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Personenwahl anstelle Parteienwahl
Wie konnte es geschehen, dass ein Land mit einem gefestigten demokratischen Grundverständnis wie Deutschland so an die Wand gefahren wird? Was die Spatzen von den Dächern pfeifen, ist der Mangel unserer parlamentarischen und der regierenden Politiker an Bildung und Ausbildung, verbunden mit Partei- statt Wählerloyalität.
von Florian Josef Hoffmann
Allgemein wahrgenommen wird eine wachsende Entfremdung der Bürger vom politischen Betrieb. Und es stimmt ja: Viele, wenn nicht alle politischen Richtungsentscheidungen der letzten Jahre – man nenne nur auf die Migrationspolitik, den Atomausstieg oder die Corona-Politik – wurden von der Legitimation der jeweiligen Bundesregierung getroffen, und nicht durch einen konkreten Wählerwillen.
Diese Legitimation stützt sich wiederum auf die Abgeordneten des gesetzgebenden Bundestages und damit auf Funktionsträger, die zunehmend von Parteikarrieren abhängig sind, statt dass sie sich durch Kompetenz, Wissen oder Wählerrückhalt auszeichnen. Schon macht das Wort von der „Negativauslese“ die Runde.
Der Grund: Unser aktuell gültiges Verhältniswahlrecht mit zwei Stimmen. Eine für den Direktkandidaten und eine für die Parteilisten. Insbesondere durch drastisch angestiegene „Überhangmandate“ führt dies zu den gegenwärtig 733 Abgeordneten im Bundestag. Das ist nicht nur weltweite Spitze und entsprechend teuer. Es hat vor allem die Bedeutung von Parteilisten gefördert und damit den Typus des stromlinienförmigen Parteifunktionärs.
Der Wähler will eigentlich die Inhalte mehrerer Parteien
Die Wahlrechtsreform der aktuellen Bundesregierung hat diese Entwicklung noch befördert, unterstützt von Bundesverfassungsgericht. Die Bedeutung der direkt gewählten Abgeordneten ist weiter reduziert worden – ja, es kann sogar sein, dass ein eigentlich direkt gewählter Abgeordneter gar nicht in den Bundestag einzieht.
„Konformität zur Parteilinie wird gefördert, statt für seine Entscheidungen gegenüber den Wählern geradezustehen“
Das ist fatal. Denn es stärkt einerseits eine Ideologisierung der Politik, die den Anforderungen einer vernunftorientierten Politik nicht mehr gerecht wird. Der heutige Wahlzettel mit den darin aufgeführten Parteien Linke, SPD, Grüne, FDP, BSW, CDU und AfD u. a. überlässt dem Wähler im Grunde immer nur die Auswahl zwischen Regierungsformen: die Linke für den Kommunismus, die SPD für den sog. demokratischen Sozialismus, die Grünen für eine Öko-Sozialismus, die FDP für den Liberalismus und CDU und AfD für den Konservativismus usw. Doch der Wähler will eigentlich die Inhalte mehrerer Parteien. Denn: Wer will eine Politik, die unsozial ist? Oder: Wer ist gegen Umweltschutz? Oder: Wer ist gegen Rechtsstaat und Freiheit? Dass das System tatsächlich irrational ist, lässt sich aus dem aktuellen Parlamenten ablesen: Die Parteien koalieren sich zu Tode in Viel-Parteien-Koalitionen (Ampel), oder in Koalitionen, die überhaupt nicht zusammen passen.
Zweitens: Die Verantwortung gegenüber den Wählern wird zugunsten des Interesses an Parteikarrieren unterminiert. Der Abgeordnete wird im Zweifel nicht mehr die Interessen seiner eigenen (Wahlkreis-)Wähler – und zwar möglichst vieler – vertreten, sondern die seiner Partei. Denn die soll ihn ja schließlich auch weiterhin auf einen sicheren Listenplatz stellen. Konformität zur Parteilinie wird gefördert, statt für seine Entscheidungen gegenüber den Wählern geradezustehen.
Der Ausweg: Das Personenwahlrecht und das relative Mehrheitswahlrecht
Ausweg ist das Mehrheitswahlrecht. Im Mehrheitswahlrecht bekommen nicht die Parteien die Stimme, sondern es werden ausschließlich Direktkandidaten aufgestellt und gewählt. Der Vorteil dieses Wahlrechts ist, dass der Wähler weiß, wofür er sich entscheidet. Er sucht sich unter den Kandidaten einen aus, den er für geeignet hält, seine Interessen zu vertreten. Genau hier schlägt die in einer Demokratie geforderte Kompetenz des Wählers voll durch. Im Gegensatz zur Ideologien-Entscheidung, die den Wähler überfordert, kann er als lebenserfahrener Bürger gut beurteilen, warum er sich für den einen oder anderen Kandidaten entscheidet.
„Die Parteien würden in den Wahlkreisen nur Kandidaten zur Wahl stellen, die echte Qualitäten haben und die deshalb den direkten, sachlichen Vergleich nicht zu scheuen brauchen“
Meine These: Auch die Qualität der Volksvertreter hinsichtlich ihrer Bildung und Kompetenzen wird gesteigert. Denn alle Kandidaten müssen sich dem kritischen Wähler direkt stellen und nicht nur der parteiinternen Beurteilung. Die Parteien würden in den Wahlkreisen nur Kandidaten zur Wahl stellen, die echte Qualitäten haben und die deshalb den direkten, sachlichen Vergleich nicht zu scheuen brauchen. Die Wahlen werden generell personalisiert, wie bei einer Bürgermeisterwahl auf dem Dorf.
Natürlich hat jedes Wahlrecht seine Schwächen. Auch am Mehrheitswahlrecht wie in den USA oder Großbritannien ist nicht alles perfekt. Kleine Parteien, die üblicherweise keine Chancen auf Direktmandate haben, könnten ganz aus den Parlamenten fliegen. Parlamentarische Mehrheiten, die dem Gesamt-Stimmenverhältnis nicht entsprechen, sind erwartbar. Und doch halte ich eine Änderung hin zum Personenwahlrecht für den stärksten Hebel, mit dem Bürgernähe, Verantwortung für politisches Handeln sowie vernunft- und sachorientierte statt ideologisierte Politik wieder Einzug halten können in Deutschland.
Geregelt ist das Wahlrecht in einem einfachen Gesetz, das mit einfacher Mehrheit geändert werden kann: Im Wahlgesetz.
Florian Josef Hoffmann ist Rechtsanwalt, Unternehmer, Publizist und Sozialphilosoph und hat als Kolumnist bei The European und bei Tichy Einblick veröffentlicht und ist Autor des Buches „Reichtum der Welt – für Alle (Durch Wohlstand zur Freiheit)“
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