
Wachsen in der Rezession? So kann’s gelingen
Das Gespenst der Rezession geht um in Deutschland. Was bedeutet das für ambitionierte Wachstumsziele von Unternehmen? Professor Dr. Guido Quelle, Geschäftsführender Gesellschafter der Mandat Managementberatung GmbH, gilt als einer der renommiertesten Wachstumsberater und hat Ratschläge.
Herr Professor Quelle, ist unternehmerisches Wachstum auch in einem rezessiven gesamtwirtschaftlichen Umfeld möglich?
Zunächst einmal müssen wir Obacht geben, dass wir uns nicht schlechter reden, als wir sind. Viele sind schnell mit dem bösen „R-Wort“, Rezession, zur Stelle, man sollte sich aber nicht auf interessierte Laien, sondern lieber auf echte Experten verlassen. Wenn unsere führenden Ökonomen noch vorsichtig mit dem Begriff umgehen und für 2019 und 2020 mit einem Wachstum von etwa 0,6 Prozent ausgehen, dann ist das eine Enttäuschung, aber keine Rezession. Wir verzeichnen ein sich abschwächendes Wachstum.
Natürlich können Unternehmen auch wachstumsschwächeren Phasen oder gar in rezessiven Phasen wachsen. Sicher sind einige Branchen konjunkturanfälliger als andere, aber grundsätzlich gilt auch in einer konjunkturellen Delle, dass gesundes profitables Wachstum von innen kommt, also aus dem eigenen Unternehmen heraus, nicht von außen stimuliert werden muss. Wir erkennen dies regelhaft daran, dass sich Unternehmen ähnlicher Größe in der gleichen Branche völlig unterschiedlich entwickeln. Die Konjunktur ist aber für alle gleich. Was also, außer der Tatsache, dass Wachstum von innen kommt, sollte der Grund für den Unterschied sein? Das Unternehmen bestimmt durch die Attraktivität der Produkte und Leistungen und durch die Beziehung zu seinen Kunden selbst, wie stark es auch in konjunkturell schwächeren Zeiten ist.
Wie sollten Unternehmen reagieren?
Es ist immer besser, präventiv zu agieren, statt auf eine konjunkturelle Abkühlung reagieren zu müssen. Diejenigen Unternehmen, die sich im Boom kein Fettpolster anlegen, sondern schlank bleiben, wobei es einen bedeutenden Unterschied gibt zwischen schlank und mager, sind im Abschwung immer besser aufgestellt, als diejenigen Unternehmen, die erst auf die neue konjunkturelle Situation reagieren. Gesundes profitables Wachstum zu schaffen bedeutet, dass in guten Zeiten vorgesorgt wird. Stellt ein Unternehmen nun fest, dass es für eine mögliche stärkere konjunkturelle Abkühlung nicht gut gerüstet ist, wird es Zeit, an die Effizienzpotenziale heranzugehen. Abläufe, Organisationsstrukturen, alles muss auf den Prüfstand, will man nicht irgendwann zwangsweise restrukturieren müssen.
Im Einzelnen muss in den verschiedenen Branchen differenziert gehandelt werden. In der Baubranche und den baunahen Bereichen zum Beispiel muss besonders aufgepasst werden, denn hier ist man in einer Verteilmentalität angelangt. Ressourcen sind knapp und es werden Fantasiepreise aufgerufen. Aber auch im Einzelhandel gilt es, nicht einfach Ware zu verteilen, weil der Binnenkonsum noch ganz ordentlich läuft, sondern sich darauf einzustellen, besondere Angebote für Kunden zu schmieden. Über die Automobilbranche wollen wir hier noch gar nicht reden.
Besteht auch die Gefahr einer “self-fulfilling prophecy”, und was kann man gegen Fatalismus in den Teams und speziell dem Vertrieb tun?
Selbstverständlich besteht diese Gefahr und sie ist nicht einmal gering. Reden wir nur hinreichend häufig etwas Negatives herbei, wird es irgendwann eintreten, denn wir stellen unser Verhalten darauf ein und viele wollen einfach unterbewusst Recht haben. In den von uns betreuten Wachstumsinitiativen achten wir stets darauf, nicht nur über Misserfolge zu sprechen, also herauszufinden, warum etwas nicht funktioniert hat, sondern vor allem darauf zu achten, warum etwas gut geklappt hat. Was sind regelhafte Erfolgsmuster, was müssen wir verstärken? Sie werden kaum glauben, wie schwer dies in Unternehmen fällt, vor allem übrigens im Vertrieb.
Der Vertrieb sollte jetzt unbedingt, wenn das noch nicht geschehen ist, seine Hausaufgaben machen und gezielt mit seinen Kunden über die kommenden Zeiten sprechen. Wir erleben immer wieder, dass auch im Vertrieb zu spät reagiert wird, ganz nach dem Motto: Es geht uns doch gut wo ist das Problem? Ein „Weiter so“ ist aber schon im Aufschwung keine gute Idee, im konjunkturellen Abschwung überhaupt nicht. Der Erfolg von heute ist kein Garant für morgen, weil er das Resultat von gestern ist. Vertriebseinheiten sind diejenigen Einheiten, die ihr Handeln am deutlichsten ändern müssen, denn hier wird über Erfolg und Misserfolg entschieden, nicht in der Verwaltung.
Sie sagen in einem Ihrer Beiträge im Lexikon des Chefwissens, die Situation eines Abwärtstrends beim Umsatz sei sogar die strategisch einfachste für die Unternehmensführung. Warum?
Im starken Aufschwung muss die Unternehmensführung unglaublich für additive Veränderungen werben, weil es ja bestens läuft und oft keinerlei Anlass für präventive Veränderungen gesehen wird. In der Stagnationsphase muss die Führung stark für Veränderungen werben, weil die Organisation in eine gewisse Starre gefallen ist und sich auf das Verteidigen des Erreichten beschränkt, hier regiert die Sorge vor Verlust von Bestand. Im Abschwung muss man als Unternehmenslenker keine großen Reden schwingen: Die Zahlen sind schlecht, die weniger werdenden Aufträge kann jeder sehen, die Kosten aber bleiben gleich oder steigen, es muss ein Turnaround her. Selbst der Dialog mit der Mitarbeitervertretung, um Veränderungen, inhaltlich, aber auch kostenseitig durchzuführen, ist im Abschwung ungleich leichter als im Aufschwung oder auf einem Plateau. Eigentlich ist das absurd und schade ist es obendrein.
Gibt es auch positive Aspekte, die sich aus einem angespannten Marktumfeld für Unternehmen ergeben können?
Für die guten Unternehmen schon. Das sind diejenigen Unternehmen, die in der Boomphase vorgesorgt haben, die ihre Beziehungen zu ihren Kunden, egal ob im B2B oder im B2C-Umfeld, gestärkt haben, die echte Fans aufgebaut haben, die ihre Strategie geschärft und ihre Marke weiter konturiert haben. Es sind auch die Unternehmen, die mit ihren finanziellen Mitteln im Aufschwung konservativ umgegangen sind, die konservativ ausgeschüttet haben, keinen Luxus-Speck angesetzt haben und die damit einige Prinzipien des gesunden profitablen Wachstums angewendet haben. Diese Unternehmen werden vielleicht Abschwungtendenzen spüren, aber längst nicht so stark wie die anderen. Mehr noch: Diese Unternehmen, bei denen die Kunden wissen, dass sie nicht enttäuscht werden, die auch im Abschwung keine Qualitätsschwächen oder Leistungseinbußen zeigen, haben eine faire Chance, in konjunkturell schwierigem Fahrwasser deutlich zu gewinnen. Das wiederum zahlt sich im nächsten Aufschwung aus. Aber vergessen wir eines nicht: Wir haben noch keine Rezession.
Mehr zum Thema Wachstum von Prof. Dr. Guido Quelle im “Lexikon des Chefwissens
Sehr guter Artikel, vielen Dank Herr Professor Quelle! Insbesondere die Rolle des Vertriebes finde ich sehr gut dargestellt. Herzliche Grüße
Ulrich Dietze