Für Wohlstand durch ein neues Bildungswunder

Keine Kommentare Lesezeit:

Möchten wir Frauen ermöglichen, dem Arbeitsmarkt nach einer Familiengründung wieder zur Verfügung zu stehen, braucht es erstens die Chance, hinreichend attraktive Betreuungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen zu können, und zweitens dürfen die Kita-Beiträge das Nettogehalt nicht sofort wieder zu großen Teilen auffressen.

Von Sarna Röser

Der Wunsch nach einer nachhaltigen Zukunft ist getragen von der Verantwortung für die kommenden Generationen. Für diejenigen, die jetzt zwischen 50 und 60 Jahren alt sind, liegt der Gedanke nahe, dass es für sie ökonomisch und ökologisch „schon noch reichen“ wird – für die älteren Jahrgänge wie meine Großeltern gilt das umso mehr. Nicht nur mit Blick auf das mehr als angespannte Rentensystem ist dieser Gedanke grundfalsch. All unser Tun muss darauf ausgerichtet sein, auch den kommenden Generationen einen leistungsfähigen Staat zu hinterlassen. Dieser Gedanke ist nicht nur altruistisch. Denn natürlich werden die jetzt jungen Menschen später die Organisation für die Versorgung und Pflege der Generationen vor ihnen übernehmen müssen – und das hoffentlich auch tun. Dazu müssen wir aber auch Bedingungen schaffen, die es ihnen ermöglichen, dieser Verantwortung gerecht werden zu können.

Alle Maßnahmen, die ich hier skizziere, sind darauf ausgelegt, unseren Kindern zu ermöglichen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Denn sie sind die Zukunft Deutschlands. Sie sind es, die in einigen Jahren die Rente bezahlen, Unternehmen gründen oder durch ihre Leistung Wirtschaft und Gesellschaft stärken und so den Sozialstaat letztlich erst ermöglichen werden.

Bis die Vorschläge wirksam werden, wird Zeit vergehen. Es ist aus meiner Sicht daher nicht nur nötig, diese Maßnahmen mit der gleichen Dringlichkeit anzugehen wie Maßnahmen zum Klimaschutz, sondern wir müssen sie als weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Folgen des Klimawandels betrachten. Ökologischer und ökonomischer Fortschritt ist nur durch Innovation und neues Wissen zu realisieren. Und die Grundlage dieses Fortschritts ist Bildung. Wir können es uns nicht erlauben, das Potenzial, das in diesen Zusammenhängen liegt, weiter zu verschleudern.

„Wer die Zukunft positiv gestalten möchte, kommt nicht umhin, Kinder mit den bestmöglichen Grundlagen auszustatten“

Wer die Zukunft positiv gestalten möchte, kommt nicht umhin, Kinder mit den bestmöglichen Grundlagen auszustatten. Neben der unersetzlichen elementaren Prägung und Bildung innerhalb der Familie beginnt das bereits und insbesondere im Kindergarten. Obwohl in diesem Bereich langsam ein Bewusstseinswandel stattzufinden scheint, liegt die Priorität der öffentlichen Bildungsfinanzierung derzeit eher im Hochschulbereich, obwohl gerade diese Form der staatlichen Investitionen in Bildung aus meiner Überzeugung viel weniger notwendig ist.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es nicht allein die Akademiker, Informatiker und Ingenieure sein werden, die unser Land voranbringen, unseren Lebensstandard sichern und die Gesellschaft stabilisieren, sondern auch die Facharbeiter und Handwerker. Und es nützt niemandem, wenn ein stark akademisiertes Schulsystem Jahr für Jahr Zehntausende Schulabbrecher hervorbringt, die vom Sozialstaat aufgefangen werden müssen.

Bildung als Instrument konsequenter Integration

Frühkindliche Bildung nützt allen, auch dem späteren Akademiker. Unser Ziel sollte doch sein, präventiv tätig zu werden, statt nachträglich aufzuräumen, und wirklich jedem Kind – gleich welcher Bildungsweg später eingeschlagen wird – ein gutes Fundament für das spätere Leben mit auf den Weg zu geben.

Gleichzeitig ist frühkindliche Bildung ein wirksames Instrument konsequenter Integration. Denn von erfolgreicher Einwanderung lässt sich nur sprechen, wenn auch die Kinder der Einwanderer vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft werden und ihnen die gleichen Chancen offen stehen wie den „Ortsansässigen“. In Deutschland liegt jedoch aktuell die Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit Migrationshintergrund, eine Hauptschule zu besuchen, mehr als fünfmal so hoch wie bei einem deutschen Kind. Auf der anderen Seite ist die Wahrscheinlichkeit einer gymnasialen Karriere nur halb so hoch.

„Ich plädiere für eine Umschichtung der öffentlichen Gelder hin zur frühen Bildungsphase bei gleichzeitiger Offenheit für Studiengebühren“

Um frühkindliche und schulische Bildung wirklich voranzubringen, muss die Bildungsfinanzierung neu organisiert werden. Ich plädiere für eine Umschichtung der öffentlichen Gelder hin zur frühen Bildungsphase bei gleichzeitiger Offenheit für Studiengebühren – zur Stärkung der Chancengerechtigkeit und zur Herstellung von Startchancengerechtigkeit. Es darf keine Frage der Herkunft sein, welche Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung sich einem Individuum bieten.

Mit dem Spiegel-Bestseller „Ein Plädoyer für die Mehrheit“ greift Sarna Röser als Bundesvorsitzende der Jungen Unternehmer den breiten Wunsch in der Gesellschaft nach einer Politik auf, die die Probleme in unserem Land endlich wieder ideologiefrei anpackt. Das Buch ist ein kraftvoller Aufruf zum Handeln für alle, denen die Zukunft unseres Landes und seiner Menschen am Herzen liegt

Ich halte eine vollständige Finanzierung der frühkindlichen Bildung aus Steuern für alle aus verschiedenen Gründen für die Lösung. Nur ausreichende und kostenlose Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder fördern auch die Möglichkeiten der Teilhabe insbesondere von Frauen. Sobald Kinder auf die Welt kommen, stellt sich für einen Elternteil irgendwann die Frage, ob, wann und wie lange die Arbeit unterbrochen werden muss.

In den meisten Fällen stellt sich diese Frage immer noch die Frau. Ja, auch heute noch. Das ist Fakt. Möchten wir also Frauen ermöglichen, dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung zu stehen, braucht es erstens die Chance, hinreichend attraktive Betreuungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen zu können, und zweitens dürfen die Kita-Beiträge das Nettogehalt nicht sofort wieder zu großen Teilen auffressen. Was nützt einem der Mindestlohn, wenn er vom Kita- Beitrag aufgezehrt wird? Was nützt ein Studium und ein hochbezahlter Job, wenn durch gestaffelte Kita-Beiträge selbst bei Gutverdienern große Summen des Gehalts verloren gehen.

Betreuungskosten wirken wie Lohnnebenkosten

Wenn die Beiträge zu Kindertagesstätten prohibitiv hoch sind, wird sich der „Zweitverdiener“ oft gegen die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit entscheiden. Mit den nicht zu unterschätzenden Folgewirkungen für viele relevante andere Bereiche – Rente, Fachkräftemangel, Armutsgefährdung. Letztlich wirken Betreuungskosten ähnlich wie extrem hohe Lohnnebenkosten. Sie vernichten Arbeitsplätze und stellen noch dazu die Wohlstandsperspektive der Zukunft infrage.

„Zum einen zahlen Arbeitnehmer über ihre Steuern schon für das Angebot der Kindertagesstätten. Auf der anderen Seite müssen sie dann auch noch – über teils eklatant hohe Beiträge – für finanziell schlechter gestellte Familien mitzahlen“

Moderne Politik, die Familien ermöglichen will, aus eigener Kraft Wohlstand zu generieren, muss anders aussehen. Im Fokus stehen hier nicht die Geringverdiener oder Transferempfänger, die in den meisten Fällen sehr günstigen oder beitragsfreien Zugang zu Kitas haben. Ich spreche von denjenigen, die arbeiten wollen oder dies bereits tun und durch hohe Gebühren zusätzlich bestraft werden oder von der Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise abgehalten werden. Bisher müssen sie in vielen Regionen eine teils gravierende Doppelbelastung stemmen. Zum einen zahlen Arbeitnehmer über ihre Steuern schon für das Angebot der Kindertagesstätten. Auf der anderen Seite müssen sie dann auch noch – über teils eklatant hohe Beiträge – für finanziell schlechter gestellte Familien mitzahlen.

Diese zweite Finanzierungssäule durch Gebühren und Beiträge für diesen Teil der Gesellschaft unangetastet zu lassen wäre absolut kontraproduktiv. Dass auch sie eine kostenlose Betreuung in Anspruch nehmen können, wäre ein deutliches Signal, diese leistungsbereite Mitte der Gesellschaft nicht noch zusätzlich zu bestrafen. Denn der Bruttoverdienst ist in solchen Fällen Nebensache. Was am Ende – nach Abzug der Kita-Beiträge – netto bleibt, ist oft erschreckend wenig. Ich bin für einen sparsamen Umgang mit Steuergeldern. Ich bin für Prioritätensetzung. Aber eines ist klar, eine unserer Prioritäten muss die Investition in Bildung sein. Als Gesellschaft müssen wir uns gute – die richtige – Bildung leisten. Wenn der Staat das Geld seiner Bürger ausgibt, dann sollte damit Sinnvolles erreicht werden, am besten mit einer gesellschaftlichen Rendite. Und dass keine Investition zukunftsweisender und renditeträchtiger ist als die in die Köpfe der jungen und kommenden Generationen, bestätigt die Wissenschaft nahezu einhellig.

„Die Zahlen belegen deutliche Vorteile für die Frühgeförderten: mehr Schulabschlüsse, die Mehrheit bezieht im Erwachsenenalter gute Gehälter, mehr Wohneigentum“

Eine disziplinübergreifende Gruppe von Spitzenforschern der Leopoldina forderte bereits im Jahr 2014, und somit vor fast zehn Jahren, mehr Investitionen in die Qualität – nicht in die schiere Masse – frühkindlicher Bildung. Diese sei „gesamtwirtschaftlich besonders sinnvoll“. Diverse Studien und Projekte bestätigen das. Eine Langzeitstudie aus den Vereinigten Staaten (das HighScope Perry Preschool Project) zeigt, wie stark und an wie vielen Indikatoren sich der Erfolg frühkindlicher Bildung messen lässt. Die Zahlen belegen deutliche Vorteile für die Frühgeförderten: mehr Schulabschlüsse, die Mehrheit bezieht im Erwachsenenalter gute Gehälter, mehr Wohneigentum. Die geförderten Jugendlichen waren als Erwachsene auch „dezidiert weniger auf Sozialfürsorge angewiesen“, und die Kriminalitätsrate war geringer. Eine stärkere Chancengerechtigkeit stellt also einen Baustein dar, der auch bildungsferneren Schichten einen guten Grundstein für eine ausgebildete soziale Teilhabe mit auf den Weg gibt.

Ideologiefreie Rahmenbedingungen schaffen

Dass das Geld in frühkindlicher Bildung gut angelegt ist, zeigt ein weiteres Ergebnis derselben Studie: Jeder investierte Dollar warf über neun Dollar „Gewinn“ ab, und zwar in Form von geringeren Sozialabgaben und mehr Steuereinnahmen.

Egal aus welcher Fachrichtung die Studie oder der Wissenschaftler kommt, alle sind sich einig, dass Investitionen in eine qualitativ und quantitativ gute frühkindliche Betreuung und insbesondere in die frühkindliche Bildung die nahezu beste Anlage sind, die ein Staat tätigen kann. Sie kommt dem Einzelnen, der Gesellschaft und sogar den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden zugute.

Bildungsforscher sprechen davon, dass frühkindliche Bildung bereits in den ersten Wochen nach der Geburt anfängt – hier sind selbstverständlich die Eltern gefragt, denn alles Bemühen ersetzt nicht die wesentlich fundamentalere familiäre Bindung, sondern kann nur daran anknüpfen und diese ergänzen. Spätestens im Kindergarten jedoch kann und muss der Staat einen Beitrag leisten. Nicht im Sinne einer von Rot-Grün seit Langem angestrebten Lufthoheit über die Kinderbetten, sondern indem er ideologiefrei Rahmenbedingungen schafft, die der Bildung und Entwicklung des Kindes zugutekommen.

Mehr zum Thema:

Sarna Röser ist eine der jüngsten Aufsichtsrätinnen in Deutschland, Beirätin und Bundesvorsitzende von DIE JUNGEN UNTERNEHMER. Capital zählt sie zu den „Top 40 unter 40“-Talenten der deutschen Wirtschaft und das Handelsblatt zu den 100 Frauen, die Deutschland voranbringen. Zudem wurde sie vom Handelsblatt und der Boston Consulting Group als „Vordenkerin“ ausgezeichnet. Auf DDW schreibt sie regelmäßig die Kolumne „NextGen Familienunternehmen – Sarna’s Insights“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Language