination zweier unterschiedlicher Welten darstellen. Durch Normen wie Taxonomie, ESG-Konformität werden Familienunternehmen lernen müssen, sich professioneller am Kapitalmarkt zu bewegen. Die alten Finanzierungsformen werden nicht mehr ausreichen, um das Unternehmen sicher durchfinanzieren zu können.
  • ReStainability, zusammengesetzt aus Responsibility und Sustainability (Nachhaltigkeit, Verantwortung, Respekt, im Sinne der 17 Kriterien der UN-Agenda, Kreislaufwirtschaft etc.) als Treiber für profitables Wachstum. Für alle Unternehmen wird morgen gelten müssen: der schonende Umgang mit Ressourcen hat Verfassungsrang. Für Familienunternehmen wird dies ein erhebliches Umdenken erfordern: betrachtet man dort vielfach diese neuen Regelwerke als bürokratischen Ballast, den man eben erfüllen muss, um keine Sanktionen zu erleiden oder gar aus dem Wettbewerb ausgeschlossen zu werden, so werden die weitsichtigen Unternehmer die darin liegende Chance erkennen und sich dadurch positiv vom Wettbewerb absetzen, auch durch ihre Attraktivität am Arbeitsmarkt (Employer Branding)
  • Operative Exzellenz: da das strategische Oberziel in Familienunternehmen die Erhaltung der Unabhängigkeit, die „gesteigerte Überlebensfähigkeit“ ist, brauchen wir eine Balance aus den Werten Rendite, Wachstum und Risiko, um dieses Ziel nachhaltig zu erreichen. Profitables Wachstum mit vertretbarem Risiko unter jederzeitiger Sicherheit der Liquidität („Never out of Cash“) wird nur gehen, wenn das Unternehmen seine Prozesse nachhaltig effizient gestaltet (Supply Chain Management, Materialwirtschaft, Produktion, Einkauf, Connectivity, Nutzung von Verbundeffekten)

Bei all diesen Veränderungen, die branchen- und unternehmensspezifisch noch deutlich erweitert werden können, braucht es einen übergeordneten Rahmen, der Unternehmen die Richtung weist, einen Nordstern, den „overarching purpose“. Auf diesen Aspekt möchte ich im Folgenden eingehen. Wir gehen davon aus, dass Unternehmen einen übergeordneten Auftrag erfüllen sollen, den „Zweck ihrer Existenz“. Wir haben gesehen, was das Ziel eines Familienunternehmens ist: die Erhaltung des Unternehmens für die nächste Generation („Enkelsicherheit“). Deshalb ist diesen Unternehmen i.d.R. Stabilität wichtiger als Rendite und diese wichtiger als Wachstum!

Ein Unternehmen braucht einen „Lebensauftrag“

Prof. Dr. Werner Gleißner ist Vorstand der FutureValue Group AG und Honorarprofessor für Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Risikomanagement an der Technischen Universität Dresden. Er befasst sich mit wert- und risikoorientierter Unternehmensführung

Was aber ist dann der Zweck eines Familienunternehmens? Es ist schlicht die Schaffung zufriedener Kunden. Nein, nicht etwa begeisterte Kunden, denn Kunden sind begeistert, wenn sie die beste Leistung zum niedrigsten Preis bekommen. Dies mag gut für ihre Kunden sein, aber es ist nicht gut für sie und ihr Familienunternehmen. Unser Motto heißt also nicht „Alles für den Kunden“, sondern „Alles für den richtigen Kunden“. So verstanden hat auch ein Kunde ein Recht auf ein angemessenes Nein.

Ein Unternehmen braucht eine Mission, einen „Lebensauftrag“. Das Wort mittere bedeutet im Lateinischen „entsenden“. Man wird entsandt mit einem Auftrag. Was ist der zentrale Auftrag ihres Unternehmens? Auf welche Frage will ihr Unternehmen die Antwort geben? Welchen Beitrag leisten sie für eine Welt, in der sie selbst gerne leben möchten? Aber auch: was würde der Welt fehlen, wenn es ihr Unternehmen nicht gäbe? Welche wichtigen, brennenden Kundenprobleme blieben dann ungelöst? Machen wir uns nichts vor: jedes Unternehmen, jedes Produkt und auch jede Person sind ersetzbar. Sie dürfen nur nicht austauschbar sein!

Ziele und Strategie können, ja müssen sich ändern, der Leitstern bleibt. Strategien, Ziele, Business Pläne werden mit Bleistift geschrieben. Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, dann müssen auch wir uns verändern. Unser „Overarching Purpose“ aber bleibt gleich. Er hat keinen Zeit-/Raumbezug wie Ziele, die immer nach Inhalt, Ausmaß und zeitlichem Bezug operationalisiert werden müssen. Er gibt dem Unternehmen und den Menschen, die mit diesem Unternehmen arbeiten, einen tieferen Sinn. Wenn die Marke Uvex für „protecting people“ steht, wenn Fressnapf „happier pets, happier people“ lebt: dann sind dies keine Ziele, die sich je nach Lage verändern, sie sind der Grund, warum dieses Unternehmen eine Existenzberechtigung hat. Ziel sind die Kapitel ihres Buches, sie sind wichtig, denn sie setzen Handlung in Gang. Die Mission ist der sinnstiftende Auftrag, sie ist der Titel des Buches.

„Ein System, das überlebensfähig sein möchte, braucht starke Werte“

Je größer die Mission, je bedeutender der Beitrag, umso größer kann die Vision sein, die wir träumen können. Eine Vision (vom Lateinischen videre = sehen) ist ein „attraktives Bild einer möglichen Zukunft“. Was der Mensch sich vorstellen kann, kann der Mensch auch erreichen! Natürlich gilt auch der Umkehrsatz: was der Mensch sich nicht vorstellen kann, kann er auch nicht erreichen! Walt Disney hat dies auf den Punkt gebracht: if you can dream it, you can do it!

Wenn die Mission, der „Lebensauftrag“, den Sinn eines Unternehmens definiert und die Vision das gemeinsame Zielbild, wozu braucht es dann Werte? Auch dieses wichtige Wort lässt sich aus dem Lateinischen ableiten und stammt von dem Wort valere (= stark sein, kräftig sein) ab. Schon die alten Lateiner wussten: ein System, das überlebensfähig sein möchte, braucht starke Werte. Menschen mit klaren Werten tun sich leicht mit dem Treffen von Entscheidungen, sie helfen Ihnen, zu „bewerten“. Menschen mit klaren Werten treffen Entscheidungen rasch und sie bleiben lange dabei. Und nachdem die meisten Entscheidungen, die wir treffen, unbewusste Entscheidungen sind, treffen wir sie aufgrund unserer Werte.

Für zukunftsfähige Familienunternehmen ist eine starke, wertebasierte Führung damit unabdingbar. Glaubwürdigkeit, Authentizität, Charisma und Vertrauen in einer Organisation hängen davon ab, wie stabil die Werte, die Kultur im Unternehmen ist und gelebt wird. Von Peter Drucker stammt der Satz: Culture eats strategy for breakfast. Ich bin sich sicher: die Kultur verspeist auch die Organisation zum Frühstück. Die Unternehmenskultur, die „Summe der Selbstverständlichkeiten ihres Unternehmens“, die Art und Weise, wie wir jeden Tag miteinander umgehen, ist von zentraler Bedeutung für den Erfolg ihres Unternehmens. Sie hat nur einen großen Engpass: sie lässt sich nicht managen. Kultur zu managen entspricht dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln.

„Transformation kann nur gelingen, wenn ich mich selbst transformiere“

Kultur entsteht aus dem vorgelebten Werten und Verhaltensweisen von Führungskräften. Wie sagt das Sprichwort doch so schön: wie der Herr, so sein Gescherr…

Verhalten prägt Gewohnheiten, prägt die Kultur und die gesamte Organisation. Wenn ich also die Organisation den sich immer schneller verändernden Rahmenbedingungen anpassen möchte, muss sich das Mindset, das Bewusstsein ihrer Führungskräfte und von Ihnen selbst verändern. Perception is everything!!! Nur aus einer veränderten Wahrnehmung, einem veränderten Bewusstsein ändert sich die Haltung, die Einstellungen, die Gewohnheiten, das Verhalten und am Ende die Ergebnisse. Alles beginnt bei mir! Wenn die VUCA/BANI-Welt von uns und unseren Unternehmen einen Formwechsel (= Trans-Formation) erfordert, so wird dies nur gelingen, wenn ich mich selbst transformiere.

Die natürliche Reaktion auf Veränderung ist Widerstand

Wirkliche Änderung, das Verlassen von Komfortzonen und Sicherheitsräumen, ist uns Menschen nicht wirklich in die Wiege gelegt. Über Jahrhunderte war Veränderung mit Energieeinsatz und Gefahren verbunden. Dies haben wir so tief in uns verankert, dass die natürliche Reaktion auf Veränderung Widerstand ist (Resistance to Change). Wirkliche Veränderung kommt nur aus zwei Gründen: Lust oder Leid. Der Mensch will Lust gewinnen und Schmerz vermeiden. Ganz offensichtlich kommt in den meisten Unternehmen die Veränderung eher aus dem Leidensdruck als aus der tiefen inneren Freude, etwas Neues zu schaffen.

Auch hier hatten die Lateiner schon die Antwort: Fata volentem ducunt, nolentem trahunt („den Glücklichen führt das Schicksal den Unglücklichen zieht es“). Was auch immer ihr Motiv ist, Lust oder Leid: gehen müssen wir den Weg sowieso. Die Frage ist nur, ob wir wie Kälbchen am Strick gezogen werden oder mutig und selbstbestimmt voranschreiten.

Dies ist der Grund, warum nicht nur Unternehmen eine Leit-Bild brauchen: am Ende braucht es jeder Mensch. Denn: Erfolg folgt, wenn man seiner Bestimmung folgt.

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