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Wer wachsen und global mithalten will, muss in China dabei sein
Deutsche Großunternehmen betraten bereits im 19. Jahrhundert den chinesischen Markt. Heute besitzt China sowohl hinsichtlich Größe als auch Wachstum eine herausragende Bedeutung für deutsche global agierende Unternehmen. Das erfordert umfassende Aktivitäten, nicht nur Produktion, sondern auch Forschung und Entwicklung vor Ort in China.
Von Professor Dr. Dr. Hermann Simon
China besitzt sowohl hinsichtlich Größe als auch Wachstum eine herausragende Bedeutung für deutsche global agierende Unternehmen und Hidden Champions. Die chinesische Bevölkerung macht 18 Prozent der Weltbevölkerung aus, 16 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung entfallen auf China. Das chinesische Pro-Kopf-Einkommen rangiert somit leicht unter dem globalen Durchschnitt, was sich allerdings aufgrund des hohen Wachstums schnell ändern dürfte. Wachstum war nicht nur in den vergangenen Jahrzehnten der Attraktivitätsfaktor Chinas, sondern wird es auf lange Zeit bleiben. Bis 2030 kommen 31 Prozent des globalen Wirtschaftswachstums aus China. Bei einzelnen Märkten sind die globalen Anteile wesentlich höher. So entfallen 54 Prozent des weltweiten Schweinefleischkonsums auf China. Wer wachsen und global mithalten will, muss in China dabei sein. Genau wie Amerika ist China für die Hidden Champions unverzichtbar. Während sich die politischen Systeme grundlegend unterscheiden, weisen die Gegebenheiten der Marktbearbeitung in beiden Riesenmärkten Ähnlichkeiten auf. Dazu zählen ein einheitliches Staatsgebiet, Englisch beziehungsweise Mandarin als überall verstandene Sprache, landesweite Regulierung und Standards, durchgängige Verkehrs- und Logistiksysteme sowie zunehmend auch nationale Distributionssysteme. Andererseits stellt die schiere Größe Chinas, noch stärker als diejenige Amerikas, sogar Großunternehmen vor massive Herausforderungen. So erklärte selbst Toyota, dass man 15 Jahre benötige, in China ein flächendeckendes Händlernetz aufzubauen. Für Mittelständler ist diese Aufgabe, etwa beim Aufbau von Servicenetzen, ungleich schwieriger. Das gilt in organisatorischer, personeller und finanzieller Hinsicht.
„Mehr als die Hälfte aller deutschen Hidden Champions, nämlich 53 Prozent, sind mit eigenen Gesellschaften in China vertreten. Rund 60 Prozent davon betreiben eine lokale Produktion“
Pioniere im chinesischen Markt
Deutsche Großunternehmen betraten bereits im 19. Jahrhundert den chinesischen Markt. Siemens ist seit 1872 in China aktiv. Bayer begann 1882 mit dem Verkauf von Farben. Die chinesische Stadt Qingdao war von 1898 bis 1914 Teil des Deutschen Reiches und Standort zahlreicher hanseatischer Handelsunternehmen. Carl Zeiss gründete 1975, noch vor der Öffnung Chinas durch Deng Xiao Ping, eine chinesische Filiale. Nach der Öffnung trat Liebherr in eine Kooperation mit der seinerzeitigen Qingdao Refrigerator Plant ein. Die Chinesen sprechen Liebherr als »Libo-haier« aus. Hieraus entstand der Name Haier – heute der größte Hausgerätehersteller der Welt. Eine Pionierrolle übernahm Volkswagen, indem es in Shanghai ab 1984 unter der Leitung von Martin Posth eine Produktion aufbaute, die die Ansiedlung vieler Zulieferer nach sich zog. Die größte Ansammlung deutscher Unternehmen findet sich in der etwa eine Stunde von Shanghai entfernten Stadt Taicang. Der erste deutsche Hidden Champion, der sich in Taicang 1993 ansiedelte, war Kern-Liebers, mit einem Weltmarktanteil von 80 Prozent die globale Nummer 1 bei Sicherheitsgurtfedern. Diesem Pionier folgten bis heute mehr als 300 deutsche Firmen, darunter 52 Hidden Champions. Taicang bezeichnet sich selbst als »zweite Heimat« der Deutschen und hält ein dazu passendes Angebot an Schulen, Kultur und Dienstleistern bereit. Man kann von einem auf den Bedarf deutscher Mittelständler zugeschnittenen »Ökosystem« sprechen. Zahlreiche weitere Städte in China, darunter viele neu entstandene Industrieparks, haben dieses Modell imitiert und betreiben ein auf deutsche Hidden Champions ausgerichtetes Marketing. Da wir mit Simon-Kucher einige Industrieparks bei diesen Aktivitäten unterstützt haben, kann ich die Professionalität des Vorgehens beurteilen. Die Erfolge blieben angesichts der Attraktivität des chinesischen Marktes nicht aus.
Deutsche Hidden Champions in China
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Heute sind etwa 8500 deutsche Unternehmen in China aktiv. Sie betreiben mehr als 2000 Fabriken, die in aller Regel als Greenfield-Projekte, also nicht durch Übernahme bestehender Kapazitäten, entstanden sind. Mehr als die Hälfte aller deutschen Hidden Champions, nämlich 53 Prozent, sind mit eigenen Gesellschaften in China vertreten. Rund 60 Prozent davon betreiben eine lokale Produktion. Vertriebs- und Servicegesellschaften machen die restlichen 40 Prozent aus. Die Bedeutung der chinesischen Gesellschaften lässt sich eindrücklich durch Mitarbeiterzahlen belegen. Hella, seit 1982 in China, beschäftigt dort 5200 Mitarbeiter (14 Prozent der Gesamtbelegschaft), beim Schiebedach-Hidden-Champion Webasto sind es 3500 (25 Prozent), bei Carl Zeiss 3200 (10 Prozent), bei Heraeus 2750 (18 Prozent), beim Wirkmaschinenbauer Karl Mayer 800 (25 Prozent) und beim Messtechnik-Champion Jumo 450 (19 Prozent). Arno Gärtner, CEO der Karl Mayer-Gruppe, sagt, »dass der Erfolg von Karl Mayer in den letzten 15 Jahren maßgeblich von Karl Mayer (China) bestimmt wurde.« Solche und ähnliche Pioniere haben von ihren frühen Markteintritten in zweifacher Hinsicht profitiert. Zum einen ist China für viele dieser Firmen zum wichtigsten Absatzmarkt geworden. Aixtron, Weltmarktführer bei Anlagen zur Herstellung von Verbindungshalbleitern, erzielt 46 Prozent seines Umsatzes in China, bei Webasto sind es mit 35 Prozent fast doppelt so viel wie in Amerika mit 18 Prozent. Zum Zweiten hat China als bedeutender Produktionsstandort zur Weltmarktführerschaft der Hidden Champions beigetragen.
Wo China Spitze ist
Ich bin überzeugt davon, dass man die Dinge dort tun muss, wo sie am besten erledigt werden können. Die Frage stellt sich, auf welchen Gebieten China führend ist und was China am besten kann. Diese Frage gilt gleichermaßen für reife Industrien wie für Zukunftsbranchen. Ein Beispiel für eine reife Industrie ist der Kohlebergbau. In Deutschland wird Kohle nicht mehr Untertage abgebaut, und die Zeit des Braunkohlenabbaus läuft ebenfalls ab. In China hingegen spielt Kohlebergbau eine sehr wichtige Rolle. Wenn es in Deutschland keine Kunden mehr gibt, wird der Standort für einen Bergbauzulieferer problematisch. Konsequenterweise hat Schenck Process, Weltmarktführer im Bereich Mess- und Verfahrenstechnik, seine Bergbauabteilung nach Peking verlegt. SMT Scharf, Weltmarktführer bei Monorails für den Untertagebau, konnte den Niedergang des europäischen Geschäftes durch starke Zuwächse in China kompensieren und ist dort mit drei Gesellschaften vertreten. Oliver Hermes, Vorstandsvorsitzender und CEO des Pumpen-Hidden-Champions Wilo, ist überzeugt, dass Asien im digitalen Marketing führend sein wird. Konsequenterweise hat Wilo sein Kompetenzzentrum für digitales Marketing in China angesiedelt.
„Die Prioritäten Chinas liegen genau auf den Branchen, in denen die USA und Europa stark sind und ihre Vorherrschaft verteidigen wollen. Insofern wird »Made in China 2025« durchaus als Kampfansage interpretiert“
Welches sind die Zukunftsbranchen in China, mit deren Unternehmen die Hidden Champions als Lieferant oder Kooperationspartner ins Geschäft kommen sollten? Eine Antwort auf diese Frage gibt die im Jahre 2015 von der chinesischen Regierung gestartete Initiative »Made in China 2025«. Dort sind zehn Prioritätssektoren genannt, in denen China eine weltführende Rolle anstrebt: (1) Maschinen für die Landwirtschaft, (2) Schiffbau und Meerestechnik, (3) Energieeinsparung und Elektromobilität, (4) Informations- und Kommunikationstechnologien der neuen Generation, (5) High-End gesteuerte Werkzeugmaschinensysteme und Robotertechnologie, (6) Elektrizitätsanlagen, (7) Anlagen für Luft- und Raumfahrttechnik, (8) neue Werkstoffe und Materialien, (9) moderne Anlagen für den Schienenverkehr und (10) Biomedizin und High-Performance Medizingerät.
Die Prioritäten liegen genau auf den Branchen, in denen die USA und Europa stark sind und ihre Vorherrschaft verteidigen wollen. Insofern wird »Made in China 2025« durchaus als Kampfansage interpretiert und erklärt einen Teil der westlichen Reaktionen. Schon heute ist China in zahlreichen Sektoren führend. Jedes zweite Elektroauto fährt dort. In China werden 80 Prozent aller Autobatterien und 70 Prozent aller Solarpanels produziert. An der Spitze liegt China in Teilen der Informations- und Kommunikationstechnologie (zum Beispiel bei künstlicher Intelligenz). Hingegen wird der Aufholprozess bei Luft- und Raumfahrt andauern.
Innovation in China
In China werden mehr als eine Million Patente pro Jahr angemeldet, das schließt sogenannte Utility Patente ein. Aussagekräftiger sind die Patentanmeldungen chinesischen Ursprungs in Europa und USA. Man beachte, dass die absoluten Zahlen für USA etwa um den Faktor vier höher sind. Die Wachstumsverläufe der chinesischen Patentanmeldungen sind hingegen in beiden Regionen ähnlich spektakulär. Die Zahlen belegen nachdrücklich, dass die Chinesen in Sachen Innovation auf dem Vormarsch sind. Umso wichtiger ist es, durch Einbindung in die chinesischen Ökosysteme an der chinesischen Innovationskompetenz zu partizipieren. Das erfordert umfassende Aktivitäten, nicht nur Produktion, sondern auch Forschung und Entwicklung vor Ort in China. Die Zusammenarbeit mit chinesischen Universitäten gehört dazu. Nur so bleibt man Weltklasse.
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Hermann Simon ist international gefragter Managementvordenker, erfolgreicher Unternehmer und Pricing-Spezialist. Als Entdecker der „Hidden Champions“, der unbekannten Weltmarktführer, hat er in wenigen Jahrzehnten selbst die international erfolgreichste deutsche Beratung aufgebaut: Simon-Kucher & Partners mit Sitz in Bonn ist heute der Weltmarktführer für Preismanagement.
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