
Kann die CDU Change im Change?
Wir erleben entscheidende Tage der Wahrheit, die uns tiefe Einblicke in die Verfasstheit der Parteien geben und uns zeigen, wer für das Land oder für seine eigenen Interessen kämpft. Eine politische Analyse aus dem Blickwinkel des Kommunikations-, Change- und Krisenmanagements.
Von Dr. Dr. Niels H. M. Albrecht
Die Wählerinnen und Wähler haben bei der Bundestagswahl die Regierungsarchitektur Deutschlands grundlegend verändert. Die großen Verlierer der Wahl sind die Grünen, die auf dem sicheren Weg ins Kanzleramt scheiterten, und die Union, die ihren Status als Volkspartei verlor. Beide Parteien missachteten den Mehrheitswillen der Bevölkerung. Aus parteiinternen Interessen opferten sie ihre aussichtsreichsten Kandidaten und boten Personal, das keine milieuübergreifende Zustimmung fand. Dabei hätte man mit Robert Habeck und Markus Söder einen progressiven Weg einschlagen können, bei dem große Teile der Bevölkerung mitgenommen worden wären. Doch die Parteien blockierten sich selbst und verbauten so Deutschlands Erneuerung. Eine historische Chance ist verspielt worden und das Wahlvolk wendete sich ab.
In der Niederlage beweist sich der Charakter
Schon in der Wahlnacht übernahm Robert Habeck Verantwortung und positionierte sich als Verhandlungsführer und möglicher Vizekanzler eines neuen Dreierbündnisses auf Bundesebene. Im Hintergrund zieht er nun die Fäden und lotet mit seinen Erfahrungen aus Schleswig-Holstein die Schnittmengen mit der FDP aus. Ganz anders verhält es sich im Konrad-Adenauer-Haus. Das Spitzenpersonal der Unionsparteien dokumentiert in seiner Rhetorik aus Angriffslust, Durchhalteparolen und tiefer Depression seine Hilflosigkeit: Keine eindeutige Haltung. Keine klare Kommunikation. Keine strategische Ausrichtung. Stattdessen Schuldzuweisungen von allen Seiten.
Problemorientierung statt Lösungsorientierung
In der schwersten Krise ist die Problemorientierung der CDU/CSU für alle sichtbar geworden. Doch nur mit einer konsequenten Lösungsorientierung sind die Probleme des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Schon der Pionier der modernen Managementlehre Peter Drucker machte uns im letzten Jahrhundert klar: „Problembewusstsein ist gut, Ziel- und Handlungsbewusstsein sind besser.“ Die CDU/CSU muss sich fragen lassen, wo sie steht. Wer problemorientiert handelt, kann keine Verantwortung übernehmen. Dabei haben die Unionsparteien einen entscheidenden Trumpf im Ärmel. Sie haben, wie die Grünen, mit Markus Söder einen „Kandidaten der Herzen“, der sogar Kanzler werden kann. Unsere Verfassung sieht nicht vor, wie in anderen Demokratien, dass die stärkste Partei den Auftrag einer Regierungsbildung erhält. Jamaika bleibt eine Möglichkeit. Doch mit dem Wahlverlierer Armin Laschet kann die CDU nicht regieren: Erstens braucht es eine Person, die im Osten Akzeptanz findet und das Feld nicht der AfD überlässt. Zweitens braucht es eine Stärkung des ländlichen Raums. Drittens braucht es eine schnelle Verständigung zwischen dem Norden und dem Süden über den Stromtrassenausbau in Deutschland, ansonsten wird die Energiewende und damit die Klimapolitik Deutschlands scheitern.
Nun muss die Union beweisen, ob sie Change im Change kann
In der Union sind jetzt schnelle Richtungsentscheidungen nötig. Es braucht das Signal: „Wir haben verstanden!“ Die Partei muss radikal umsteuern und Markus Söder für die Verhandlungsgespräche und eine mögliche Kanzlerschaft positionieren. Dafür braucht es nicht nur Mut und Entschlossenheit, sondern auch die Kompetenz im agilen Management. Robert Habeck hat den Wunsch der Wählerinnen und Wähler nach der ersten Hochrechnung verstanden und macht nun seinen Einfluss geltend. Wir erleben entscheidende Tage der Wahrheit, die uns tiefe Einblicke in die Verfasstheit der Parteien geben und uns zeigen, wer für das Land oder für seine eigenen Interessen kämpft. Die Stimmung in der Bevölkerung kann man nicht einfach ignorieren. Denn schon der meistrezipierte Sozialphilosoph der Gegenwart Jürgen Habermas gab uns zu verstehen, dass Diskurse nicht herrschen, sie aber eine kommunikative Macht erzeugen, die die administrative nicht ersetzen kann, diese aber beeinflusst. Die große Zustimmung für ein schwarz-grünes oder grün-schwarzes Bündnis blieb nicht aus, weil man diese Koalition nicht wollte, sondern weil die große Mehrheit der Menschen Armin Laschet und Annalena Baerbock die Regierungsverantwortung nicht zutraute.
Wenn die CDU/CSU den Change im Change jetzt nicht vollziehen kann, wird sie das Vertrauen für die großen Veränderungsprozesse in Deutschland nicht gewinnen können. Der Changeprozess unseres Landes hat mit der Bundestagswahl 2021 eingesetzt. Nun müssen die ehemaligen konservativen Volksparteien beweisen, ob sie nicht nur bewahren und moderieren, sondern auch agiles Changemanagement können – für sich selbst und für Deutschland.
Politik läuft den Entwicklungen hinterher
Die Politik steht am Scheideweg. Längst haben agile Managementmethoden die starren Organisationsstrukturen der Vergangenheit abgelöst. In der Pandemie wurde die Verkrustung der gesamten Verwaltung sichtbar: Nicht digital. Nicht flexibel. Nicht bürgernah. Nach der Wahl erkennen wir diese verkrusteten Strukturen in den Parteien, die Verantwortung für Deutschland übernehmen wollen. So kann Veränderung nicht gelingen. Die Parteien sowie die Ministerien und Behörden auf Bundes- wie auf Landesebene müssen sich der agilen Wirkungssteuerung zuwenden, denn der Wandel ist schneller als die Politik.
Dr. jur. Dr. phil. Niels H. M. Albrecht ist Experte der Aufmerksamkeitsökonomie. Seit mehr als 20 Jahren berät er Mandantinnen und Mandanten aus Regierung, Unternehmen, Stiftungen, Vereinen und Kirche. Nach dem Studium der Rechts- und Kommunikationswissenschaften war er als Journalist, Medienmanager und Unternehmensberater, unter anderem für die Bundesregierung, tätig. Als Leiter der DEACK − Deutsche Akademie für Change & Kommunikation gibt er sein Wissen in den Bereichen von Kommunikations-, Change- und Krisenmanagement weiter.
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