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FDP-Krise: „Deutschland bräuchte auch mal eine Kettensäge“
Nach dem Rücktritt des Bundesgeschäftsführers und des Generalsekretärs ist die Zukunft der FDP ungewiss. Rainer Zitelmann zur Frage, wie eine Repositionierung aussehen könnte.
DDW-Kolumnist Dr. Dr. Rainer Zitelmann, Historiker, Soziologe und international bekannter Beststellerautor, ist seit 30 Jahren FDP-Mitglied (Bild oben bei der Ehrung), hat aber die eigene Partei stets kritisch begleitet, wie er vor drei Monaten in einem Interview mit DDW erklärte. Heute fragen wir den Liberalen zur aktuellen Situation in seiner Partei und die Zukunft der FDP.
Herr Zitelmann, die FDP ist in einer schweren Krise, was hat Ihre Partei falsch gemacht?
Rainer Zitelmann: Wir sind viel zu lange in der Ampel geblieben und die Art, wie wir sie dann beendet haben, war auch falsch. Richtig wäre es gewesen, die Ampel spätestens beim Heizungsgesetz, beim Kernkraft-Aus oder beim Verbrenner-Aus zu verlassen. Das waren drei Themen, wo die Position der FDP mit der der Mehrheit der Bevölkerung übereinstimmte. Stellen Sie sich vor, wie einfach ein Wahlkampf für die FDP gewesen wäre, wenn die Ampel wegen des Heizungsgesetzes geplatzt wäre und SPD und GRÜNE dann gesagt hätten: „Oh, die böse FDP hat unser wundervolles Heizungsgesetz torpediert.“ Das wäre eine viel bessere Ausgangsposition gewesen, als wir sie jetzt haben. Ich habe damals einige Bundestagsabgeordnete angerufen und versucht, sie davon zu überzeugen, aber leider ohne Erfolg. Diese Chance hat man verpasst…
…und dann haben offenbar Leute in Ihrer Partei ein „D-Day-Papier“ geschrieben, das der Partei jetzt um die Ohren fliegt und für Empörung sorgt.
Das Grundproblem der FDP ist seit Jahren, dass sie zu ängstlich ist. Sie war erst zu ängstlich, die Ampel zu verlassen und hat dann aus Angst, dass die Medien und die anderen Parteien über sie herfallen, eine künstliche Exit-Dramaturgie entwickelt, in der man sich verfangen hat.
„Ich bedaure sehr, dass Bijan Djir-Sarai zurückgetreten ist. Er ist ein klassisch Liberaler, von solchen Leuten bräuchten wir mehr“
Wie meinen Sie das?
Statt einfach geradeheraus zu sagen: „Wir haben es lange genug versucht und zu lange mitgemacht, aber jetzt geht es nicht mehr, wir erlösen Deutschland von der Ampel“ wollte man einen Bruch provozieren und hat dafür komplizierte Strategien entwickelt, in denen man sich verhedderte und die nicht aufgingen. Am Ende hat durch einen Verrat – vielleicht von Volker Wissing – die SPD vorzeitig erfahren, dass die FDP den Stecker ziehen will und ist ihr dann mit dem Rauswurf von Lindner zuvorgekommen. Scholz hat gehandelt, wie ein 16jähriger Teenager, der erfährt, dass seine Freundin am nächsten Tag Schluss machen will und ihr dann zuvorkommt, damit er dann selbst als der Starke dasteht. Kindisch, so wie alles beim Doppel-Wumms-Scholz mit seinen lächerlichen Sprüchen vom „unterhaken“.
War es richtig, dass der Bundesgeschäftsführer und der Generalsekretär zurückgetreten sind?
Ich bedaure sehr, dass Bijan Djir-Sarai zurückgetreten ist, denn er steht für all das, warum Menschen wie ich auch in der FDP sind. Er ist ein klassischer Liberaler, von solchen Leuten bräuchten wir mehr. Er hat die Ampel schon lange kritisch gesehen und zum Beispiel eine radikale Kehrtwende in der Migrationspolitik verlangt. Ich denke, da gibt es manche Kräfte aus dem eher linken Lager in der FDP, die sich schon lange über ihn geärgert haben und die seinen Rücktritt dann ja auch zuerst gefordert haben.
Sie meinen die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann?
Zum Beispiel. Ich finde, sie sollte sich eher mal selbst überprüfen, ob das liberal ist, was sie so macht. Sie nennt sich Unternehmerin, verdient aber ihr Geld mit dem Anschwärz-Portal „So done“, also dass Leute angeschwärzt werden, die im Internet Politiker beleidigen…
Ist es nicht richtig, gegen „Hass und Hetze“ in Social Media vorzugehen?
Also wenn mich zum Beispiel jemand als Schwachkopf bezeichnen würde, dann würde ich ihn nicht anzeigen, so wie das etwa ein Herr Habeck gemacht hat. Ich würde mir denken: Was du da sagst, hat mit mir absolut nichts zu tun, sondern sagt eine Menge über dich selbst. Punkt. Ich habe noch nie jemanden angezeigt, weil er mich beleidigt. Im Übrigen gehört auch die Freiheit, Unsinn zu reden zu einer freien Gesellschaft.
Dazu hatten Sie gerade auf X ja auch einen kleinen Disput mit Strack-Zimmermann. Sie haben auf X auch beklagt, dass kluge liberale Frauen in der FDP derzeit einen schweren Stand haben. Wen meinen Sie konkret?
Nur drei Beispiele: Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein aus Hamburg war eine der wichtigsten FDP-Politikerinnen in Hamburg. Bei der Wahl 2020 scheiterte die FDP zwar an der Fünf-Prozent-Hürde. Von Treuenfels gewann aber ein Direktmandat im Wahlkreis Blankenese und schaffte so als damals einzige FDP-Politikerin den Sprung in die Bürgerschaft. Leider ist sie aus Frustration über die Politik der FDP in der Ampel dann im Juli zur CDU gewechselt. Katja Adler ist ein weiteres Beispiel: Sie ist Bundestagsabgeordnete aus Hessen und hat gegen viele linke Ampel-Projekte gestimmt, ist ihrem liberalen Gewissen gefolgt, statt Fraktions- und Parteidisziplin. Zuletzt hat sie ein tolles Buch geschrieben, „Rolle rückwärts DDR?“ Die Partei hat sie jetzt mit einem aussichtslosen Listenplatz „belohnt“, der bedeutet, dass selbst wenn die FDP den Einzug in den nächsten Bundestag schaffen sollte, sie nicht mehr dabei sein wird. Auch Linda Teuteberg, eine klassisch-Liberalen, wird das Leben schwergemacht. Ich denke, jede dieser drei Frauen hätte eine wichtige Rolle weit vorne in der FDP spielen sollen.
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Lieber ein Liberaler mit zwei Doktortiteln und zwei tollen Bizeps als eine Politikerin, die Tausende Anzeigen gegen Bürger raushaut, von denen sie sich beleidigt fühlt @PhilipPlickert https://t.co/8qInzF2mI0
— Dr. Dr. Rainer Zitelmann (@RZitelmann) November 29, 2024
Hat die FDP überhaupt noch eine Zukunft?
Wenn sie einfach so weitermacht wie bisher, sehe ich schwarz. Sie wird dann entweder den Einzug in den Bundestag verpassen, oder mit Ach und Krach die 5-Prozent-Hürde nehmen, was auch nicht viel besser ist.
Und was sollte die Partei jetzt tun?
Was tue ich, wenn ich etwas verbockt habe? Ich bekenne mich zuerst mal zu meinen Fehlern und bin selbstkritisch. Wie will ich sonst Glaubwürdigkeit zurückgewinnen?
Christian Lindner und andere haben ja bekannt, dass im Zusammenhang mit dem sogenannten D-Day-Papier Fehler begangen wurden.
Das meine ich nicht. Nicht die Vorbereitung des Ausstiegs war ein Fehler, sondern dass das viel zu spät geschah. Wir haben etwa zwei Drittel unserer Wähler verloren. Die sind doch nicht zu den Grünen, zur Linken oder zur SPD, die sind überwiegend zu CDU/CSU und AfD. Was sagt uns das? Aus deren Sicht ist die FDP zu links. Wir können die nicht wieder gewinnen, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher.
„Auch das ist etwas, was wir von Argentinien lernen können: Bevor eine politische Wende kommt, muss das im geistigen Bereich vorbereitet werden“
Sondern?
Wir müssen diesen Menschen ein Signal geben: „Wir haben verstanden.“ Wir müssen erstmal unsere Fehler aufarbeiten. Dazu gehört, dass wir schon unter Merkel beim Atomausstieg mitgemacht haben. Dazu gehört, dass wir versucht haben, das Heizungsgesetz zu „verbessern“, statt es abzulehnen. Dazu gehört, dass wir uns nicht konsequent gegen das planwirtschaftliche Verbrenner-Aus gestellt haben. Insgesamt muss die FDP zurück zu klassisch-liberalen Positionen. Und vor allem müssen wir mutiger werden. Was war das für ein Trauerspiel, nachdem Thomas Kemmerich in Thüringen zum Ministerpräsident gewählt wurde?! Alles nur von Angst getrieben. Wenn ARD und ZDF die FDP bekämpfen, müssen wir uns nicht fragen, was wir falsch gemacht haben, sondern uns darin bestätigt sehen, dass wir offenbar etwas richtig gemacht haben.
Allein mit Selbstkritik gewinnt man keine Wähler.
Das wäre nur der erste Schritt. Der zweite Schritt müsste eine konsequente Repositionierung sein. Motto: Mehr Milei wagen. Schauen Sie, ich selbst war dieses Jahr, letztes Jahr und vorletztes Jahr in Argentinien und habe die Milei-Bewegung aus der Nähe studiert und in meinem Buch „Weltreise eines Kapitalisten“ auch darüber geschrieben. Hat das jemand aus der FDP-Führung gemacht? Nicht das ich wüsste. Dabei könnte eine Partei, die in den Umfragen bei 3-5% steht, vielleicht etwas von jemand lernen, hinter dem 55% der Bevölkerung stehen. Und ich bin sicher, Deutschland bräuchte auch mal eine Kettensäge, um den aufgeblähten Staat zurechtzustutzen.
Rainer Zitelmann bei WELT TV:
„Die FDP hätte die Ampel eher verlassen müssen“
Hier zum Video
Halten Sie es für wahrscheinlich, dass die FDP diese Lehren zieht, vielleicht nach einer Wahlniederlage?
Aus jetziger Sicht: Leider nicht.
Was erwarten Sie nach den Wahlen?
Ich erwarte das, wovor Lindner zu Recht gewarnt hat: Eine „Ampel-light“, also eine Koalition der Union mit SPD oder Grünen. Eine solche Koalition wird aber die dringend notwendigen Reformen nicht bewerkstelligen. Wir müssten in Deutschland zum Beispiel sofort das Ende der sogenannten Energie- und Mobilitätswende verkünden. Das Bürgergeld müsste abgeschafft werden. In der Migration müssten wir dem Vorbild von Dänemark oder Schweden folgen. Glauben Sie im Ernst, dass eine neue Regierung eine solche Politik betreiben wird? Ich sehe das nicht, egal wie die Wahl ausgeht.
Kluge Ratschläge gibt es immer viele, das kennen wir ja von der Fußball-Nationalmannschaft. Warum gehen Sie nicht selbst in die Politik?
Ich glaube, dass ich mehr bewegen kann mit meinen Büchern, Filmen, Artikeln, Vorträgen usw. Ich gebe fast jeden Tag Interviews, weltweit, und erreiche Millionen Menschen. Auch das ist etwas, was wir von Argentinien lernen können: Bevor eine politische Wende kommt, muss das im geistigen Bereich vorbereitet werden. Ohne die jahrelange Arbeit von libertären Thinktanks in Argentinien, die ich sehr gut kenne, wäre Milei nie möglich geworden. Erst muss der Boden vorbereitet und gesät werden, bevor irgendwann ein Politiker ernten kann. So weit sind wir in Deutschland noch lange nicht. Leider.
Nachdem Djir-Sarai zurückgetreten ist, wer wäre der richtige Generalsekretär?
Frank Schäffler oder Oliver Luksic. Nur solche Leute können Wähler von der AfD oder der CDU zurückholen. Luksic hat jüngst erst bewiesen, dass er sogar seine eigenen Interessen hinter seine Prinzipien stellt: Als Volker Wissing sich entschied, Verkehrsminister zu bleiben und die FDP zu verlassen, gab Luksic seinen Job als Staatssekretär freiwillig auf. Wäre er nur bis Dezember geblieben, hätte er eine Million Euro mehr gehabt wegen Ansprüchen, die so verfallen sind. Ich finde, vor solchen Leuten muss man unbedingt Respekt haben.
Glauben Sie, dass die FDP Ihrer Empfehlung folgen wird?
Nein. Die Partei ist auch früher nicht meinen Empfehlungen gefolgt. Aber ich weiß, dass es sehr viele Mitglieder gibt, die ähnlich denken wie ich, auch in der Bundestagsfraktion und überraschenderweise übrigens auch und gerade bei den Mitgliedern der Jungen Liberalen. Mein Buch „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ ist für manche dort fast so was wie eine Bibel (lacht).
Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe – und war auch als Unternehmer und Investor erfolgreich. Er hat 29 Bücher geschrieben und herausgegeben, die in über 30 Sprachen übersetzt wurden (zuletzt „Weltreise eines Kapitalisten„, „Der Aufstieg des Drachen und des weißen Adlers: Wie Nationen der Armut entkommen„, „Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten„). In den vergangenen Jahren schrieb er Artikel oder gab Interviews in führenden Medien wie Wall Street Journal, Times, Le Monde oder Corriere della Sera. Seit kurzem kann auch eine Master-Class „Finanzielle Freiheit – Schluss mit der Durchschnittsexistenz“ belegt werden.
Ich bin ein GROSSER Fan von Dr. Dr. Rainer Zitelmann, habe fast seine Bücher gelesen und kann über 90 Prozent zustimmen zu dem, was er sagt oder schreibt! Ich habe immer FDP gewählt, seit Christian Lindner die Partei nach dem Desaster von 2013 übernommen hat zusammen mit Wolfgang Kubicki. Wenn die FDP jetzt die Ampel mich verlassen hätte (wenn auch VIEL zu spät), hätte ich bei den Bundestags- oder Landtagswahlen CDU gewählt oder wäre ein Nichtwähler geworden !!! Ich darf seit 1980 wählen, das wäre das allererste mal gewesen, dass ich BEWUSST nicht gewählt hätte. Wenn die FDP das macht was Herr Dr. Zitelmann ihr vorschlägt und zwar GLAUBHAFT und ehrlich mit sich selbst, würde ich wieder FDP wählen, ansonsten bekommt erstmal Helmut Kohl in den 80ern und frühen 90ern die CDU meine Stimme. Darüber hinaus hoffe ich, dass Olaf Scholz in den politischen Ruhestand geschickt wird, seine Zeit ist abgelaufen, genau wie die von Helmut Kohl 1998, der von Gerhard Schröder abgelöst wurde. Das war das letzte Mal dass ich bewusst SPD gewählt habe, trotz Rot-Grün als Konsequenz.
Vielen Dank für dieses tolle und ehrliche Interview Herr Dr. Dr. Zitelmann, Sie sagen genau das, was Sie auch in Ihren Büchern schreiben, frei aus der Seele heraus und dass als FDP- Mitglied. Wenn mehr Menschen wie Sie in der Partei was zu sagen, würde die FDP nicht bei 3 bis 4 Prozent stehen, sondern da wo sie 2017 und auch 2021 stand, also klar zweistellig ! Wenn sich das in den weniger als 3 Monaten bis zur Wahl nicht ändert, wird sich das Desaster von 2013 wiederholen, und einen Ersatz für Christian Lindner kann ich erkennen, der auch nur ansatzweise sein Charisma und seine rhetorischen Fähigkeiten hat, auch wenn letztere durch den unnötigen Ampel-Stress der letzten Monate und Jahre schon nachgelassen hat. Also gilt am 23. Februar: ALL IN – ALLES ODR NICHTS !!!