Wahlprogramme 2021 im Sprach-Check: SPD

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Exklusiv für DDW Die Deutsche Wirtschaft wurde das SPD-Wahlprogramm von den beiden Sprachexperten Armin Reins und Géza Czopf einer sprachlichen Analyse unterzogen.

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Zu den größten Fallgruben in der politischen Kommunikation gehört es, negative Begriffe aufzuführen, um sie als Kontrast zur eigenen positiven Einstellung zu setzen. Denn das Gehirn neigt dazu, die stärkeren negativen Begriffe im Gedächtnis zu behalten und sie mit dem Sender zu verknüpfen. Jedes dieser Wörter lässt Bilder in den Köpfen entstehen, die wiederum ganze Assoziationsketten hervorrufen. Gerhard Schröder unterlief dieser Fehler, als er in seiner Regierungserklärung 2003 zur Agenda 2010 davon sprach, es ginge nicht darum dem Sozialstaat den „Todesstoß“ zu geben. Die Verneinung wurde überhört, der „Todesstoß“ blieb.

Dennoch scheinen die Sozialdemokraten weiter an dieser Taktik festzuhalten. Das SPD-Wahlprogramm beginnt mit einer Auflistung an Negativen, dem es etwas entgegenzusetzen gelte. Dem Leser fliegen die üblen Schlagwörter nur so um die Ohren: „Corona-Krise“, „Menschen ohne Arbeit“, „menschengemachter Klimawandel“, „wenige Technologiekonzerne diktieren“, „Populisten und Nationalisten“, „Krise“, „harte Einschränkungen“, „Einschnitte in die persönliche Freiheit“, „Beschränkungen“. Wer all das gelesen hat, hat wohl keine gute Laune mehr. Wie problematisch dies Art zu kommunizieren ist, zeigt diese Passage:

„Überwinden wir die wachsende Ungleichheit? Oder nehmen wir es hin, dass wenige sich die höchsten Einkommen und die besten Perspektiven sichern, aber die Lasten und Risiken auf den Schultern derer liegen, die sich nicht wehren können?“

Selbst die positive Zielsetzung ist in negative Wörter („Überwindung von Ungleichheit“ statt „gleiche Chancen auf allen Ebenen“) gekleidet wird. Der Ist-Zustand ist zudem nicht nur schlecht, er wird immer schlechter („wachsende Ungleichheit“). Aber wer ist denn dafür verantwortlich? Hätte das eine Oppositionspartei geschrieben, wäre es noch zu vertreten gewesen. Aber wieso schreibt sich eine Partei das ins Stammbuch, die selbst in der Regierung sitzt?

Fünf Seiten später stehen dann diese Sätze:

„Wir haben vieles erreicht in der Regierungskoalition. Die Erfolge tragen eine erkennbar sozialdemokratische Handschrift.“

Es ist unerklärlich, warum damit nicht begonnen wurde.

Der Titel des Programms duzt die Leser: „Aus Respekt vor deiner Zukunft“ und erinnert dabei an den Slogan eines Baumarktes („Respekt, wer an die Zukunft denkt“).

Die SPD nennt es ein „Zukunftsprogramm“ und teilt es in „Zukunftsmissionen“ auf. Doch wer hineinliest, kann sich fast schon wieder aufs Ohr legen:

„Deutschland soll 2030 über eine digitale Infrastruktur auf Weltniveau verfügen.“ „Spätestens 2045 werden wir klimaneutral wirtschaften.“

Ach, dann haben wir ja noch Zeit.

Dass die SPD auch bei der Textgestaltung noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen ist, beweisen solche Sätze:

„Wir werden daher die Verpflichtung von Bund, Ländern und Kommunen zur Bereitstellung digitaler Verwaltungsdienstleistungen ausbauen, damit alle Verwaltungsleistungen möglichst schnell auch digital verfügbar sind.“

Trotz der Genderschreibweise ist dieses SPD-Wahlprogramm sprachlich weder modern noch emotional.

„Die meisten Bürger*innen in unserem Land eint das Bedürfnis nach Respekt, Zusammenhalt und Zuversicht für eine gute, sichere Zukunft in Deutschland und Europa. Diese Zuversicht entsteht aus dem Vertrauen, Einfluss darauf nehmen zu können, wohin sich unser Leben, wohin sich unsere Gesellschaft entwickelt.“

Das soll das gut klingen, sagt aber nicht viel aus.

Weitere Kostproben:

„Respekt vor der Würde aller Bürger*innen heißt für uns, dass alle ein Recht auf gleiche Verwirklichungschancen und ein sicheres Leben haben.“

Das ist doch das Mindeste, was man in einem freiheitlichen Staat erwarten darf.

„Wir werden diese vier Zukunftsmissionen anpacken, um die Wirtschaft zu modernisieren, High-Tech in den Schlüsselbranchen zu fördern, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten und die Arbeitsplätze der Zukunft zu schaffen.“

Na, was denn sonst?

Es ist wohl kein Zufall, dass die SPD das kürzeste aller Programme vorweist. Sie hat es versäumt, sich ein zentrales Thema zu eigen zu machen. Das Programm ist routiniert verfasst, aber es fehlen die Reibepunkte, die die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser wecken.
Die Milieubindung der beiden einst großen Volksparteien hat sich nach und nach aufgelöst. Es fehlt dadurch die Trennschärft in der Programmatik und die Ansprache wurde beliebiger und schwieriger. Die SPD spürt dies besonders, da sie starke Konkurrenz von links außen erhalten hat. Arbeiterthemen sind für sie nur noch schwer zu besetzen. Wo kommt denn nun etwas SPD-typisches? Hier ist ein Beispiel:

„Die letzte große Reform der Betriebsverfassung liegt 20 Jahre zurück und braucht ein Update.“

Vermutlich keine wahlentscheidende Aussage, jedoch klingt hier noch die Sozialdemokratie durch.

Im Großen und Ganzen hat sich aber die politische DNA der SPD mittlerweile sehr mit der der anderen Parteien vermischt:

„Klimaschutz ist die soziale Aufgabe der nächsten Jahrzehnte“, „Wir wollen die Steuern für die Mehrheit senken“, „Wer den ganzen Tag arbeitet, muss von seiner Arbeit ohne zusätzliche Unterstützung leben können“, „Wir wollen Lebensleistungen stärker berücksichtigen. Wer länger eingezahlt hat, soll zukünftig auch länger Arbeitslosengeld I beziehen“.

Wer verträte nicht diese Positionen?

Das Programm bespricht viele Themen, die von hoher Relevanz sind. Jedoch hat man nie das Gefühl, dass die SPD die Deutungshoheit über diese Themen besitzen würde.

Eine klare Position besitzt sie, was die Rolle des Staates betrifft. Bei kühnen Behauptungen wie

„Viele bahnbrechende Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte hätte es ohne eine aktive und vorausschauend handelnde Politik nicht gegeben“

hätte man sich gerne ein Beispiel gewünscht.

Dass gerade der Staat als „Innovationstreiber“ fungieren soll, dürfte manche Unternehmer angesichts ihrer bisherigen Erfahrungen mit der Bürokratie in Deutschland stutzig machen. Im Bereich Wirtschaft bleibt so einiges nebulös, wenn etwa von „der Förderung gemeinwohlorientierter Unternehmen und sozialer Innovationen“ die Rede ist. Auch leuchtet nicht ein, warum das Handwerk „der entscheidende Partner“ ist, damit „die Klimawende vor Ort gelingt“.

Wie alle Parteien versteht es auch die SPD sich vor der klaren Aussage zu winden. Statt einer konkreten Zusage gibt es Verschleierungsformeln wie hier:

„Wer den ganzen Tag arbeitet, muss von seiner Arbeit ohne zusätzliche Unterstützung leben können. Auch das ist eine Frage des Respekts. Wir werden den gesetzlichen Mindestlohn zunächst auf mindestens zwölf Euro erhöhen…“.

Bis hierher ist noch alles in Ordnung, und dann kommt ein Paradebeispiel politischer Seifen-Sprache:

„…und die Spielräume der Mindestlohnkommission für künftige Erhöhungen ausweiten“.

Vor allem bei sehr sensiblen Themen ist es besonders wichtig, klar und eindeutig zu kommunizieren. Die Aussage dieser Passage kann beim Schnelllesen als ihr gefährliches Gegenteil verstanden werden:

„Wir werden einen nationalen Aktionsplan gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interphobie und Gewalt gegen LSBTIQ einführen und uns auf europäischer Ebene für die Ächtung solcher Diskriminierung einsetzen.“

Und das Gleiche nochmal mit wenigen Änderungen: „Wir werden einen nationalen Aktionsplan gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interformen und Gewalt gegen LSBTIQ einführen und uns auf europäischer Ebene für die Ächtung und Diskriminierung einsetzen.“ Wie gesagt: Aufpassen mit negativen Formulierungen!

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